Allianz wird digital Bätes riskante Kulturrevolution beginnt

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Mit heißer Nadel gestrickt

Auch die Zeiten der zweistellig steigenden Prämieneinnahmen sind wohl unwiederbringlich vorbei. 2014 kletterten die Beitragseinnahmen etwa in der Schaden- und Unfallversicherung nur um 3,7 Prozent.

Mit ihrem derzeitigen Geschäftsmodell kann die Allianz nicht mehr lange wachsen; das Zeitfenster für Bätes Pläne ist deshalb klein. Denn am Markt tauchen immer neue branchenfremde Anbieter auf, die Versicherungen vertreiben oder selbst welche anbieten, oft mit viel Wagniskapital ausgestattet.

„Versicherer wie die Allianz wird es in 20 Jahren gar nicht mehr geben“, behauptet großspurig Robin von Hein, Gründer des Berliner Start-ups Simplesurance. Unter der Marke Schutzklick vertreibt er in Zusammenarbeit mit Onlineshops Produktversicherungen für im Netz gekaufte Smartphones, Brillen oder Fahrräder (siehe WirtschaftsWoche 43/2015). Jüngster Coup ist eine Kooperation mit dem rasch wachsenden chinesischen Handyhersteller Oneplus. Wer in Europa künftig ein Oneplus-Smartphone kauft, dem wird via Simplesurance-Technologie direkt eine Versicherung angeboten.

Der Umsatz von Simplesurance soll 2015 zwar erst achtstellig sein – Peanuts im Vergleich zur Allianz. Dennoch sind es solche branchenfremden Player, die Bätes Truppe Kopfzerbrechen bereiten. „Mir schlottern nicht die Knie vor einer Axa oder einer Generali, sondern vor neuen Anbietern, die sich zwischen uns und die Kunden schieben“, sagt ein Allianz-Manager.

Kann Bäte dem Versicherungsriesen eine Silicon-Valley-Mentalität einpflanzen? „Eigentlich passt ein solcher Kulturwandel nicht zur DNA der Allianz“, sagt ein Berater, der für den Konzern gearbeitet hat, „denn sie hat mit der Minimierung von Risiken glänzende Geschäfte gemacht.“

Bäte wird darum viel Überzeugungsarbeit leisten, aber auch harte Entscheidungen treffen müssen, um innere Widerstände zu brechen und die Mannschaft mitzunehmen. Etwa ein Drittel der gesamten Allianz-Belegschaft sei bereits in der digitalen Welt zu Hause; zwei Drittel aber müssten erst in die neue Welt herübergeholt werden, heißt es im Konzern – viel Arbeit für die Personaler.

Unternehmenskenner wie JP Morgan-Analyst Michael Huttner befürchten, Bäte könnte das Kind mit dem Bade ausschütten. „Es ist riskant für die Allianz, zu viel zu schnell zu machen“, sagt Huttner. Das könne Probleme bei der Umsetzung verursachen.

Schon jetzt klagen Vertreter über technische Schwierigkeiten: Viele der neuen Programme seien mit heißer Nadel gestrickt. Füllt ein Vertreter am Computer ein Formular aus und vergisst das Geburtsdatum des Kunden, taucht schon mal die Fehlermeldung „Bitte überprüfen Sie die Geburtsdatümer“ auf. Pannen bei der Automatisierung des Schriftverkehrs führen bisweilen dazu, dass Kunden mit längst gekündigten Lebensversicherungen noch Standmitteilungen bekommen.

Gleichwohl: Im Vergleich zu deutschen Wettbewerbern wie Ergo liegen die Münchner bei der Digitalisierung vorne, im internationalen Vergleich aber nur im Mittelfeld. Experte Naujoks erwartet, dass die Allianz nicht zuletzt durch ihre Größe imstande sei, den Wandel zu meistern. Auch Exberater Bäte, sagte einer, der ihn lange kennt, sei die richtige Besetzung, um den Tanker Allianz auf neuen Kurs zu bringen. Es gebe nur eine Gefahr: „Berater versprechen oft zu viel.“

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