Start-up Floating Farm: Wo die Kühe auf dem Wasser wohnen

See-Kühe einmal anders: Der erste Bauernhof auf dem Wasser soll ab 2016 Milch liefern.
Sie bauen Deiche, Häuser auf Stelzen und Cafés, die auf dem Wasser schwimmen: Die Niederländer sind seit jeher besonders einfallsreich, wenn es darum geht, nah am Wasser zu leben. In Rotterdam entsteht nun aber ein selbst für Holland ungewöhnliches Projekt auf den Wellen: Im Merwehaven, einem ehemaligen Hafen mitten in der Stadt, baut das Start-up Floating Farm den wohl ersten schwimmenden Bauernhof der Welt.
„Der Meeresspiegel steigt, Ackerland wird weltweit knapp“, sagt Peter van Wingerden, Gründer und CEO von Floating Farm. „Gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen in die Metropolen an den Küsten.“ Deswegen müssten die Farmen in die Städte ziehen, nah zu den Verbrauchern, um auch die Transportwege der Lebensmittel kurz zu halten. Und weil dort Boden rar und teuer ist, bleibt nur eine Alternative: die Flüsse oder das Meer.

Precision Farming
Sensoren, gespeicherte Daten und der Bordcomputer geben dem Landwirt die Informationen, die er zum Beispiel für das Düngen benötigt. Konkret: Auf dem Feld weiß er genau, wo mehr und wo weniger Düngestreuer benötigt wird – eine Dosierungsanleitung quasi. Durch genaue Datenauswertungen soll auch der perfekte Weg über das Feld und der richtige Moment zur Ernte ermittelt werden können. Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz werden so verbessert.

Autonomes Fahren
„Lenksystem“ ist das Zauberwort. Mithilfe von GPS-Daten und etwa Lasern sollen kleine wie große Landwirtschaftsmaschinen in Zukunft alleine auf den Feldern unterwegs sein können. Dank moderner Lenksysteme geht das weitestgehend schon heute – ganz alleine ist aber noch nicht erlaubt.

Mechanische Erntehelfer
Die Obsternte übernimmt noch zumeist der Mensch – Rüben, das meiste Gemüse und Getreide überlassen wir schon den Maschinen. Jetzt soll die neuste Technik auch die Frucht pflücken lernen. In Spanien erntet zum Beispiel der Agrobot schon Erdbeeren ganz alleine – der Mensch überwacht nur noch. Mithilfe von Kameras und Bilderabgleich weiß er, welche er pflücken darf und soll dabei genauso sanft und vorsichtig sein, wie die Hände der Erntehelfer.

Feldroboter
Klein aber fein sind viele Ideen für Feldroboter – etwa zur Suche nach Wildkräutern oder Schädlingen. Oder sogar zum Säen – wie die Erfindung eines US-Unternehmens. Die „Robot Farmer“ sollen sich mit ihren acht Beinen in Gruppen über die Felder bewegen und mithilfe von kleinen Bohrern die Saat ausbringen. Ehrlich gesagt sehr kostspielige Ansätze, aber laut deutscher Experten durchaus denkbar in Zukunft.

Drohnen
Wie sieht mein Feld von oben aus? Wie weit ist die Entwicklung? Sind einige Pflanzen schon weiter als andere – vielleicht genau in der Mitte des Feldes? Drohnen könnten dem Landwirt Antworten auf solche Fragen liefern. Seit die Technik auch die breite Masse erreicht hat, machen sich natürlich auch Landwirte Gedanken, ob sich die Technik für sie eignet. Durchaus ein Ansatz, aber die Experten sind zweigespalten. Viele setzen eher auf…

Satellitenbilder
… die Technik aus den Sternen! Mithilfe von präzisen Satellitenbildern können Landwirte mittlerweile fast von Tag zu Tag die Entwicklung auf ihren Feldern überwachen und daraus Informationen ziehen. Ähnlich wie durch Drohnen – nur dass sie dafür nicht selber fliegen, sondern lediglich die Daten abrufen müssen. Wahrscheinlich die realistischere Zukunftsperspektive.

Datenmanagement
All diese gewonnen Daten müssen ausgewertet werden – und dass in Zukunft immer häufiger direkt vor Ort – etwa auf dem Traktor. Mithilfe von Computern, Tablets und Monitoren wird das Datenmanagement immer einfacher und für hohe Präzision und Wirtschaftlichkeit auch immer wichtiger. Der Landwirt der Zukunft gehört eben auch zu den Digital Natives.
Van Wingerden, der bei Floating Farm zwei Mitgründer an seiner Seite hat, bringt Erfahrung mit dem Wasser mit, denn mit seinem Hauptunternehmen Beladon entwickelt er bereits seit Jahren schwimmende Häuser. Die Pilotfarm in Rotterdam soll nun zeigen, dass die Bauernhof-Idee mehr ist als eine Spinnerei.
Der 1200 Quadratmeter große Ponton – fast so groß wie ein Eishockeyfeld – soll nahezu autark Nahrung für die Anwohner in der Nachbarschaft produzieren – und nur zwei Arbeitskräfte benötigen. Im Obergeschoss leben unter einem Glasdach 60 Kühe. Ein Boden aus Kunstrasen und echte Bäume sollen den Tieren eine zumindest naturähnliche Umgebung bieten.
Zugleich ist die schwimmende Weide nahezu vollständig automatisiert: Die Konstruktion des Bodens lässt den Urin der Tiere hindurchsickern und in einen Tank fließen. Ein Reinigungsroboter wiederum sammelt die Kuhfladen ein.
Die sollen so den nötigen Rohstoff liefern für eine Biogasanlage, die Strom und Wärme erzeugt. Noch mehr Energie produzieren Solarzellen auf dem Dach. Es fungiert zudem als Sammler für das Regenwasser, das in die Tränken der Kühe fließt. Im Untergeschoss wächst unterdessen das Futter für die Kühe heran: Gras, das von LED-Lampen optimal beleuchtet wird.
Zwei Millionen Euro kostet der Prototyp, den die Gründer mit privaten Mitteln finanzieren. Seit Oktober ist die Plattform im Bau, ab August 2016 sollen die ersten Kühe auf dem Wasser weiden.
Dass die Tiere auf dem Wasser womöglich seekrank werden, glaubt van Wingerden nicht. Die schwimmende Farm sei artgerecht, versichert er und kalkuliert 15 Quadratmeter Fläche pro Tier. Das sei mehr als in den meisten regulären Ställen. „Die Kühe können selbst entscheiden, wann sie gemolken werden“, erzählt der Gründer. Dazu gehen sie zu einem weiteren Roboter, der die Euter erkennt und automatisch melkt.
Schwimmende Farmen lösen das Platzproblem
Das vorbeiströmende Wasser der Maas soll die Kühlung für die Milchfabrik im Untergeschoss des maritimen Gehöfts liefern. Pro Tag, hat van Wingerden berechnet, könnte die Anlage – ganz nah an den Abnehmern – 1500 Kilogramm Milch produzieren. Künftig ließen sich größere Pontons mit bis zu 200 Kühen bauen, ist van Wingerden überzeugt. 40 schwimmende Farmen könnten dann ganz Rotterdam mit seinen 620.000 Einwohnern versorgen.
Milchvieh, das in See sticht – was sich anhört wie die Idee von Fantasten, ist offenbar weit weniger abstrus, als es klingt. Der Ansatz sei durchaus innovativ, sagt Roel Jongeneel, Agrarökonom und Milchexperte an der Universität Wageningen bei Arnheim im Osten der Niederlande. Er sieht bei der schwimmenden Roboter-Farm daher eher Image- als Technikprobleme: Die Bevölkerung verbinde „Milch gewöhnlich mit natürlicher Umgebung und Kühen, die auf Weiden grasen“.
Floating-Farm-Gründer van Wingerden ficht das nicht an. Für ihn ist Milchviehhaltung ohnehin nur der Anfang: Das Konzept lasse sich auch auf Hühner- und Gemüsefarmen übertragen, sagt der Gründer. „Wir können schwimmende Farmen praktisch überall auf der Welt bauen, wo es geeignete Gewässer gibt.“ Und Wasser dürfte es angesichts steigender Meeresspiegel bald zur Genüge geben.










