Mittelstand Blockchain macht Papierkram überflüssig

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Blockchain als zugrunde liegende Datenbank

„Oftmals wissen die Logistikunternehmen aber gar nicht, welche Akteure in der Lieferkette am Tauschprozess beteiligt sind. Außerdem gibt es keine Instanz, die den Prozess überwacht“, sagt Regina Haas-Hamannt von GS1 Germany in Köln – einer Organisation, die Handelsprozesse standardisieren soll und hinter der unter anderem der deutsche Marken- und Handelsverband steckt. „Das macht den Prozess extrem unübersichtlich.“ Haas-Harmannt leitet ein Blockchain-Projekt, das nach ihren Worten nicht weniger sein soll als „ein Quantensprung für alle Beteiligten“.

Rund 20 Unternehmen machen mit, darunter die Drogeriemarktkette dm, der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker, der Konsumartikelproduzent Henkel und der Kosmetikkonzern Beiersdorf. Sie alle wollen Ordnung in das Palettenchaos bringen: durch einen Handscanner, mit dem der Fahrer den Tausch nur noch digital dokumentiert, und der Blockchain als zugrunde liegende Datenbank, die den Prozess vertrauenswürdig abbildet. Noch ist das Projekt in der Planungsphase. Mitte August soll ein Prototyp fertiggestellt sein, für den Herbst ist ein Testlauf geplant.

Die Erwartungen der Akteure sind groß: „In der Logistik werden noch viele Schritte auf Papier festgehalten“, sagt Christian Grotowsky, IT-Leiter beim Kiosk-Großhändler Lekkerland, der ebenfalls an dem Pilotprojekt beteiligt ist. Er ist überzeugt, dass die Blockchain auch jenseits des Austauschs von Paletten sein Geschäft enorm erleichtern wird. Etwa dort, wo Rollcontainer erfasst oder Tabakprodukte zurückverfolgt werden. Ähnlich argumentiert Francesco Goertz, Innovationsmanager des Kosmetikunternehmens Beiersdorf: „Wir arbeiten mit vielen beteiligten Händlern. Es wäre wünschenswert, wenn wir in Zukunft gemeinsam mit allen beteiligten Handelspartnern ein Geschäftsnetzwerk auf Basis der Blockchain betreiben könnten.“

Doch die Blockchain kann nicht nur bestehende ineffiziente Prozesse digital beschleunigen. Sie ist auch Grundlage für völlig neue Abläufe, so wie beispielsweise in einem Gemeinschaftsprojekt des Energienetzbetreibers Tennet und des Batterieherstellers Sonnen. Strom, der an vielen kleinen, zumeist auch von Privatleuten betriebenen Solaranlagen gewonnen wird, muss vor Ort ins Netz eingespeist werden – und das belastet die auf zentrale Kraftwerke ausgerichteten Stromnetze immer stärker. Um Störungen auf den Stromautobahnen zu verhindern, greifen Netzbetreiber wie Tennet in die Energieerzeugung ein. 2016 lagen die Kosten dafür deutschlandweit bei 800 Millionen Euro. Ein großer Teil entfällt auf Notfallmaßnahmen: Bei Sturm beispielsweise produzieren Windkrafträder derart viel Energie, dass die Stromnetze überlastet werden. Die Anlagen werden daher bei sehr starkem Wind abgeschaltet.

In dem Pilotprojekt erhält der Netzbetreiber nun nach Bedarf Energie aus den miteinander vernetzten Heimspeichern, um Engpässe im Netz zu managen. Die Energie kommt aus Batterien, die beispielsweise im Keller von Einfamilienhäusern stehen. Diese an das Tennet-Netz angeschlossenen Speicher können je nach Bedarf überschüssigen Strom sekundenschnell aufnehmen oder abgeben.

Die Blockchain wacht dabei im Hintergrund über die ordnungsgemäße Abwicklung der Prozesse: Welcher der an dem Projekt beteiligten Haushalte hat wie viel Strom wann an das Netz abgegeben? Welcher Verbraucher hat wann wie viel bekommen? Und nicht nur das: Durch Fotovoltaik und Batterieeinsatz sind die an dem Projekt beteiligten Hausbesitzer bereits zu 70 Prozent autark in ihrer Stromversorgung, „die restlichen 30 Prozent schenken wir ihnen, wenn sie sich an unserem Batteriepool beteiligen“, sagt Jean-Baptiste Cornefert.

Der Chef von Sonnen eServices, der für das Blockchain-Projekt verantwortlichen Digitaltochter des Batterieherstellers aus Bayern, sieht darin mehr als nur eine clevere Geschäftserweiterung: „Das ist gelebte Share Economy.“

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