Zoff bei Volkswagen Per Rundbrief ins PR-Desaster

Poltern, sticheln, Druck ausüben: Statt geschlossen aufzutreten, fallen bei VW Betriebsrat und Management mit Rundbriefen übereinander her. Ein Desaster für den angeschlagenen Konzern – Experten sehen nur einen Ausweg.

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Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller. Quelle: dpa

Am Montagmorgen hatte Matthias Müller genug. „Interne Konflikte werden nicht direkt, sondern öffentlich ausgetragen“, schrieb der VW-Konzernchef in einem Rundbrief. Es entstehe der Eindruck, dass es bei VW nur noch gegeneinander gehe. „Das Volkswagen, das uns in diesen Tagen in den Medien begegnet, ist nicht das Unternehmen, das ich kenne und das mir am Herzen liegt.“

Adressiert war das Schreiben an alle Mitarbeiter des Konzerns. Ein Machtwort. Und der vorläufige Höhepunkt eines Kommunikations-Desasters, das der angeschlagene Autobauer nach Diesel-Skandal und Debatten um überhöhte Mangergehälter so gar nicht gebrauchen kann.

In der vergangenen Woche ging es los. Erst verschickte Betriebsratschef Bernd Osterloh eine Art Ultimatum an Personalvorstand Karlheinz Blessing und VW-Markenchef Herbert Diess. Die Themen: Streit über den Stellenabbau im Rahmen des „Zukunftspaktes“ bei der Kernmarke und Uneinigkeit über die Frage, wie man die vereinbarten Sparmaßnahmen umsetzen soll. Kopien des Briefs landeten bei Journalisten. Zwei Tage später druckte der Betriebsrat die Forderungen in seiner Zeitung ab. Am Freitag stand die Antwort von Herbert Diess wiederrum in der Mitarbeiterzeitung von VW. Ebenfalls öffentlich zugänglich, ebenfalls gedruckt.

Dabei scheut vor allem der Betriebrsat nicht vor markigen Worten zurück. Die Arbeitnehmer warfen Markenchef Diess in der vergangenen Woche unter anderem vor, „zutiefst unsozial“ zu agieren und Gesprächsbrücken „mit dem Hintern“ wieder einzureißen. Ein erstes Treffen am Montag wurde ohne konkrete Ergebnisse vertagt.

Für den Kommunikationsexperten Thorsten Hofmann, geschäftsführender Gesellschafter von Advice Partners, ist diese Diskussionskultur ein Warnsignal. „Wenn man sich nur noch über Rundbriefe unterhält, ist das ein Zeichen für Sprachlosigkeit“, sagt er. „Es geht dann darum, wer die Deutungshoheit behält.“ Der Betriebsrat wolle mobilisieren, das Management einem Streik vorbeugen.

Hofmann berät jeden Tag Unternehmen bei ihrer Kommunikation. Das, was er gerade bei VW beobachtet, hält er für verantwortungslos. „Beide Seiten ziehen am gleichen Strang“, sagt er. „Aber sie ziehen in entgegengesetzte Richtungen – und bei beiden hängt der Strang um den Kopf.“ An die Kunden, Geschäftspartner und vor allem die Mitarbeiter sende so ein Verhalten die vollkommen falsche Botschaft. „Das zeigt, wie zerstritten der Konzern ist, obwohl er gerade jetzt Geschlossenheit demonstrieren müsste.“

„Langfristig verlieren beide Seiten“

Auch Thomas Koch, Professor für Unternehmenskommunikation an der Universität Mainz, beobachtet das Wolfsburger Kommunikationschaos genau. Den generellen Konflikt zwischen Betriebsrat und Management hält er für normal, gewissermaßen sogar gewollt und im System angelegt. „Intern kann es ruhig mal zur Sache gehen bei solchen Verhandlungen“, sagt er. „Wenn interne Konflikte aber öffentlich ausgetragen werden, schadet das immer der Marke und dem Konzern.“

Koch hat beobachtet, dass die Konfliktparteien in Streitsituationen wie jetzt bei VW immer öfter versuchen, die Medien für ihre Interessen zu nutzen. „Sie wollen ihre Verhandlungsposition stärken, Druck aufbauen“, erklärt Koch. Kurzfristig funktioniere das oft sogar. Druck erhöhe die Geschwindigkeit der Diskussion, zwinge den Gegner zur Reaktion. Bei VW habe man das gerade wieder gesehen – da musste Konzernchef Müller sich plötzlich äußern. Das Problem sei jedoch: „Langfristig verlieren beide Seiten auf jeden Fall.“

An Kochs Lehrstuhl gibt es zu diesem Thema eine aktuelle Doktorarbeit. Sie untersucht, ob sich negative Berichterstattung wie aktuell bei VW auf die Stimmung im Konzern auswirkt. Das Ergebnis: Bei miesen Schlagzeilen nehmen die Mitarbeiter plötzlich Stress stärker wahr, ihr Vertrauen ins Management sinkt, das Betriebsklima fühlt sich schlechter an. „Dadurch kann auch die Arbeitsleistung abnehmen“, sagt Koch. „Im schlimmsten Fall setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang.“

Um solche Prozesse zu verhindern, müsse die Kommunikationsabteilung des Konzerns allen Beteiligten schon im Vorfeld möglicher Konflikte klarmachen, dass sie durch die Eskalation nur verlieren können. Wenn der Schaden einmal da sei, könne man ihn im Nachhinein nur noch schlecht korrigieren, sagt Koch. Schließlich glaube dem Konzern keiner mehr, dass alles rosig sei, wenn eine Woche lang öffentlich mit Schmutz geworfen wurde.

Für VW sieht Koch in der derzeitigen Lage nur noch einen Ausweg. Erstens: Den Konflikt rausholen aus der Öffentlichkeit. Zweitens: Intern eine Lösung für den Streit finden. Drittens: Die Lösung als gemeinschaftlichen Kompromiss nach innen und außen kommunizieren. Kochs Kollege Thorsten Hofmann hat indes noch einen vierten Ratschlag: Während der internen Verhandlungen sollte man vielleicht eine Art Waffenstillstand vereinbaren, sagt er. Und vor allem auf Rundbriefe bis auf weiteres verzichten.

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