Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer Selig ist, wer online kauft

Das Möbel-Start-up Westwing feiert fünfjähriges Bestehen. Sein Investor und Rocket-Chef Oliver Samwer hält eine religiös-inspirierte Rede. Was an der Samwerschen Version der Seligpreisung des Onlinehandels dran ist.

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„Der Offline-Handel ist das unterlegene Modell“, sagte Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer. Quelle: dpa

Oliver Samwer mag Ikea nicht besonders. Ein Samstag mit Millionen anderen Menschen im Möbelhaus, das ist für ihn verlorene Zeit. Darum investiert der Rocket-Internet-Chef seit geraumer Zeit in Möbel-Start-ups. Eines davon heißt Westwing. Es sitzt in München und dort hat es gestern seinen fünften Geburtstag gefeiert. Samwer war auch da.

Wenn vor 2000 Jahren, zu Jesus Zeiten, jemand den Menschen zwei Visionen für die Zukunft aufgemalt hätte, fragte er das Publikum, eine mit Offline-Handel und eine mit Online-Handel, welche hätten sie sich wohl erträumt? Die Antwort gab er gleich selbst: „Der Offline-Handel ist das unterlegene Modell“, sagte Samwer.

Jesus. Was sollten sie dem noch entgegensetzen, die geladenen Gäste, allesamt Produzenten von Möbeln, Leuchten, Porzellan und anderen hübschen Accessoires. Vielleicht ein paar Zahlen: Im Gegensatz zu Büchern, Kleidung und Elektronikartikeln findet der Handel mit Home-&-Living-Produkten noch zu über 95 Prozent auf der Ladenfläche statt.

Möbel-Start-ups wie Westwing und Home24 stecken die Millionen Euro ihrer Investoren in Werbung, verdienen aber noch nichts. Westwing etwa hat 1.600 Mitarbeiter und machte 2015 einen Netto-Umsatz von 220 Millionen Euro, bei einem Verlust von 50 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr des Jahres 2016 reduzierte sich der Verlust zwar schon ganz deutlich. Dafür verlangsamte sich aber auch das Wachstum. 

Wer will schon ein Sofa bestellen, auf dem er nicht Probe sitzen kann? Und selbst wenn: Ein neues Sofa kauft man alle zehn Jahre. Hinzu kommt: Möbel oder Porzellan zu versenden, ist eine logistische Herausforderung. Geht ein Teil auf dem Weg zu Bruch, oder kommt viel zu spät beim Kunden an, wird der aller Voraussicht nach nie wieder etwas bestellen. An einem Kunden, der teuer eingeworben werden musste, und dann nicht wiederkommt, verdient ein Online-Händler nichts – oder zahlt sogar drauf.

Bei Ikea ist das anders. Da gehen die Leute auch hin, wenn sie gar nichts brauchen und hinterher kommen sie mit Taschen voller Kerzen und Servietten wieder. Kürzlich hat in Eching bei München ein Pärchen sogar die Nacht in einer Ikea-Filiale verbracht. Sie hätten sich in einem Schrank versteckt und gewartet, bis das Personal weg war, berichtete stern.de. Erwischt wurden sie erst, als er eine rauchen wollte. Was sie vorher gemacht haben, weiß kein Mensch, nur Ikea, denn die Sicherheitskameras haben die Geschehnisse aufgezeichnet.

Das Ganze könnte auch ein Werbe-Gag von Ikea sein, in diesen Zeiten weiß man das ja nicht mehr so genau. Die Botschaft wäre: Was ist so sexy wie eine Nacht mit „Billy“ und „Besta“?

Tatsächlich gibt es Leute, die gehen sehr gerne zu Ikea, für sie bedeutet Online-Shopping nicht Komfort, sondern Stress. Sie schätzen die Begrenztheit des Angebots, weil es die Auswahl erleichtert. Vermutlich hat Oliver Samwer recht: Das hätten sich die Menschen zu Jesus' Zeiten gar nicht vorstellen können, dass ihre Nachfahren mal nicht zu wenig, sondern zu viel von etwas haben könnten.

Und die Zeit, die man durch die Online-Bestellung spart, kommt die tatsächlich den Kindern oder gar der Selbstverwirklichung zugute? Oder verbringt man die am Smartphone, auf der Suche nach dem billigsten und gleichzeitig schönsten Möbelstück des ganzen Internets?

Delia Fischer, die Gründerin von Westwing, weiß das. Sie selbst gehe gerne in die Stadt zum Shoppen, sagt sie, und dass kein Mensch morgens mit dem Gedanken aufwache: Ich brauche ganz dringend ein neues Sofakissen. Bei Westwing gehe es darum in erster Linie darum, eine Emotion zu erzeugen.

Der Shop ist im Grunde genommen auch kein Shop, sondern ein Shopping-Club, der jeden Tag neue Angebote präsentiert, eingebettet in Themenwelten wie „Orient“, „Meer“, oder „Schwarz-Weiß“. 


Westwing: sieben Millionen Kunden in 14 Ländern

Die überwiegend weiblichen Kunden sollen inspiriert werden, die Marken – von Rolf Benz bis Villeroy&Boch – anständig präsentiert. Das geht bis zum Versandkarton, der nicht braun ist, wie die meisten, sondern Türkis, wie die Firmenfarbe. Die Aufkleber mit dem Logo werden von Hand darauf geklebt. „Kante auf Kante“, betont der Logistik-Chef.

Auf solche Details müssen sie hier achten, schließlich lockt Westwing seine Kunden mit Rabatten von 20 Prozent. Niemand aber will seine Marken im Internet verramscht sehen. Die Lieferanten von Westwing sind in der Mehrheit Feinde von Amazon. 

Fischer, eine gelernte Journalistin, hat die Plattform wie ein Modemagazin aufgebaut: Die Leserinnen, sagt sie, wollten wissen, was im Trend liegt, was gut zueinanderpasst und auch mal, wie man etwas selbst bastelt. Und ganz nebenbei sollen sie auch noch etwas kaufen. Sieben Millionen Kunden hat Westwing nach eigener Aussage inzwischen, in 14 Ländern. Es gibt Lieferanten, die zahlen Westwing einen Werbekostenzuschuss, um diese Zielgruppe zu erreichen. 

Noch sind sie in der Minderheit. Nach einem Umsatzeinbruch im dritten Quartal des vergangenen Jahres musste das Start-up – angetrieben von den Investoren – ordentlich Kosten reduzieren und Prozesse optimieren, vor allem in der Logistik und beim Online-Marketing.

Neben dem Club soll jetzt auch ein Shop namens „Westwing Now“, mit einem kleinen, aber dauerhaften Angebot die Verkäufe ankurbeln. Investiert wird auch in die Technik: Mit der „Virtual Reality“, so die Hoffnung, wird der Einkauf dem im Möbelhaus immer ähnlicher werden.

Zu der Geburtstagsparty von Westwing kam übrigens auch der Online-Chef von Ikea: Er beobachtet die Konkurrenz genau. Bis die Samwersche Version von der Seligpreisung des Onlinehandels auch im Möbelbereich wahr wird, dürfte es noch dauern. Aber vermutlich keine 2000 Jahre mehr. 

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