Die YouGov-Umfrage zeigt, dass die zu erwartende Rente wesentlich darüber entscheidet, ob ein Arbeitnehmer vorzeitig ausscheidet oder lieber länger arbeitet. „Es gibt kein einheitliches Wunschalter. Die Vorstellungen sind höchst unterschiedlich“, sagt Manfred Bauer, Vorstand beim Finanzdienstleister MLP, der die Umfrage in Auftrag gegeben hat. „Ein Drittel der Befragten wünscht sich mehr Spielraum für das Arbeiten über das Regelrentenalter hinaus. Ein weiteres Drittel ist an einer Teilrente ab 60 Jahren interessiert.“
Erstaunlich ist dabei, dass fast jedem dritten Deutschen das Regierungsvorhaben zur Flexi-Rente nicht bekannt ist, obwohl die Regierung noch im Dezember einen Gesetzentwurf oder zumindest ein Konzept vorlegen will. Dabei betrifft die Flexi-Rente alle Arbeitnehmer.
Das Desinteresse ist nur damit zu erklären, dass die bisherigen Verhandlungen in weiten Teilen noch zu wenig Konkretes hervorgebracht haben. Die verschiedenen Interessengruppen haben sich jedoch vor dem Hintergrund der Koalitionsgespräche zur Flexi-Rente längst in Stellung gebracht.
Ihre Befürchtung: Wenn der Renteneintritt flexibler gestaltet werden soll, muss irgendwer leiden. Arbeitgeber, Steuerzahler, Sozialkassen oder jüngere Arbeitnehmer könnten dann draufzahlen. Für letztere besteht das Risiko, dass sie von den billigeren alten Arbeitnehmern verdrängt werden.
Umstrittene Teilrente ab 60
Der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verfolgt als Vertreter der Arbeitnehmer klare Ziele: Er will den Eintritt in die Teilrente nach 35 Arbeitsjahren schon mit 60 Jahren ermöglichen und damit drei Jahre früher als bislang. Wäre die Vollrente bereits mit 60 Jahren möglich, müsste der Rentner nach derzeitigen Regeln einen Abschlag auf seine Rente von bis zu 25 Prozent in Kauf nehmen.
Bei einer Teilrente wären die Abschläge nur dann niedriger, wenn dank Teilzeitanstellung weiter in die Rentenkasse eingezahlt würde. Deshalb will der DGB einen höheren Nebenverdienst neben dem Bezug der Teilrente erlauben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt die Teilrente ab 60 jedoch ab. Die Bundesregierung stehe zur Rente mit 67 und arbeite auch an einer Flexibilisierung der Rentenübergänge, sagte Merkel auf dem Deutschen Arbeitgebertag in Berlin. "Allerdings warne ich davor, Erwartungen zu wecken, dass man ab 60 solche flexiblen Übergänge machen könnte. Das sehe ich nicht." Neue Belastungen für das Rentensystem dürfe es nicht geben. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hatte diese ebenfalls kategorisch abgelehnt.
Kapitalbedarf bei Rente ab 60 - Bsp. 1
Angestellter, 40 Jahre, zwei Kinder, zahlt seit 15 Jahre in die Deutsche Rentenversicherung
Nettoeinkommen: 3.000 Euro pro Monat (inkl. Kindergeld, Steuerklasse 3)
Das Beispiel zeigt, wie der Angestellte ab dem Renteneintritt mit 60 Jahren seinen angesparten Kapitalstock von 431.000 Euro durch eine Rente in Höhe von 65 Prozent seiner bisherigen Nettoeinkünfte bis zum Alter von 90 Jahren aufzehrt. Dabei gleichen steigende Rentenbeträge die Abnahme der Kaufkraft durch die Inflation aus. Annahmen: eine Verzinsung der Ersparnisse von 3 % nach Steuern und Gebühren in der Rentenphase, eine Inflation von 2 % sowie eine jährliche Erhöhung der gesetzlichen Rente von 1 % .
Quelle: VZ Vermögenszentrum
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 28.270 Euro
entspricht monatlich: 2356 Euro
Gesetzliche Rente: keine
Lücke: -28.270 Euro
verbliebener Kapitalstock: 431.000 Euro
Entnahme: -28.270 Euro
Zinseinnahmen: 12.082 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 31.212 Euro
entspricht monatlich: 2601 Euro
Gesetzliche Rente: 16.830 Euro
Lücke: -14.382 Euro
verbliebener Kapitalstock: 373.603 Euro
Entnahme: -14.382 Euro
Zinseinnahmen: 10.777 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 34.461 Euro
entspricht monatlich: 2872 Euro
Gesetzliche Rente: 17.689 Euro
Lücke: -16.722 Euro
verbliebener Kapitalstock: 349.510 Euro
Entnahme: -16.772 Euro
Zinseinnahmen: 9.982 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 38.047 Euro
entspricht monatlich: 3170 Euro
Gesetzliche Rente: 18.591 Euro
Lücke: -19.456 Euro
verbliebener Kapitalstock: 307.899 Euro
Entnahme: -19.456 Euro
Zinseinnahmen: 8.653 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 42.007 Euro
entspricht monatlich: 3500 Euro
Gesetzliche Rente: 19.540 Euro
Lücke: -22.468 Euro
verbliebener Kapitalstock: 244.301 Euro
Entnahme: -22.468 Euro
Zinseinnahmen: 6.655 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 46.380 Euro
entspricht monatlich: 4031 Euro
Gesetzliche Rente: 20.536 Euro
Lücke: -25.843 Euro
verbliebener Kapitalstock: 153.348 Euro
Entnahme: -25.843 Euro
Zinseinnahmen: 3.825 Euro
Bedarf im Jahr (Versorgungsziel): 51.207 Euro
entspricht monatlich: 4267 Euro
Gesetzliche Rente: 21.584 Euro
Lücke: -29.623 Euro
verbliebener Kapitalstock: 28.611 Euro
Entnahme: -29.623 Euro
Zinseinnahmen: -30 Euro
Am Ende des Jahres sind die Ersparnisse aufgebraucht.
Im Gegenteil soll belohnt werden, wer länger arbeitet. Denn viele Unternehmen profitieren von der langjährigen Berufserfahrung ihrer älteren Mitarbeiter. Die Arbeitgeber wollen daher keine Beschränkung des Nebenverdiensts. Die derzeitige Begrenzung des Hinzuverdienstes sei "nicht notwendig", sagte etwa Arbeitgebervertreter Alexander Gunkel. Richtig sei es dagegen, an der Höhe der derzeitigen Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn und an den Zuschlägen bei hinausgezögertem Rentenbeginn festzuhalten.
Ob eine Neuregulierung durch die Flexi-Rente die Situation spürbar ändert? Unklar. Schon heute dürfen alle 63-Jährigen die Teilrente in Anspruch nehmen. Abhängig von ihrem Einkommen der vergangenen drei Jahre vor Rentenbeginn dürfen sich in befristeten Arbeitsverhältnissen dazuverdienen. Allerdings ist die Berechnung der Freigrenze recht kompliziert.
Diejenigen Ruheständler, die ihren Rentenanspruch bereits voll ausschöpfen, sind auf ein Zusatzeinkommen von maximal 450 Euro pro Monate beschränkt – also auf Minijobs. Ein Beschäftigter, der vor Beginn der Teilrente das Durchschnittseinkommen von rund 2900 Euro monatlich erhielt, darf bei Bezug einer Zwei-Drittel-Rente noch etwa 1080 Euro hinzuverdienen, ohne dass seine Rente gekürzt wird.
Durchschnittverdiener, die eine halbe Rente beanspruchen, dürfen 1576 Euro verdienen, beim Ein-Drittel-Rentner sind es 2074 Euro. Wer aber nur einen Euro über die Grenze hinaus verdient, büßt massiv Rentenbezüge ein. Der Zwei-Drittel-Rentner bekommt nur die halbe Rente, der Ein-Drittel-Rentner gar keine Rente mehr.