Krankenversicherung Wie krank ist ihre Kasse?

Nach der Schließung der City BKK droht eine Kettenreaktion: 23 weitere gesetzliche Kassen gelten als gefährdet. Verschleiert wird das durch gesetzlich erlaubte Bilanzkosmetik und Intransparenz.

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Krankenkassen

Gebrechliche Alte, erschöpft auf ihren Rollator gestützt, warten vor den Geschäftsstellen Berliner Krankenkassen auf Einlass. Die 167.000 Kunden der City BKK suchen wegen Insolvenz eine neue Kasse, viele finden bisher keine. Dass aus 147 Kassen weniger werden, ist den deutschen Kassenvorständen zwar recht – aber doch bitte ohne unschöne Fernsehbilder und hässliche Schlagzeilen.

Die Branche hofft, das Thema möge sich schleunigst versenden. Doch Szenen wie bei der City BKK könnten sich bald wiederholen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sieht in internen Schätzungen „vermehrte Anhaltspunkte für eine potenzielle Gefährdung“ bei 23 Kassen. Die Wackelkandidaten versichern rund 28 Millionen Menschen – 40 Prozent aller Versicherten. Selbst das mit öffentlichen Äußerungen zurückhaltende Bundesversicherungsamt, das die meisten Kassen kontrolliert, warnt, dass „einige Kassen mit ihren Rücklagen unter dem Mindestsoll liegen“.

Mehrere Krankenkassen waren vo finanziellen Problemen

Die BKK Heilberufe warnte die Aufsicht bereits vor ihrer Insolvenz, die Vereinigte IKK räumt finanzielle Probleme ein und führt Gespräche, um einen Zusatzbeitrag zu verhindern. Auch DAK und AOK Bayern gelten als finanziell angeschlagen, gehen aber beide von der Lösung ihrer Probleme aus. Eine Umfrage der WirtschaftsWoche unter den 30 größten Krankenkassen, die rund 60 Millionen der 70 Millionen Krankenversicherten betreuen, zeigt wie unterschiedlich die Kassen positioniert sind – und welche erst gar nicht antworten.

Dass nicht noch mehr Kassen mit ihren Problemen in der Öffentlichkeit stehen, ihre Mitglieder von der Bedrohung bisher nichts ahnen, liegt vor allem daran, dass die Krankenkassen finanzielle Schieflagen viel leichter verschleiern können als privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie sind nur verpflichtet, wenige Daten zu veröffentlichen. Alle Zahlen kennen nur Gesundheitsministerium und Versicherungsaufsicht. Doch beide dürfen keine Zahlen herausgeben, um öffentlich keine Vertrauenskrise in Gang zu setzen – wie bei der Bankenaufsicht in der Finanzkrise.

Wie ernst die Lage ist, zeigen die aktuellen Tarifverhandlungen. Mehrere Ersatzkassen, darunter die KKH-Allianz, streiten mit der Gewerkschaft Verdi wie die Kesselflicker um einen „Notfall-Rahmenvertrag“ für betriebsbedingte Kündigungen, für die die Tarifvereinbarungen nicht ausreichen. Verdi-Sprecher Jan Jurczyk: „Kaum hatten wir erste Vereinbarungen, sind einzelne Kassen wieder ausgestiegen – die spielen auf Zeit.“ Soll heißen: Bevor sie ihre Leute an die Luft setzen, warten sie ab, ob angeschlagene Konkurrenten nicht bald wegfusioniert werden und sie selbst womöglich besser dastehen.

Jede AOK ist anders

Auch bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen – mit 24,1 Millionen Versicherten knapp so groß wie die Ersatzkassen mit 24,6 Millionen Kunden – herrscht Aufregung. Die AOK sind finanziell mitnichten ein einheitlicher Block. So gilt die AOK plus in Sachsen-Thüringen als gut aufgestellt, die AOK Bayern dagegen schwächelt: Im März appellierte der Bayerische Hausärzteverband in einem öffentlichen Brandbrief an Bayern-AOK-Chef Helmut Platzer, eine gute hausärztliche Versorgung dürfe nicht an der finanziell bedrohlichen Lage der AOK scheitern. Die AOK wehrte sich: Sie komme ohne Zusatzbeitrag aus und stelle ihren Versicherten umfassende Leistungen ohne zusätzliche finanzielle Belastung zur Verfügung.

Die DAK mit ihren 5,8 Millionen Versicherten steht unter besonderer Beobachtung des Versicherungsamtes. Mancher in der Branche wiegelt ab: Es wird schon nicht so schlimm enden für die DAK, sie sei doch systemrelevant. Too big to fail – wie bei den Banken.

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