Bay View Campus Lieber Campus statt Homeoffice: So will Google seine Mitarbeiter locken

Bay View Campus Quelle: Iwan Baan

Trotz populärer Heimarbeit errichtet Google im Silicon Valley riesige Büroparks. Ein Besuch im Bay View Campus, dem ersten von dem Suchkonzern selbstentwickelten Bürokomplex. Machen solche Bürogebäude noch Sinn?

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„Auf diese Fragen habe ich nur gewartet“, freut sich Michelle Kaufmann. Die Architektin ist bei Google für weltweite Grundstücksentwicklung verantwortlich und hat zu einer Besichtigung von Googles neuestem Campus eingeladen. Er heißt Bay View, liegt im Norden von Mountain View, etwa zwanzig Minuten zu Fuß von Googles berühmten Hauptquartier Googleplex. Es ist die neue Heimstatt der Google-Sparte, die für den Konzern das große Geld verdient: die Anzeigenverkäufer.

Das Besondere an dem 100.000 Quadratmeter Komplex aus zwei Bürogebäuden, der bis zu 4500 Mitarbeiter beherbergen kann, ist zum einen seine ungewöhnliche Form: Von vorn betrachtet sehen die Gebäudeteile wie Zelte aus, aus der Vogelperspektive wie eine gewaltige Flunder mit einer Haut aus speziellen Solarzellen – insgesamt 90.000 Panels. Sie können bis zu sieben Megawatt Energie erzeugen. Das Solardach wurde von der Schweizer Firma SunStyle entwickelt. Zudem sammelt das Dach Regenwasser für Toiletten und Kühlanlagen. Die Gebäude werden geothermisch beheizt.
Neu ist, dass Google diesmal den Komplex von Grund auf gestalten konnte, unterstützt von der Bjarke Ingels Group sowie dem Heatherwick Studio.

Das Solardach des neuen Google-Campus besteht aus insgesamt 90.000 Panels der Schweizer Firma SunStyle. Quelle: Google

Bislang übernahm der Suchkonzern bestehende Gebäude und konnte sich dann nur in der Inneneinrichtung und der Farbgestaltung ausleben. Der Googleplex beispielsweise wurde für Silicon Graphics errichtet, einem auf Grafikcomputer spezialisierten Unternehmen, das Anfang der neunziger Jahre mal ein Aushängeschild des Hightech-Tals war – bis die wachsenden Grafikfähigkeiten von herkömmlichen und wesentlich günstigeren Personalcomputern ihm das Geschäft zerstörten.

„Beim Bay View Campus wollten wir zeigen, wie ein Bürogebäude aussieht und funktionieren muss, damit es von seiner Anziehung auch ein Jahrhundert überleben kann“, erzählt Kaufmann. Ihr Team schaute sich Gebäude an, die heute noch populär sind, darunter den 1913 errichteten Grand Central Terminal in Manhattan. Er ist vor allem für seine hohen Decken bekannt und die übergroßen Fenster. Tatsächlich ähneln die beiden Gebäude des Bay View Campus einem Bahnhof. Die erste Ebene ist wie eine Ladenzeile angelegt, mit Restaurants, Cafés, Besprechungsräumen und Bereichen, die wie Marktplätze anmuten. Die zweite Etage ist eine gigantische Sammlung von Großraumbüros, alles nach oben offen, mit bis zu 20 Meter hohen Decken. Unternehmen, die auf jeden Dollar achten müssen, hätten in dem Raum noch locker vier oder fünf Etagen mit Büros unterbringen können.

Als Google vor sechs Jahren mit dem Projekt startete und 2017 mit dem Bau begann, war die Welt jedoch noch nicht mit einer Seuche wie Covid-19 konfrontiert, der Heimarbeitsplatz die Ausnahme. Die offensichtlichen Fragen also an Kaufmann: Wie hat die Coronapandemie den Campus verändert? Und machen solche großen Bürogebäude überhaupt noch Sinn, wo die Mehrheit der Mitarbeiter sie am liebsten gar nicht mehr betreten will?

In der zweiten Etage – der Büroebene – ist nichts fix. Alles ist modular, befindet sich auf Rädern, kann wie auf den Gleisen eines Bahnhofs verschoben werden. Quelle: Google

Um die ausführlichen Antworten der Google-Managerin zusammenzufassen: Die Größe der Gebäude und ihre gigantische Deckenhöhen haben geholfen, sie besser für Corona-Bedingungen anzupassen. In der zweiten Etage – der Büroebene – ist nichts fix. Alles ist modular, befindet sich auf Rädern, kann wie auf den Gleisen eines Bahnhofs verschoben werden. So lässt sich eine Bürofläche von zehn Mitarbeitern auf bis zu 200 Arbeitsplätze erweitern und wieder zurücknehmen. Bücherregale und Sofas dienen dann als Wände, für Privatsphäre und Ruhe sorgen Videokonferenz-Kabinen auf Rollen.

Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes

Die Konferenzräume in der ersten Etage wiederum wurden mit weit mehr Displays und Kameras ausgestattet als ursprünglich vorgesehen. Und nicht wie üblich nur am Kopfende, sondern auch an der Seitenwand. Die Idee ist, dass Mitarbeiter sich von überall her zuschalten können und trotzdem das Gefühl haben, mitten in der Runde zu sitzen.

Trotzdem: „Die meisten unserer Mitarbeiter werden an drei Tagen in der Woche ins Büro kommen“, setzt Google-Chef Sundar Pichai die Erwartungshaltung. Wann genau ist den Vorgesetzten überlassen. Und das beantwortet auch die Frage, ob solche Bürogebäude überhaupt noch Sinn machen, zumindest für Google. „Wir wachsen so stark, dass wir derzeit zu wenig Büroraum haben“, erklärt Kaufmann. Weltweit beschäftigt Google rund 160.000 Mitarbeiter, 40.000 mehr als vor der Coronapandemie. Knapp ein Drittel davon arbeitet im Silicon Valley und San Francisco.

Dass nicht mehr alle gleichzeitig im Büro sein müssen, hilft dem Unternehmen deshalb sogar. Google expandiert weiterhin kräftig im Silicon Valley. Direkt neben dem Googleplex baut das Unternehmen gerade einen 55.000 Quadratmeter großen Campus für 2700 Mitarbeiter, der nächstes Jahr fertiggestellt werden soll. Entlang des Highway 101 soll außerdem ein 165.000 Quadratmeter großer Büropark namens Google Landings entstehen. Der östliche Teil von Mountain View wird dann ein gigantischer Google Campus sein. Aber auch in der Silicon-Valley-Metropole San Jose breitet sich der Konzern aus. Dort entsteht am Rande des Stadtzentrums, direkt neben einem Bahnhof und einem Kongresszentrum eine Art kleine Google-Stadt, komplett mit rund 4000 Wohnungen, Geschäften, Parks und 165.000 Quadratmeter Büroflächen.



Die Erkenntnisse aus dem Bay-View-Campus sollen dort einfließen, vor allem was nachhaltiges Bauen und erneuerbare Energien angeht. Das Antlitz der Gebäude mag sich ändern. Doch bei der Kultur setzt Google weiterhin auf Bewährtes: Massageräume, Spielzimmer, Fitnesscenter, Cafés und opulente Buffetts bleiben erhalten. Sie sollen die Mitarbeiter weiterhin ins Büro locken. Auch so etwas scheint die Zeit zu überstehen. Zumindest so lange, wie es die Profite hergeben.

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