Würstchengate bei Daimler „Dividende aufbessern und sich durchfuttern“

Auf der Hauptversammlung von Daimler muss ein Streit um Würstchen von der Polizei geschlichtet werden. Die „Naturaldividende“ stößt seit jeher auf das besondere Interesse der Kleinaktionäre – und ist nicht unumstritten.

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Der Streit um die Bockwurst bei Daimler sorgt für Gesprächsstoff. Quelle: Imago

Düsseldorf/Hamburg 12.500 Würstchen hatte Daimler auf der Hauptversammlung für seine 5500 Aktionäre angerichtet, und sie scheinen wohl gemundet zu haben. Einem Aktionär haben sie sogar besonders gut geschmeckt, er ließ gleich mehrere Portionen davon in seiner Tasche verschwinden. Das wiederum passte einer ebenfalls hungrigen Aktionärin überhaupt nicht – es kam zum Streit. Am Ende musste das Buffet-Gefecht dann gar von der Polizei beendet werden.

Auf der Hauptversammlung des Schokoladenherstellers Lindt ist ein solcher Vorfall eigentlich undenkbar. Schließlich haben die Schweizer vorgesorgt. Seit Jahren schon müssen sich die Aktionäre dort keine Sorgen darüber machen, dass sie während des stundenlangen Redemarathons kulinarisch zu kurz kommen könnten.

Jeder von ihnen erhält einen großen blauen Koffer. Der Inhalt: vier Kilogramm Süßkram. Von Schokoladenbonbons über -tafeln bis hin zu Pralinenvariationen ist alles dabei. Um in den Besitz eines solchen Koffers zu kommen, müssen Anleger allerdings tief in die Tasche greifen – der Aktienkurs beläuft sich aktuell auf fast 67.000 Euro.

Solche Geschenke an Aktionäre werden Naturaldividende genannt, kommen durchaus häufiger vor und nehmen teilweise kuriose Formen an. Beim norddeutschen Erotikhändler Beate Uhse beispielsweise wurden schon einmal String-Tangas gereicht, bei diversen Brauereien waren es Bierkästen, andere wiederum verschenkten Freikarten für den Zoo.

Als beliebt gilt bei Aktionären aber auch die Verpflegung während der Hauptversammlungen. Beim Spirituosen-Hersteller Berentzen bestand sie viele Jahre lang größtenteils aus Hochprozentigem, den Versammlungen wurde ein gewisser Volksfestcharakter nachgesagt. Inzwischen ist es dort jedoch ruhiger geworden.

Im Internet existieren gar Listen, auf denen detailliert aufgeführt wird, welcher Konzern welche Speisen zu welcher Tageszeit anbietet. Gibt es Frühstück mit Croissants oder nur Kaffee? Ist der O-Saft frisch gepresst? Wird nachmittags Kuchen gereicht? Und ganz wichtig – wie der Fall Daimler zeigt: Ist genug von allem da?

Bis 2005 wurden einige dieser Fragen Jahr für Jahr in dem Buch „Zom Fressa gern“ beantwortet. Herausgeber war die Schwäbische Bank in Stuttgart, zusammengestellt wurden die Informationen über das Essen auf Aktionärsversammlungen von den Azubis. Vor rund elf Jahren dann stellten die Unternehmen ihre Auskünfte jedoch ein – und die Aktionäre sind seither auf sich allein gestellt.

„Viele Kleinaktionäre nutzen diese Möglichkeit gerne, um ihre Dividende aufzubessern und sich durchzufuttern“, sagt ein Anlage-Experte, der seinen Namen in diesem Zusammenhang lieber nicht veröffentlicht sehen will. Dass sich Anleger wie nun bei Daimler die Taschen mit Essen vollstopfen, sei kein neues Phänomen. Dass es dabei zu Rangeleien komme und sogar die Polizei gerufen werden müsse, habe er jedoch noch nicht erlebt.


Wenn Kuchen die Aktionäre tröstet

„Man sollte diesem Thema jetzt nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Schließlich geht es bei Hauptversammlungen nicht darum, wer die besten Würstchen hat, sondern um Inhalte“, sagt Ingo Speich, Portfoliomanager bei Union Investment. Er war bei der Daimler-Versammlung selbst vor Ort, von den Vorfällen hat er jedoch nichts mitbekommen.

Dass es an den Verpflegungsstationen teilweise heiß hergehe, sei nicht neu. „Auf solchen Versammlungen kommen nun mal mehrere Tausend Menschen zusammen, die alle gleichzeitig essen wollen. Das ist wie im Fußballstadion.“ Speich befürchtet, dass solche Diskussionen denjenigen Unternehmen in die Karten spielen könnten, die Aktionärsversammlungen am liebsten heute statt morgen abschaffen würden. „Die Hauptversammlungen haben fraglos eine Daseinsberechtigung. Auch kleinere Anleger müssen die Möglichkeit haben, dem gesamten Führungsgremium eines Unternehmens Fragen stellen zu können“, sagt er.

Und trotzdem spielte auch bei der Beiersdorf-Hauptversammlung in der vergangenen Woche die Verpflegung eine größere Rolle. Ein Kleinaktionär lobte in der Fragerunde vor vollem Saal ausdrücklich das Catering – vor allem den Blechkuchen. Traditionell lässt der Nivea-Konzern im Hamburger Kongresszentrum Suppe, Kuchen, Kaffee und Apfelsaft auffahren. Die Aktionäre bekommen zudem eine Papiertüte mit Pflegeprodukten aus dem Haus.

Bei bloßem Lob blieb es jedoch nicht. Offenbar spontan fragte der Aktionär, wie teuer das Catering eigentlich sei – und die Fahrkarte für den Nahverkehr, die in der Einladung enthalten ist. Die Antwort vom scheidenden Finanzvorstand Ulrich Schmidt: Das Catering mache zehn Prozent der Kosten der Hauptversammlung von knapp einer halben Million Euro aus. Die Fahrkarte für den Hamburger Verkehrsverbund HVV koste Beiersdorf jeweils einen Euro.

„Das ersetzt allerdings nicht die Dividende“, scherzte Schmidt. Denn: Andere Aktionäre hatten sich beklagt, Beiersdorf schütte zu wenig seines Gewinns aus. Doch der Kuchen für 50.000 Euro schien zumindest einige darüber hinweg zu trösten.

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