Maschinenbau Der Kampf um die Aufmerksamkeit

In Hannover treffen sich diese Woche Maschinenbauer aus aller Welt, um ihre Neuheiten zu präsentieren – und immer mehr IT-Firmen. Wer braucht noch die Cebit, wenn alle wichtigen Kunden auf der Hannover Messe sind?

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Augmented-Reality-Brille kann bei Reparaturarbeiten zusätzlich Information im Sichtfeld des Bedieners einblenden. Quelle: dpa Picture-Alliance

Am 24. April ziehen die Kannibalen in Hannover ein. Sie tragen teure Anzüge und die bekanntesten unter ihnen dürfen der Kanzlerin beim Messerundgang die Hand schütteln. Es sind die Chefs der großen deutschen Maschinenbauer, mehrheitlich ruhmreiche Manager. Aber weil sie enorme Investitionsbudgets in die Digitalisierung ihrer Fabriken stecken wollen, gehen sie der IT-Messe Cebit, ebenfalls in der Leinestadt, ungewollt ans Leder. Immer mehr Software-Spezialisten wollen nicht mehr dort unter ihresgleichen ausstellen, sondern sich gleich in den Hallen ihrer potenziellen Kunden aus dem Maschinen- und anlagebau ansiedeln.

Deren Messemotto sagt alles: „Integrated Industry – Creating Value“ – erst die vernetzte Industrie schafft neue Geschäftsmodelle.

Und wenn im nächsten Jahr auch die einst ausgegliederte Intralogistikmesse ceMAT zurück integriert wird, bildet die Hannover Messe die gesamte Wertschöpfungskette im Maschinenbau, der Automatisierungs- und Elektrotechnik ab. Digital schöner kann es woanders gar nicht sein.

Was die Besucher auf der Industrie-Messe erwartet
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
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Doch um beide Messen zu bestücken, dafür sind nicht nur die Standmieten viel zu teuer. Agenturkosten, Transport, Standbau, IT-Infrastruktur, Messepersonal plus die Manntage der eigenen Leute, Catering, Backoffice, Übernachtungen – sich Verkaufen ist kein billiges Vergnügen.

Allein die Standmiete für 1000 Quadratmeter – stattlich für einen Mittelständler, aber Fliegenschiss gegen die Großbauten von Siemens, Microsoft oder SAP – verschlingt schnell 300.000 Euro.

Die Aussteller zahlen es trotzdem, weil die in diesem Jahr 70 Jahre alte Hannover Messe längst die größte Investitionsgütermesse der Welt ist. Alles, was Rang und Namen im Maschinen- und Anlagenbau hat, muss hier sein. Alle, die mit diesen Unternehmen als Zulieferer Geschäft machen wollen auch. Und alle, die die oft millionenteuren Produkte kaufen wollen, sowieso. 6500 Aussteller quetschen sich deshalb dicht an dicht in die Hallen. Rund 210.000 Besucher strömen oder stauen sich je nach Tageszeit und Promidichte durch die Gänge. 2500 Journalisten suchen nach Namen und Geschichten.

Die Leckerbissen der Cebit
Eröffnungsfeier mit der KanzlerinAuf der ersten Cebit-Messe 1994 in Hannover hat Microsoft-Gründer Bill Gates sein PC-Betriebssystem Windows 95 angekündigt. 23 Jahre später allerdings sucht man auf der weltgrößten Messe für Informationstechnik vergeblich nach sperrigen Tower-Rechnern und Laptops. Stattdessen präsentieren die Aussteller in diesem Jahr vom 20. bis zum 24. März vor allem Roboter, Drohnen und selbstfahrende Autos. Die Eröffnungsrede hielt Kanzlerin Angela Merkel. Quelle: dpa
Drohnenpark von IntelDer Wandel zeigt sich auch bei Intel: Ist der Konzern den meisten Menschen noch als Chiphersteller für PCs ein Begriff, präsentiert er sich in Hannover diesmal mit einem eigenen Drohnenpark. Mit intelligenten Sensoren sollen die Geräte auch ohne menschliche Steuerung navigieren können und so zum Beispiel für Wartungsarbeiten eingesetzt werden. Sogar die Kanzlerin und ihr japanischer Kollege Shinzo Abe (l.) staunen. Dem Thema widmen sich viele Aussteller: Insgesamt 30 Firmen präsentieren in Halle 17 eigenen Drohnentechnologien. Quelle: REUTERS
Sushi-RoboterDas zweite große Thema der Messe: Roboter – wie dieser auf dem Stand von Tensor Flow. Behutsam legt er Sushi-Teile von einem Laufband auf Teller. Die Aussteller auf der Cebit sind dafür bekannt, nicht nur neue Technologien, sondern auch gleich praktische Anwendungsmöglichkeiten mit zu präsentieren. Japan, Vorreiter in Sachen Digitalisierung, ist in diesem Jahr das Gastland der Messe. Quelle: dpa
Humanoider Roboter „Pepper“Auch der humanoide Roboter „Pepper“ von Aldebaran und Soft Bank ist auf dem Messegelände zu sehen. Der Roboter soll Menschen und deren Gestik und Mimik erkennen können – und so beispielsweise in Verkaufsräumen, an Empfangstischen oder im Sozialbereich Anwendung finden. Quelle: dpa
Die Roboter-Technik wird dabei immer filigraner. Dieses Modell, das im „Robotics Innovation Center“ auf dem Messegelände zu besichtigen ist, kann menschliche Handbewegungen detailgetreu nachahmen – bis zum Bewegen der Fingerkuppen. Quelle: REUTERS
Vernetzter FlughafenDer Software-Riese SAP hat sich dagegen Gedanken um einen gesamten Mikrokosmos gemacht: den vernetzten Flughafen. Unter dem Arbeitstitel „Live Airport“ zeigen die Walldorfer ihre Vision eines Echtzeit-Flughafens. Mithilfe von unzähligen Datenströmen soll Flughafen-Management künftig ohne jede Verzögerung funktionieren. Eingebettet ist das Projekt in das Konzept „Run Live“, mit dem sich auch andere Branchen in Echtzeit managen lassen sollen. Quelle: dpa
Selbstfahrender „Olli“Auch andere Firmen greifen den Themenkomplex Verkehr und Transport auf der Cebit auf – und zwar vor allem solche, die bisher eher weniger Erfahrung auf der Straße gesammelt haben. So präsentiert der Tech-Konzern IBM ein selbstfahrendes Fahrzeug, das offenbar für den öffentlichen Verkehr konzipiert ist. Quelle: REUTERS

Die Messe hat schon seit einigen Jahren einen fulminanten Lauf. Man könnte auch sagen: Das Glück war tatsächlich mit dem Tüchtigen. Tüchtig, weil der Messechef „Jochen Köckler die richtige Mischung aus Staubsaugervertreter und Inkassoeintreiber“ sei, wie ihn ein Teilnehmer beschreibt.

Und Glück, weil alle Schlagworte der Digitalisierung – das Internet der Dinge, Smart Factory, künstliche Intelligenz – in den Maschinen und Anlagen aus Hannover kumulieren.

Die Messen kannibalisieren sich

Gut 200.000 Besucher liefen sich auch erst im März auf der Cebit, dem „Centrum für Büro- und Informationstechnik“, die Füße platt. Das sind viele, aber nur halb so viel wie vor zehn Jahren. Der Stern der Hannover Messe leuchtet heller.

Kein Wunder, dass viele Aussteller das Cebit-Konzept schon seit Jahren als altbacken kritisieren. Nicht nur der weltgrößte Softwarekonzern Microsoft verzichtet in diesem Jahr zum ersten Mal ganz auf die Teilnahme an der IT-Leitmesse. Selbst heimische Konzerne wie die Deutsche Telekom sollen sich bereits sehr ernsthaft die Sinnfrage gestellt haben. Manche Aussteller stellten auch deshalb die Integration der Cebit in die Hannover Messe zur Diskussion.  

Inzwischen schaltete sich selbst die viel beschäftigte Bundeskanzlerin Merkel ein. Bei der diesjährigen Eröffnungsfeier der 1986 gegründeten Cebit sagte sie: „Ich plädiere für die Eigenständigkeit von Cebit und Hannover Messe, weil die Cebit die Digitalisierung viel breiter repräsentieren kann“.

Fakt ist: Die Messen kannibalisieren sich.   

Doch noch gibt sich die „Deutsche Messe AG“ offiziell sorglos. Sprecher Onuora Ogbukagu sagt: „Das stimmt nicht, denn Industriekunden sind nur einer von vielen Aspekt der Cebit.“

Da ist es bestimmt nur Zufall, dass die Messe AG im März ankündigte, die Cebit ab 2018 mächtig aufzupeppen. Im PR-Deutsch formulierte sie es so: Auf dem d!campus vereint die d!conomy Themen der Digitalisierung von Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern. Disruptive Technologien, Forschung und Startups gibt es auf dem New-Tech-Festival d!tec und Konferenzen, Workshops sowie Keynotes unter dem Namen d!talk.

So viel d! war nie.  

Diese Motive treiben den Mittelstand bei der Digitalisierung an

Oder nüchterner: Die Cebit wird um einen Tag verkürzt, bleibt nicht Fachmesse, sondern öffnet sich wieder für ein breiteres Publikum und der Termin wird aus dem trüben März in den sonnigen Juni verschoben. Also mit größerem Abstand als den bisher vier Wochen zur konkurrierenden Hannover Messe.

Das Ganze bewirbt die Messe AG als „radikalen Neuanfang“. Konzerte und Events sollen den Kongress tanzen lassen. Die Cebit soll hip werden.

Gilt das bald auch für die Hannover Messe? Happening in Halle 9?

Da sagt der diplomatische Herr Ogbukagu: „Die Maschinenbauer sind doch eher eine businessorientierte Fachmesse.“

So darf es aus Sicht der Stadt Hannover und ihres Umlands auch bleiben. Denn die Ausstellung ist das Geschäft des Jahres für die Region. Nicht nur, weil der Stadt und dem Land Niedersachsen die „Deutsche Messe AG“ als Betreiberin je zur Hälfte gehören.

Auch außerhalb der rund 20 kleinen und großen Hallen fließen die Millionen. In der Messezeit steigen die Übernachtungspreise im Umkreis von 80 Kilometern um 340 Prozent. Beim Einzelhandel und der Gastronomie klingeln die Kassen.

Jeder Euro Messe-Umsatz erzeugt das fünf- bis neunfache an Umsatz in der Region. Bei einem Jahresumsatz 2016 der Messe AG von 301 Millionen Euro und einem mittleren Faktor von 7 ist das ein Geldregen von rund 2,1 Milliarden Euro Umsatz.

Ein schöner Beifang.

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