Werbesprech

Warum Werbung nicht wirkt

Es gibt immer mehr Werbung - aber auch immer mehr, die nicht wirkt. Das müsste Vorständen und Marketingverantwortlichen schlaflose Nächte bereiten, sofern sie Werbung als Investition in die Marke verstehen. Statt das Problem anzugehen, verringern die Unternehmen den Einfluss ihrer Marketingchefs.

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Die Werbe-Etats steigen, aber die Werbung geht ins Leere Quelle: dpa

Sie kennen die Pareto-Regel: Demnach sind stets 20 Prozent der Ursache für 80 Prozent der Wirkung verantwortlich. Auf die Werbung angewandt bedeutet es, dass nur 20 Prozent der Werbekampagnen 80 Prozent der gesamten Wirkung auf den Endverbraucher vereinen. Da ist nachvollziehbar, dass Marketing und Agenturen alles daransetzen, zu den 20 Prozent der erfolgreichen Kampagnen zu zählen. Doch es scheint, als sei das Gegenteil der Fall - als kämpften immer mehr Kampagnen um den größtmöglichen Misserfolg.

Immer häufiger klagen Unternehmen darüber, dass sie unzufrieden sind mit der erhofften Wirkung ihrer Kampagnen. Selten jedoch so deutlich wie der ehemalige Nestlé-Chef Gerhard Berssenbrügge, der auf einer Tagung verriet, dass der Marketing-ROI „tendenziell“ zurückginge. Ins gleiche Horn blies Tina Beuchler, Mediachefin von Nestlé: Sie sprach ebenfalls von einem rückläufigen Return-On-Investment, der „zum Teil deutlich“ leide. Doch Nestlé zählt nur zu den wenigen Unternehmen, die es in dieser Deutlichkeit aussprechen. Spüren tun es die meisten Firmen und ihre Marken heute mehr denn je zuvor.

Das sind Deutschlands Werbekönige
Einkaufskorb von Rewe mit Lebensmitteln Quelle: dpa
Passanten vor einem Aldi in Großbritannien Quelle: dpa
das Sky-Logo ist auf einem Fernseher zu sehen Quelle: dpa
das Henkel-Logo an der Konzernzentrale in Düsseldorf Quelle: dpa
Lidl-Filiale Quelle: dpa
Vodafone-Logo vor einem Vodafone-Shop Quelle: dpa
Der Vorstandsvorsitzende von Beiersdorf, Stefan Heidenreich Quelle: dpa

Das hat zahlreiche Gründe, die sich jedoch allesamt abstellen ließen. Zum einen verändert sich die Mediennutzung der Verbraucher, worauf Werber und Mediaplaner nach wie vor keine passenden Antworten finden. Immer weniger Menschen schauen herkömmliches, analoges Fernsehen. Vor allem bei den 14-29-jährigen befinden sich die Reichweiten seit 2010 im zweistelligen, freien Fall. Inzwischen besitzt fast jeder sechste Deutsche kein Fernsehgerät mehr. Drei Viertel der Zuschauer schauen via Internet-Stream fern, 16 Prozent ausschließlich. Dennoch steigen die Ausgaben für herkömmliche TV-Werbung unaufhaltsam weiter an.

Pampers im Horrorfilm

Aber selbst da treffen wir auf Dilettantismus. Erschreckend viele TV-Spots sind völlig sinnfrei platziert. Auf der Suche nach den preiswertesten Werbeblöcken landen Spots für Pampers Windeln und Danone Fruchtzwerge, die vermutlich Mütter mit Kindern ansprechen sollen, um und nach Mitternacht in Horrorstreifen der B-Sorte und werben damit geradezu grotesk an ihrer Zielgruppe vorbei. Warum die Werbungtreibenden ihre Mediaagenturen hier unkontrolliert schalten und walten lassen, bleibt ein Rätsel.

Der Handelskonzern REWE wundert sich, dass seine Werbung weniger stark wahrgenommen wird als die des Wettbewerbers Edeka, obwohl man mehr Geld investiert. Offenbar gelingt es REWE („Die TV-Werbung zündet nicht“) nicht, die wichtige Zielgruppe der Familien zu erreichen. Stattdessen erreicht man überwiegend ältere Verbraucher - nämlich die typischen Fernsehzuschauer. Edeka punktet dagegen mit schrillen Kampagnen im jungen Netz.

Naturgemäß folgt die Werbung den Endverbrauchern in die Online- und Mobile-Medienwelt, findet jedoch oftmals auch hier nicht ihr Heil. Die pure Sichtbarkeit von digitaler Display-Werbung sank in diesem Jahr innerhalb eines einzigen Quartals von 75 auf 64 Prozent. Und die Online-Werbung, die die User sehen, lässt sie kalt: Im Schnitt hat ein durchschnittliches Ad nach Aussage von Exponential Interactive Deutschland nur eine 0,02prozentige Chance angeklickt zu werden.

Die Gründe warum niemand Lust hat, Display-Ads anzuklicken, sind vielfältig, liegen aber meist an der Werbung selbst. Die Werbemittel - Preroll Ads, Layer, Wallpapers und Pop-ups - überlagern die Inhalte, sind nicht wegklickbar, stören und nerven. Über die steigende Nutzungsrate von Adblocker-Software, die die User quasi in „Notwehr“ installieren, schlägt der Online-Vermarkterkreis OVK Alarm.

72 Prozent ins Leere geworben

Auch der automatisierte Einkauf von Online-Werbeplätzen („Programmatic“) birgt ungeahnte Gefahrenquellen. Nach einer Untersuchung der Werbung auf der Financial Times-Website FT.com zeigte sich, dass 72 Prozent der eingekauften Ad Impressions auf Fake-Seiten gelandet waren, die zwar so taten, als seien sie die Financial Times, aber nur von Bots, also Maschinen „gesehen“ werden konnten.

Viel schwerer wiegen jedoch beim Streben um Aufmerksamkeit die erkennbaren Marketingfehler. Da lässt sich Deutschlands Problem-Flieger Air Berlin einen schicken und hippen, neuen Auftritt gestalten, während die Airline zeitgleich in den Social Medien von Beschwerden über mangelhafte Zuverlässigkeit und Service geradezu überschwemmt wird. Der Fehler ist offenkundig: Werbung macht nur dann Sinn, wenn auch das Produkt stimmt. Eine Erkenntnis so alt wie die Werbung selbst.

Zu den besonders fehlerbehafteten Produkten zählen die Online-Reiseportale. Die Verbraucher bemängeln Benutzerfreundlichkeit und Transparenz der Buchungsplattformen ebenso wie versteckte Gebühren. Da hilft auch die massive Werbung nicht, die allabendlich die Werbeblöcke füllt, um die Kundschaft zufrieden zu stellen. Auch hier gilt: Man muss zuerst am Produkt arbeiten, bevor Werbung eine positive Wirkung entfalten kann.

Jede Marke ist austauschbar

Natürlich ist es bequemer und einfacher eine neue Werbekampagne zu entwerfen, als das Produkt zu verbessern. Allerdings ist es auch genauso zwecklos. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Endverbraucher auf falsche Werbeversprechen hereinfielen. Längst ist das Angebot für die Kunden groß genug, um jede Marke zu verwerfen und nach Alternativen zu suchen. Inzwischen ist in den Augen der Konsumenten jede Marke beliebig austauschbar. Marketingverantwortliche, die das nicht begreifen, haben im digitalen Zeitalter, das mühelos jedes Manko transparent macht, nichts mehr zu suchen.

Damit steigen die Herausforderungen für das Marketing immer weiter. Keinesfalls jedoch sein Einfluss: Nach einer Studie des Mannheimer Instituts für Marktorientierte Unternehmensführung ist der Einfluss der Marketingabteilungen in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken - obwohl sie den größten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Ganz besonders gilt das für die wichtigen Bereiche der strategischen Entscheidungen und für die Produktneuentwicklung. Die Macht darüber im Unternehmen geht immer stärker auf den Vertrieb über.

Wenn die Unternehmenslenker hier nicht eingreifen und ihrem Marketing den angemessenen Einfluss zurückgeben, werden wir bald - im Widerspruch zur Pareto-Regel - noch viel mehr unwirksame Werbung erleben. Wir werden erleben, wie sich immer mehr Menschen von der Werbung abwenden. Und wir werden immer mehr Marken erleben, die ins Straucheln geraten.

Es ist an der Zeit, die Werbung zu retten. Zeit für ein Reset: Zuerst wünschenswerte Produkte schaffen, die ihre Werbeversprechen halten. Und dann Werbung gestalten, die erfreut, statt zu nerven. Am besten sogar in Medien, die von der Zielgruppe auch genutzt werden.

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