Cyberpsychologin Astrid Carolus „Brüste verschwinden, Fake-News aber nicht“

In der Debatte um Fake-News fordert die Politik verschärfte Maßnahmen, Facebook reagiert mit Medienpartnerschaften. Medienpsychologin Astrid Carolus mahnt jedoch zur Besonnenheit und zu einem anderen Umgang.

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Das Phänomen das es schon immer, der gewählte Kanal der sozialen Netzwerke ist neu. Quelle: dpa

Fake-News, Hasskommentare und Volksverhetzung: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Data Debates“ von Tagesspiegel und Telefónica diskutierten Experten über das digitale Miteinander und den menschlichen Umgang im Netz. Medienpsychologin Astrid Carolus fordert im Interview ein Umdenken in der Diskussion.

Frau Carolus, die Debatte über Fake-News dauert schon länger an. Mittlerweile hat sich auch die Politik eingeschaltet. Wie gefährlich sind die Falschnachrichten?
Zuerst stellen wir fest, dass Fake-News und auch Hasskommentare nicht das Internet beherrschen, obwohl man das aufgrund der Debatte gerade denken könnte. Sicher: Sie sind ein Problem, aber die mediale Aufmerksamkeit suggeriert gerade, dass es sich um ein Massenphänomen handelt.

Also haben wir kein Problem?
Lassen Sie uns doch erst einmal einen Schritt zurückgehen und darauf schauen, wie massiv das Ganze wirklich ist. Und dann erkennen wir: Das, was online passiert, geschieht auch offline. Denn dahinter stecken Menschen, die sich seit der Erfindung des Internets nicht verändert haben. Evolutionär gesehen stecken immer noch dieselben Bedürfnisse und Motive dahinter – das gilt auch für Fake-News. Und das Problem fängt schon bei der Definition an: Jeder versteht etwas anderes darunter. Wichtig wäre daher zunächst eine ungefähre Definition. Da sind wir Wissenschaftler langweilig.

Wie könnte so eine Definition aussehen?
Man könnte sagen: Es sind Lügen, die gestreut werden, um politisch Einfluss zu nehmen. Und das ist ein Phänomen, das es schon immer gab. Fernsehen, Radio, Presse, Flugblätter. Aber: Der gewählte Kanal der sozialen Netzwerke ist neu. Die potenzielle Reichweite ist viel höher. Und: Jeder kann zum Produzenten werden– es gibt dort keine klassischen Gatekeeper. Aber es stimmt auch: Immer, wenn neue Medien aufkommen, gibt es Geschrei.

Also nur Aufregung um der Aufregung Willen?
Denken wir mal zurück: Früher sollten Frauen keine Bücher lesen, man befürchtete, sie würden der Hysterie verfallen. Das Radio führte dazu, dass Leute es als zu laut und ebenfalls gefährlich einschätzten. In meiner Kindheit durfte ich zum Beispiel bestimmte Fernsehsender nicht schauen, weil meine Eltern davon überzeugt waren, dass da Unwahrheiten oder sensationsgetriebene Überspitzungen verbreitet würden. Darüber spricht heute fast keiner mehr, weil wir eher einschätzen können, wie glaubwürdig die wirklich sind. Mit den sozialen Netzwerken ist es jetzt ähnlich.

Also gibt es keine neue Gefahrenlage?
Doch, aber wir müssen uns auch eines bewusst machen: Nur weil irgendetwas auf Facebook gepostet wird, heißt es noch lange nicht, dass diese Botschaft automatisch eine riesige Reichweite generiert und selbst dann heißt es nicht, dass der Inhalt einfach geglaubt wird. Ja, es gibt dramatische Fälle von Fake-News. Aber es sind statistisch gesehen, also im Vergleich zu den Posts und Tweets, die jeden Tag veröffentlicht werden, eher Einzelfälle.
Dieses Ausblenden der Relation erinnert mich an die mediale Aufmerksamkeit für die Facebook-Partys früher, in denen Mamas Wohnzimmer mit Menschen geflutet wurde. Und wenn wir die Glaubwürdigkeit betrachten: Da liegen die sozialen Netzwerke immer noch weit hinter den klassischen Medien und insbesondere hinter dem persönlichen Umfeld. Das haben zuletzt auch Studien nach der Trump-Wahl gezeigt. Außerdem geht es auch immer darum, was die Leute glauben wollen.


„Das Internet hat Meinungen öffentlich gemacht, die wir nicht wahrnehmen wollten“

Sprechen wir jetzt über Filterblasen?
Definitiv. Journalisten gehen immer davon aus, dass Menschen Medien rezipieren, um sich grundlegend zu informieren. Das stimmt auch, zum Beispiel beim Wetterbericht. Sonst ist die Motivationslage gar nicht so eindeutig. Selbst Nachrichten rezipieren wir nicht nur, um uns zu informieren. Ein wesentlicher Punkt ist zum Beispiel auch, seine eigene Weltsicht zu bestätigen. Dazu würden wir statt Filterblase übrigens defensive Selektivität sagen. Das heißt: Wir lesen bevorzugt das, was unserer Meinung entspricht. Und wenn es nicht drin steht, interpretieren wir das hinein. Das gab es schon immer: Ein klassischer „FAZ“-Leser schaut nicht jeden Tag, was die „Taz“ zu den einzelnen Themen sagt. Klar, Algorithmen verstärken dieses Phänomen, aber die Idee, dass Rechtsradikale früher mit großem Interesse linke Medien gelesen hätten, ist absurd.

Also gab es Fake-News schon immer?
Es wird immer so getan, als wären Hasskommentare und Fake-News völlig neu. Setzen Sie sich mal an einen Stammtisch irgendwo in Deutschland. Wenn Sie Pech haben, hören Sie genau das, was wir als Fake-News und Hasskommentare einschätzen würden. Das Internet hat Meinungen einfach öffentlich gemacht, die wir in unserer akademischen Filterblase nicht wahrnehmen wollten.

Also würde eine Kennzeichnung von Fake-News nichts ändern?
Das kommt ganz auf die Motivation der Nutzer an. Suchen Sie nach Glaubwürdigkeit, könnte ein solcher Hinweis wichtig sein. Sind sie aber gerade mit der Bahn auf dem Weg zur Arbeit und lediglich auf der Suche nach ein bisschen Ablenkung, dann könnte die Aufmerksamkeit so gering sein, dass sie den Hinweis einfach überlesen.

Wie beurteilen Sie Facebooks Zusammenarbeit mit Medien?
Es scheint schon absurd, dass Brüste automatisch geblockt werden und bei Hasskommentaren und Fake-News zu lange zu wenig passiert ist. Das müssen die in den Griff bekommen. Aber als internationales Unternehmen muss Facebook sich nach den sehr unterschiedlichen Gesetzen der verschiedenen Staaten richten. Die derzeit diskutierte Zusammenarbeit mit Journalisten, also Profis in diesem Bereich der Recherche, ist da keine schlechte Idee. Schließlich muss sich Facebook sonst dem Vorwurf der Zensur aussetzen. Genau so, wie das mit den Nacktbildern immer wieder passiert.
Wir sollten uns aber vielleicht auch überlegen: Wollen wir Facebook wirklich die Entscheidung darüber lassen, was wahr ist und was nicht? Und: Wie viel ist Facebook bereit, in das Problem zu investieren? Wenn es mehr sein soll als ein aufmerksamkeitsstarker Beweis „etwas zu tun“, dann wird das sehr aufwändig und damit sehr teuer. Vielleicht lassen wir uns da auch ein bisschen von den großen Konzernen an der Nase herumführen: Brüste verschwinden, Fake-News aber nicht.

Was kann also konkret helfen?
Es muss gesetzliche Rahmenbedingungen gegen Volksverhetzung und Beleidigung geben. Aber wir brauchen auch mehr Initiativen zur Medienkompetenz. In den Schulen gibt es eine Lehrergeneration, die nicht mit dem Netz groß geworden ist. Man kann ihnen gar keinen Vorwurf machen. Aber man kann ihnen die Herausforderung, Kinder zu medienkompetenten Erwachsene zu erziehen, auch nicht einfach überlassen. Wir brauchen noch mehr Bildungsinitiativen, in denen Menschen in die Schulen gehen und Medienkompetenz vermitteln. Und das dürfen wir nicht nur Unternehmen wie Google oder Facebook überlassen, da müssen staatliche Institutionen und Initiativen ran.

Frau Carolus, vielen Dank für das Interview.

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