Helden Contra Corona – Erfahrungsbericht #4 „170 meiner 200 Kunden haben dicht gemacht“

Catering-Unternehmer Wilfried Hänchen Quelle: PR

Kitas und Schulen geschlossen, zwei von fünf Großküchen auf Sparflamme: Wie der sächsische Catering-Dienstleister Wilfried Hänchen, „Held des Mittelstands“, durch die Coronakrise kommt – bislang ohne Kündigungen.

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Wilfried Hänchen (72) ist Inhaber der Unternehmensgruppe Hänchen, einem Catering-Dienstleister in Dreiskau-Muckern nahe Leipzig.

Herr Hänchen, wie geht es Ihnen?
Wilfried Hänchen: Gemessen an den Umständen: gut.

Die Unternehmensgruppe Hänchen ist mit 20 Millionen Euro Umsatz die Nummer drei der deutschen Cateringbranche in der Schul- und Kinderspeisung hinter den Branchenriesen Sodexo und Apetito. Jahrelang ging es bei Ihnen aufwärts. Wann wurde Ihnen klar, dass Ihrem Unternehmen nun eine Vollbremsung bevorsteht?
Mitte März – an dem Wochenende, als die Bundesländer Schul- und Kitaschließungen beschlossen haben. Das war für mich der Anstoß, sofort einen Notfallplan auszuarbeiten. Einen Tag später, am Montag, habe ich dann 25 meiner Führungskräfte inklusive meines Sohnes Mirko, der Mitgesellschafter ist und mein Nachfolger wird, zu einer Krisensitzung zusammengerufen. In den nächsten drei Tagen haben wir Kapazitäten geschlossen, die für 85 Prozent unseres Umsatzes stehen. Zwei unserer fünf Großküchen sind seitdem zu, drei laufen marginal auf Sparflamme. Denn von rund 200 Einrichtungen, die wir beliefern, haben plötzlich 170 dicht gemacht.

Und Ihre Mitarbeiter?
340 unserer rund 400 Mitarbeiter sind jetzt in Kurzarbeit – überwiegend zu hundert Prozent. Das gab es noch nie und das hätte ich mir nie vorstellen können.

Wie ist es, tagsüber durch eine Großküche ohne Geschirr-Klappern, Stimmengewirr und Kochgeruch zu gehen?
Gespenstisch und beklemmend ist das. Aber wir werden das schaffen. Die Corona-Pandemie – so schwierig die Situation auch sein mag – ist eine neue Herausforderung für mich.

Wie lange kann Ihr Unternehmen den Beinahe-Stillstand durchhalten?
Sicher bis Juni oder Juli. Wir haben über Jahre profitabel gearbeitet und die Gewinne im Unternehmen gelassen. Das ist ein ordentliches Polster. Davon leben wir jetzt. Sollten die Schließungen länger dauern, werden wir sicher neben der Kurzarbeit auch die anderen Hilfen nutzen, die die Bundesregierung bereitstellt. Ich schätze, damit kämen wir bis Ende des Jahres klar. Eine Kreditzusage meiner Hausbank habe ich – aber vorerst brauche ich sie nicht.

Haben Sie Mitarbeitern gekündigt?
Keinem meiner Mitarbeiter habe ich gekündigt. Die sind mir zum Teil seit 20, 30 Jahren treu. Und ich brauche sie, wenn es wieder losgeht. Viele Einrichtungen, die wir beliefern – Kitas, Schulen, Behindertenwerkstätten –, sind ja nicht konjunkturabhängig. Die öffnen wieder, sobald sie können. Und dann brauchen sie uns.

Gibt es andere Maßnahmen, mit denen Sie sich finanziell Luft verschaffen?
Wir haben bereits einen Antrag auf Steuerstundung gestellt. Bei den Leasingverträgen für die Fahrzeuge – zu unserer Flotte gehören 40 Lieferwagen – verhandeln wir gerade über Stundungen der Zahlungen für drei Monate. Ich bin optimistisch, dass die Leasinggesellschaften das machen. In so einer Lage zahlen sich langjährige und faire Geschäftsbeziehungen aus.

Hatten Sie vor dem abrupten Stillstand die Kühlkammern mit Waren voll, die dann nicht verwertet wurden? Mussten Sie Lebensmittel vernichten?
Aufgrund unserer Verfahrensabläufe haben wir fast keine Bestände und mussten auch nichts vernichten. Ansonsten sinken der Wareneinsatz und auch der Energieverbrauch mit der zurückgefahrenen Produktion.

Durch die Kurzarbeit verlieren Ihre Mitarbeiter 31 Prozent oder – sofern sie keine Kinder mehr versorgen müssen – 40 Prozent des Nettogehalts. Stocken Sie wie manche anderen Unternehmen das Kurzarbeitergeld auf?
Das hängt davon ab, ob die Agentur für Arbeit unseren Antrag bewilligt und ob die Krise schnell zu Ende geht oder nicht. Wenn es das ganze Jahr schwierig bleibt, geht das nicht. Das jetzt zu entscheiden, wäre falsch. Ich habe ja auch in sechs Wochen noch Verantwortung für meine Mitarbeiter. Wer akut Probleme hat mit dem Netto-Lohnverlust, der kann aber Hilfe bekommen: Für solche Fälle haben wir eine Art Notfallfonds gebildet. Zwei Mitarbeiter nehmen dieses Angebot schon in Anspruch.

Gibt es auch Lichtblicke in der Krise?
Unsere Produktion von Wurst- und Fleischkonserven und die Tiefkühlfertigung laufen aktuell so gut, dass wir Personal aufstocken mussten.

Insgesamt wirken Sie ruhig und gefasst. Ist das Ihre wirkliche innere Verfassung?
Zum einen: Ich gehe davon aus, dass es Ende April oder spätestens Anfang Mai wieder losgeht. Zum anderen: Bedenken Sie mal die Umbrüche in den Jahren nach der Wende. 20 Betriebe habe ich da gegründet oder aus Insolvenzen übernommen. In ein paar Wochen werde ich 73 Jahre alt und habe wohl zu viel erlebt, um nun fassungslos zu sein.

Mehr zum Thema: In der Rubrik Helden des Mittelstands porträtiert die WirtschaftsWoche regelmäßig einen Mittelständler, der eine Herausforderung kreativ, mutig und klug gemeistert hat. Doch was tun diese Helden gegen die Coronakrise? Wir haben nachgefragt. Alle Folgen der Serie „Helden Contra Corona“ finden Sie hier.

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