Rohstoffpreise Die Verantwortung der Spekulanten für teures Öl und Hunger in der Welt

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Der Ölpreis dagegen stieg in diesem Zeitraum weiter – von 110 auf zuletzt fast 139 US-Dollar je Fass. „Man muss bei der Frage nach dem Einfluss der Spekulanten auf die echten Rohstoffpreise zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Betrachtung unterscheiden“, sagt OECD-Direktor Tangermann. Kurzfristig sei die Antwort auch beim Öl, „eindeutig ja. Aber wir können den Einfluss nicht quantifizieren. Wer sagt, von 130 Dollar beim Ölpreis gingen 30, 40 oder 50 Dollar auf das Konto der Spekulanten, der redet Unsinn“.

Die neuen Spieler. Spekulanten gab es schon immer – bereits im 16. Jahrhundert etwa wurde in Japan Reis auf Termin gehandelt. Ganz neu und in ihrer Wirkung noch eine große Unbekannte auf den Rohstoffmärkten sind große Pensionsfonds und andere Langfrist-Anleger. Ihnen geht es weniger darum, die Preise hochzutreiben. „Wir investieren in den Rohstoffmarkt mit langfristigen Perspektiven, um unser Portfolio zu diversifizieren“, sagt Clark McKinley, Sprecher der kalifornischen Pensionskasse Calpers. Die hat gut eine Milliarde von ihrem Gesamtvermögen von knapp 250 Milliarden Dollar in Rohstoffe angelegt. Calpers & Co. steckten Geld vor allem in passive Investments, die auf den großen Rohstoff-Indizes etwa von S&P GSCI und Dow Jones-AIG Indizes basieren, erklärt Weinberg von der Commerzbank. Dank der jüngsten Zuflüsse seien die Volumina der an Indizes orientierten Rohstoff-Investments auf über 250 Milliarden Dollar angewachsen. 2001 seien es gerade mal fünf Milliarden Dollar gewesen.

Aus dem angelegten Geld entstehen Zahlungsverpflichtungen. Die Anbieter sichern sie ab, indem sie auch Kaufpositionen an den Rohstoff-Terminbörsen eingehen. Weil sie nicht spekulieren, sondern nur absichern, werden sie dort aber nicht als Spekulanten gezählt, auch wenn ihre Nachfrage kurzfristig die Preise treibt. So gehen aktuell gut 43 Prozent aller Kaufpositionen auf Weizen an der CBoT auf das Konto von Indexinvestoren. Doch möglicherweise löst sich das Problem bald von selbst – denn Banken beginnen, Indizes zu bauen, die bei fallenden Rohstoffpreisen steigen. Dann müssten sie die Anlagegelder über Verkaufspositionen an den Terminmärkten absichern. Im Fall von Weizen halten Indexinvestoren aktuell aber erst einen Anteil von 5,9 Prozent an allen ausstehenden Verkaufspositionen.

Macht sich das Geld der Spekulanten auch langfristig in den ohnehin schon steigenden Preisen bemerkbar? Maßgeblich hierfür wäre ein Einfluss der Future-Preise auf den tatsächlichen Geldwert des Kilos Weizen, das der Bauer dem Müller verkauft (Spotpreis). Losgelöst von den Futures kann der Spotpreis nicht sein: „Man muss sich nur die kurzfristigen Futures und die Spotpreise etwa für Weizen anschauen“, sagt ein großer Hamburger Agrarhändler, „auch der Spotpreis zieht mit; kein Händler kann sich auf die Dauer leisten, erheblich tiefere Preise als die zeitnahen Futures rauszuhängen, sonst fischen andere Differenzgewinne ab.“

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Über einen längeren Zeitraum besteht aber kein Zusammenhang, so eine Studie des der Parteinahme unverdächtigen Internationalen Währungsfonds über die Auswirkungen der Spekulation auf die Spot-Preise von Rohöl, Kupfer, Baumwolle, Zucker und Kaffee: „Wir konnten allenfalls temporäre Zusammenhänge zwischen den beiden Größen bei Öl und Kaffee feststellen“, sagt Sergei Antoshin, einer der Autoren der Studie, „auf lange Sicht kann man keinen Zusammenhang mehr nachweisen.“ Beim Kupfer etwa stieg der Spot-Preis 2006 eklatant an, während die Wetten auf steigende Preise netto einbrachen.

Selbst die Vereinten Nationen (UN) sind vorsichtig: „Die dramatische Zunahme des Handels auf den Future-Märkten und das Hedgen in Agrarprodukten haben zu einem Anstieg der Preisvolatilität geführt“, sagt Josette Sheeran, Direktorin beim World Food Program der UN. Für das hohe Preisniveau macht sie allerdings andere Faktoren verantwortlich: den Boom in Ländern wie China, Indien, Brasilien und Russland, wo die Bevölkerung ihre Ernährungsgewohnheiten ändere, den Ölpreis, der unmittelbar auf die Produktion von Nahrungsmitteln durchschlage, und Wetterkatastrophen. „Ursachen für steigende Preise sind immer fundamental“, bestätigt OECD-Experte Tangermann, „erst dann kommen die Spekulanten und verstärken die Preisausschläge innerhalb des langfristigen Trends – nach oben und nach unten. Die Richtung des langfristigen Trends bestimmen sie aber nicht.“

Und es gibt eine Menge Argumente dafür, warum die Preise der Agrarrohstoffe über die nächsten Jahre weiter steigen werden. Geschätzte 8,3 Milliarden Menschen werden 2030 die Welt bevölkern. Mit dem wachsenden Fleischkonsum in den Schwellenländern steigt der Bedarf an Weidegrund, was tendenziell zulasten von Ackerland geht.

Erschwerend hinzu kommt Wassermangel. Schon heute wäre ohne künstliche Bewässerung auf etwa einem Sechstel der weltweiten Anbaufläche keine Landwirtschaft mehr möglich. Klimaforscher aber sagen eine Zunahme von Dürreperioden, Überschwemmungen und Naturkatastrophen voraus. Allein wegen dieser Gefahren werden die Preise vieler Agrargüter nicht ins Bodenlose fallen. Ähnliches gilt für den Ölpreis. Der Hegdefonds-Manager T. Boone Pickens hält Untersuchungen über den Einfluss von Spekulanten auf den Preis für Zeitverschwendung. Für ihn steht fest: „Solange weniger Öl am Tag produziert als verbraucht wird, steigt der Preis.“

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