Mit der Übernahme sämtlicher Geschäftsanteile der Gravis-Computervertriebsgesellschaft rückt Freenet ganz nah an die Kultfirma Apple heran. „Die gezielte Ausweitung unseres Angebots hochwertiger Apple-Lifestyle-Produkte rund um den Mobilfunk und mobiles Internet über alle Vertriebskanäle ist eine ideale Ergänzung unserer strategischen Entwicklung zum echten Digital-Lifestyle-Anbieter“, sagt der Vorstandsvorsitzende der in Hamburg ansässigen Freenet AG. Gravis hat mit dem Verkauf von Apple-Produkten einen Jahresumsatz von rund 160 Millionen Euro erzielt.
Für Vilanek hat die Übernahme auch persönliche Konsequenzen. Er übernimmt künftig auch die Rolle von Gravis-Gründer und -Geschäftsführer Archibald Horlitz, der als erster Apple-Händler in Deutschland alle Höhen und Tiefen der Computerfirma aus Cupertino in den vergangenen 25 Jahren erlebt hat. Horlitz wird sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Ob er in den Aufsichtsrat von Freenet einzieht, ist noch offen. Das Kartellamt muss der Übernahme noch zustimmen, mit einer Entscheidung wird Anfang 2013 gerechnet.
Für die Freenet-Kunden wird es künftig einfacher, Apple-Geräte mit Verträgen aller vier in Deutschland aktiven Mobilfunkbetreiber zu kombinieren. Denn im Kern bedeutet die Übernahme, dass Freenet viel stärker in den 28 vor allen in Großstädten angesiedelten Gravis-Länden Flagge zeigt und dort auch Mobilfunkverträge verkauft. Im Gegenzug bekommt Gravis eine eigene Verkaufstheke in den 550 von Freenet betriebenen mobilcom-debitel-Shops. Apple weitet dadurch seine Vertriebsaktivitäten mit einem Schlag auf ganz Deutschland und stärkt damit seine bis dato eher schwache Präsenz in eher ländlich geprägten Regionen.
Unberührt von dem Gravis-Deal sind lediglich die exklusiven Vertriebspartnerschaften für das iPhone, die Apple mit den Mobilfunknetzbetreibern wie die Deutsche Telekom und Vodafone eingegangen ist. Freenet bekommt alle iPhones weiterhin von Telekom & Co. geliefert. Doch mittelfristig könnte sich auch das ändern. Denn in Großbritannien ist Apple bereits eine Vertriebspartnerschaft mit dem Großhändler Carphone Warehouse eingegangen.
Der Aktienkurs von Freenet hat auf die Nachricht von der Übernahme leicht positiv reagiert. Angesichts der Tatsache, dass die Aktie seit Jahresanfang knapp 50 Prozent zugelegt hat, ist das ein gutes Zeichen. Vor der Übernahme lag das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Tec-Dax-Werts auf Basis der für 2012 erwarteten Gewinne bei knapp 11 und für 2013 bei 8,4 das ist nicht teuer. Berücksichtigen müssen Anleger aber auch, dass Freenet zuletzt ein Wachstumsproblem hatte. Der Umsatz 2012 dürfte mit geschätzt 3,07 Milliarden Euro um knapp fünf Prozent unter dem des Vorjahrs liegen.
Der Reiz der Aktie liegt in der Dividende
Der Gravis-Zukauf wäre so gesehen ein Befreiungsschlag, auch wenn er die Nettoverschuldung von zuletzt 500 Millionen Euro (bei 1,88 Milliarden Euro Börsenwert) erhöhen könnte. Die Analysten dürften jetzt ihre Gewinnschätzungen nach oben heben.
Der Reiz der Aktie liegt seit jeher in der Dividende; aktuell kommen Investoren auf eine jährliche Rendite von rund acht Prozent, die Ziffer lag zeitweise auch schon bei fast 12. Wer die Aktie seit zwei Jahren hält, hat - Dividenden und Kursgewinne zusammengefasst - rund 70 Prozent Gewinn gemacht.
Das wird nicht mehr so weiter gehen, aber Freenet bleibt ein attraktives Investment.
Noch hat das Unternehmen rund 500 Millionen Euro Finanzschulden. Sonderabschreibungen drücken den Gewinn, wegen der Abschreiber kommen aus einem jährlichen Mittelzufluss (Free Cash-Flow) von aktuell 225 Millionen Euro nur rund 117 Millionen Euro Gewinn vor Steuern (EBT) heraus, dennoch liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis nur bei rund acht. Bereinigt um die Abschreibungen läge es gar nur bei rund vier.
Der hohe freie Mittelzufluss ermöglicht bis auf weiteres die Zahlung der üppigen Dividenden. Großanleger wie der Kölner Vermögensverwalter Flossbach & von Storch arbeiten daran, dass dies so bleibt. Auf der letzten Hauptversammlung setzten die Kölner, die derzeit rund drei Prozent an Freenet halten, durch, dass statt der geplanten 1,00 Euro je Aktie letztlich 1,20 bezahlt wurden. Sie wollen auch weiterhin auf gute Dividenden drängen.
Fazit: Mit Freenet kauft man sicherlich keine Kursrakete, aber die Dividende dürfte weiter sprudeln – und weitere Aktionäre anlocken. Kurse um die 16 Euro sind durchaus drin.