Telekom-Prozess Die T-Aktie vor Gericht

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Im Fall Enron beispielsweise läuft die Frist noch bis zum 30. April 2008, Ansprüche anmelden können Anleger, die zwischen dem 9. September 1997 bis 2. Dezember 2001 Enron-Papiere gekauft haben. Welches Stück sie vom großen Kuchen abbekommen, hängt davon ab, wie viele Anleger sich bis Ende April noch dranhängen. Die Besonderheit des US-Rechts: Vergleichszahlungen orientieren sich nicht am Schaden, sondern sind eine von den Gerichten festgesetzte Strafe. In der Regel führt das dazu, dass Anleger nicht ihren kompletten Schaden ersetzt bekommen – aber wenigstens erhalten sie einen ordentlichen Teil zurück.

Angesichts der Finanzkrise hofft die Anwaltsriege in den USA wieder auf gute Geschäfte mit Sammelklagen. Dubiose Kreditvergaben an Hauskäufer und die miese Aufklärung über die Risiken der aus den Darlehen gebastelten Finanzvehikel lassen die Zahl der Klagen emporschnellen. Allerdings sind die auf Sammelklagen spezialisierten Kanzleien vorsichtiger geworden. Der Grund: Eine angesehene Firma geriet 2007 selbst ins juristische Minenfeld. Mehrere Anwälte, darunter der als „Mister Class Action“ bekannte 72-jährige Melvyn Weiss, haben sich inzwischen für schuldig erklärt, Sammelklagen inszeniert zu haben, indem sie potenzielle Kläger mit heimlichen Zahlungen zur Klage animierten.

Auch Telekom-Aktionäre haben schon von einer US-Sammelklage profitiert: Anders als in Deutschland hatte sich die Telekom in den USA bereit erklärt, einer Klägergruppe 120 Millionen US-Dollar zu zahlen. Pikant: Deutsche durften sich nicht anschließen. Das deutsche Justizministerium habe interveniert und dem US-Gericht mitgeteilt, dass in dem Verfahren „hoheitliche Rechte der Bundesrepublik betroffen seien“, erinnert sich Anwalt Gundermann. „Der Eingriff der Bundesregierung hat verhindert, dass deutsche Anleger die gleichen Rechte bekommen wie US-Anleger.“

Der Skandal illustriert die zweifelhafte Doppelrolle des Staates. Einerseits sitzt er als früherer Mehrheitsaktionär mit auf der Anklagebank, andererseits strickte er an einem Gesetz, das den Anlegerschutz gerade im Fall Telekom verbessern sollte. Die Intervention zeigt, dass dem Staat im Zweifelsfall -Einnahmen wichtiger sind als Anlegerrechte oder die in Sonntagsreden beschworene „Aktienkultur“.

Immerhin, Besserung ist in Sicht, zwar nicht aus Berlin, aber aus Brüssel: Die EU-Kommission will Sammelklagen in Europa erleichtern und lässt derzeit verschiedene Modelle checken. Anwalt Mattil rechnet damit, dass per EU-Richtlinie Stellvertreterklagen eingeführt werden. Dabei klagt ein Verband, etwa eine Verbraucherschutzorganisation, andere Geschädigte müssten sich nur registrieren lassen. Die EU-Regeln könnten 2010 in Kraft treten – und kämen wie gerufen, um das bis Oktober 2010 befristete Musterklagen-Gesetz abzulösen.

Das erste Verfahren, dass unter dem auch als „Lex Telekom“ bekannten Gesetz abgeschlossen wird, dürfte die Klage gegen den Automobilkonzern Daimler sein. Anleger behaupten, dass die Stuttgarter den kurstreibenden Rücktritt des früheren Vorstandschefs Jürgen Schrempp zu spät bekannt gegeben haben. Als Musterkläger hat das Oberlandesgericht Stuttgart einen Mann ausgesucht, der im Namen seines Vaters klagt. Dieser hatte am 28. Juli 2005 um 9 Uhr 800 Daimler-Aktien zu 36,50 Euro verkauft. Um 10.02 Uhr verkündete der Konzern den Schrempp-Rücktritt, in der Folge stieg der Kurs bis auf 42,95 Euro.

Der Kläger moniert, dass Schrempp den Aufsichtsratschef Hilmar Kopper bereits im Mai von seinen Rücktrittsplänen informiert habe. Somit wäre damals eine Ad-hoc fällig gewesen. Das OLG wies die Klage überraschend fix ab, wurde dafür aber jetzt vom BGH gerügt (II ZB 9/07). Die schwäbischen Richter hätten die Sache intensiver prüfen müssen, stellten die Bundesrichter fest – und verwiesen den Fall an einen anderen OLG-Senat zurück. In den nächsten Wochen werden deshalb nicht nur im Frankfurter Telekom-Prozess, sondern auch in Stuttgart Promis aussagen, darunter neben Schrempp und Kopper womöglich auch Daimler-Chef Dieter Zetsche.

In Sachen Telekom bereiten Anwälte schon die nächste Klagewelle vor. Sie stört, dass sich kein einziges Fondshaus ihren Klagen angeschlossen hat – obwohl die T-Aktie in fast allen deutschen Aktienfonds lag. Zudem seien den Klagen von höchster Stelle Erfolgsaussichten bescheinigt worden. Tatsächlich verdonnerte der BGH die Rechtsschutzversicherer 2003, Prozesskosten von versicherten Telekom-Anlegern wegen eines zumindest möglichen Erfolgs zu übernehmen. „Spätestens nach diesem Urteil hätten die Fondshäuser die Verjährung hemmen oder eventuell klagen müssen“, sagt Rechtsanwalt Andreas Tilp und droht mit Schadenersatzklagen gegen Fonds.

Wird demnächst also der Fondsanbieter DWS die Telekom vor Gericht zerren, wegen eines Börsengangs, den die DWS-Mutter Deutsche Bank maßgeblich mitgestaltet hat? So richtig vorstellbar ist das nicht. Aber Anlegeranwälte sind eben Berufsoptimisten. Und der Druck wird wachsen – auf die Fonds und auf die Telekom.

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