Kreativ-Konferenz SXSW Künstliche Intelligenz fürs Gehirn

Auf der SXSW-Konferenz spielt Medizin eine große Rolle. Dabei wächst der Gesundheitsbereich zusammen mit Computertechnik. Stargast ist Ex-Vizepräsident Joe Biden, der sich dem Kampf gegen Krebs verschrieben hat.

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Der frühere US-Vizepräsident Joe Biden in Austin bei einer Podiumsdiskussion beim South by Southwest (SXSW) Festival Quelle: dpa

Austin Über zwei Etagen erstreckt sich die Schlange, um anzustehen für Joe und Jill Biden. Später im Ballsaal werden der Ex-Vizepräsident der USA und seine Frau mit begeistertem Applaus empfangen. Doch dann, als sie über ihre Initiative zum Kampf gegen Krebs sprechen, wird es still. Joe Biden sagt: „Wir möchten anderen Familien das ersparen, was wir durchgemacht haben.“

Vor zwei Jahren starb ihr Sohn Beau Biden an Krebs. Vor einem Jahr startete der Vater, damals noch im Amt, mit Unterstützung von Präsident Barack Obama eine Initiative, die er jetzt als Privatmann fortsetzt. Das Ziel ist, die Zusammenarbeit in der Krebsforschung zu fördern, Datenbanken aufzubauen und mit Supercomputern auszuwerten, mehr Kooperation auch in der medizinischen Praxis zu erreichen. Der Traum des Ehepaars Biden ist eine Welt ohne Krebs.

Auf der Kreativ-Konferenz „South by Southwest“ in Austin, Texas, spielt Medizin eine große Rolle. Dazu trägt bei, dass die Universität der Stadt vor kurzem eine neue medizinische Fakultät bekommen hat. Immer ist dabei auch die Zusammenarbeit zwischen Ärzten oder Pharmaforschern und Computerwissenschaftlern ein Thema.

Mehrstufige, interaktive Grafiken

Roxanne Kunz von der Pharmafirma Amgen berichtet von einem Projekt, das die Entwicklung neuer Wirkstoffe, etwa gegen Krebs oder Alzheimer, beschleunigen soll. Bisher liegt sie im Schnitt bei zwölf Jahren. Kunz zeigt anschaulich eines der Probleme in der Forschung. Traditionell wurde die Zusammensetzung von Molekülen in riesigen Tabellen abgespeichert. Hieraus Unterschiede und Ähnlichkeiten herauszufiltern, um verbesserten Wirkstoffen auf die Spur zu kommen, ähnelte der sprichwörtlichen Suche der Nadel im Heuhaufen. Amgen engagierte daher Christian Marc Schmidt mit seiner Firma Schema. Er und sein Team unterhielten sich zunächst intensiv mit den Wissenschaftlern und entwickelten dann mehrstufige, interaktive Grafiken, bei denen Ähnlichkeiten im Aufbau oder Überschneidungen im Wirkungsbereich sehr schnell sichtbar werden, während alle nicht interessanten Daten ausgeblendet werden.

Vorbild dafür waren unter anderem aufwendige Grafiken der „New York Times“, mit denen anschaulich gemacht wurde, welche Verkehrsmittel wie genutzt werden, oder wie die New Yorker auf Social Media unterwegs sind. Das ganze Projekt soll nicht nur den Patienten helfen. Sondern auch die Entwicklungskosten für neue Wirkstoffe senken, die zurzeit noch bei jeweils rund 2,6 Milliarden Dollar liegen.

Ray Duncan von der Klinik-Kette Cedars-Sinai berichtet, wie die Apple-Watch und Fitbit-Armbänder Patienten den Puls fühlen und Herzkrankheiten überwachen. Der Versuch läuft seit rund zwei Jahren, hat aber einige Probleme aufgezeigt, wie Duncan erklärt. So gilt es, den Datenkreislauf so zu gestalten, dass die Privatsphäre gewahrt bleibt. Schwierig ist auch, das System immer auf dem neuesten Stand zu halten, weil ständig neue Geräte herausgebracht werden.

Viel spezieller sind Anwendungen, in die Jordan Armadio mit seiner Firma Neuro-Launch investiert. Er ist Neuro-Chirurg von Beruf und möchte Patienten mit mentalen Problemen helfen. Dabei gibt es ganz verschiedene Ansatzpunkte, von der Therapie bis hin zum Training von Chirurgen. Der Psychiater Arshya Vahavzadeh verfolgt mit seiner Firma Brain-Power ganz ähnliche Ziele. „Sie können anhand der Art, wie jemand ein I-Paid benutzt, Autismus diagnostizieren“, sagt er. Die Software hilft den Patienten auch, Emotionen bei Gesprächspartnern zu erkennen – ein typisches Problem für Autisten.

Auch das Handy kommt zum Einsatz, wie die Psychiaterin Mimi Winsberg von der Firma Ginger.io berichtet. Patienten mit Depressionen halten über eine App Kontakt zu einem Betreuer. Dabei werden die Daten, die das Handy liefert, gleich mit ausgewertet. Je nachdem, wie häufig jemand mit anderen Menschen kommuniziert, kann es in Zusammenhang mit anderen Daten sogar eine Warnung geben, dass der Klient selbstmordgefährdet ist. Alle drei, der Neurochirurg und die beiden Psychiater, sind Beispiele dafür, wie praktische Erfahrung der Experten und Geschäftssinn zusammenkommen und für Patienten nutzbar gemacht werden.


„Forscher müssen mit Ethikern zusammenarbeiten.“

Walter Greenleaf von der Uni Stanford macht sogar virtuelle Realität für Patienten mit psychischen Problemen verfügbar. Damit lassen sich zum Beispiel Phobien, also krankhafte Ängste, bekämpfen. Die Patienten erleben die Situationen, etwa Platzangst, realitätsgetreu, wissen aber, dass kein wirklicher Grund zur Sorge besteht. Auf diese Weise können sie sich ihre Probleme nach und nach abtrainieren.

Ein Star der Konferenz ist die Bio-Chemikerin Jennifer Doudna von der Universität Berkeley. Sie hat ein Verfahren namens CRISPR mit entwickelt, das ermöglicht, Gene nach Maß zurechtzuschneiden. Die Abkürzung steht für „Clustered regularly interspaced short palindromic repeats“, und die Methode, keine fünf Jahre alt, eignet sich für einen ganzen Strauß von Anwendungen, wie Doudna erklärt. Damit kann genmodifiziertes Essen hergestellt werden. Mit „Gene Drive“ ist es auch möglich, veränderte Gene schnell in einer ganzen Population auszubreiten. „Bisher macht man das schon, um Mücken an der Verbreitung von Malaria zu hindern“, sagt die Forscherin, „aber grundsätzlich ist auch der Einsatz beim Menschen möglich.“

Eine andere Anwendung wird sein, Schweine mit menschlichen Organen zu züchten, die sie dann spenden dürfen. Oder Versuchstieren menschliche Krankheiten zu verpassen. Das ist noch längst nicht alles. So werden Immunzellen gestärkt, um Krebszellen zu abzuwehren. Der Einsatz bei Embryos gehört auch zum möglichen Einsatzbereich. Dounda lässt keinen Zweifel, dass sie bei alledem die Vorteile für die Menschen im Auge hat. Aber sie sagt: „Wir Forscher müssen hier mit Ethikern zusammenarbeiten, und das tun wir auch.“

Die anschaulichsten Beispiele für den Einsatz von Technik geben zwei junge Frauen und ein Mann. Jede der beiden Frauen hat beim militärischen Einsatz ein Bein verloren, der Mann sogar beide Beine. Sie erzählen ausführlich davon, wie moderne Prothesen sie buchstäblich wieder ans Laufen brauchten, eine ihnen, Melissa Stockwell, sogar bei den Paralympics. Alle drei verströmen unglaublichen Optimismus, ohne das Leid zu verschweigen, das sie durchgemacht hatten. Aber die Botschaft ist eindeutig: Es gibt ein Leben nach der schweren Verletzung. Christy Wise tritt sogar in Uniform auf und bereitet sich darauf vor, möglichst bald wieder als Pilotin zum Einsatz zu kommen. Sie freut sich darüber, dass es in Amerika inzwischen zwanglos möglich ist, Prothesen zu zeigen. „Es gibt keinen Grund, keine Shorts zu tragen“, sagt sie.
Heath Calhoun, Vater dreier Kinder, tritt mit Shorts auf, die seine Beine aus schwarzem Metall sehen lassen. Er hat sich ein bescheideneres Ziel als seine Leidensgenossinnen gesetzt – und erreicht: „Ich führe heute wieder ein ganz normales Leben.“

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