Aufteilung von Bundesbehörden Bund kommt bei Ost-West-Angleichung nicht voran

Viele Bundesbehörden sind im Westen angesiedelt. Die Linke fordert ein Vetorecht für den neuen Ostbeauftragten bei Standortentscheidungen.

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Der wirtschaftliche Aufholprozess im Osten wird noch lange dauern. Quelle: dpa

Berlin So ändern sich die Prioritäten: Noch in der vergangenen Legislaturperiode hatten Union und SPD versprochen, neue Bundesbehörden „solange vorrangig in den neuen Ländern anzusiedeln, bis es zu einer annähernd gleichwertigen Verteilung der Standorte im Bundesgebiet gekommen ist“.

Sie unterstrichen damit quasi das, was sich die Politik schon vor mehr als 25 Jahren vorgenommen hat. Im Jahr 1992 hatte die unabhängige Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat festgelegt, dass neue Bundeseinrichtungen und Behörden grundsätzlich im Osten Deutschlands angesiedelt werden sollen. Auf diese Weise sollte ein Ausgleich zum Westen hergestellt werden.

Im neuen Koalitionsvertrag ist davon nun keine Rede mehr. Vielleicht auch deshalb, weil das Ziel unerreichbar zu sein scheint, wie aktuelle Zahlen aus dem Bundesinnenministerium nahelegen, die dem Handelsblatt vorliegen.

Danach liegt der Osten Deutschlands bei der Ansiedlung von Bundes- und Forschungseinrichtungen immer noch weit abgeschlagen hinter dem Westen. Von den insgesamt in der Zusammenstellung des Ministeriums für die Linksfraktion aufgeführten 217 Bundeseinrichtungen haben 194 ihren Hauptstandort im Westen (89,4 Prozent), 23 im Osten (10,6 Prozent).

Vor allem Nordrhein-Westfalen (NRW) hat offenbar in den vergangenen Jahren bei der Ansiedlung von Bundeseinrichtungen profitiert. Dort haben 60 Einrichtungen ihren Hauptsitz. Dahinter rangieren Niedersachsen (28), Berlin (25) und Bayern (19). Mit jeweils nur zwei Bundeseinrichtungen belegen Thüringen, das Saarland und Bremen den letzten Platz. Davor rangieren mit jeweils fünf Bundeseinrichtungen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen.

Bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die vom Bund oder gemeinsam von Bund und Ländern finanziert werden, ergibt sich ein ähnliches Bild. Von den 132 in der Übersicht aufgeführten Forschungseinrichtungen haben demnach 98 ihren Hauptstandort im Westen (74,2 Prozent) und 34 im Osten (25,8 Prozent).

Laut den Ministeriumsangaben liegt Berlin mit 22 Forschungseinrichtungen, die dort ihren Hauptsitz haben, vorn. Dahinter rangieren NRW (17) und Bayern (14) sowie mit jeweils zehn Forschungseinrichtungen Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen. Ganz am Ende rangiert das Saarland mit zwei Forschungseinrichtungen. Davor liegen Thüringen (3) sowie mit jeweils vier Forschungseinrichtungen Hamburg und Rheinland-Pfalz.

Für die Linksfraktions-Abgeordnete Gesine Lötzsch zeigt die Übersicht, dass alle Bundesregierungen seit 1992 den aus dieser Zeit stammenden Beschluss der Föderalismuskommission ignoriert hätten.

„Die Standardausrede der Ministerien sind Kosten-, Infrastruktur- und Personalgründe“, sagte Lötzsch dem Handelsblatt. „Mit der Argumentation hätte man auch den Umzug von Bonn nach Berlin ganz verhindern können.“ Denn in der alten Hauptstadt und in den alten Bundesländern habe es die nötige Infrastruktur und das entsprechende Personal gegeben.

Der Vizechef der Unions-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz (CDU), wies die Kritik zurück. „Ewiges Ächzen, Jammern und Stöhnen beim Anblick des angesichts unserer Ausgangsposition erwartbaren Abstands zum Westniveau nützt uns gar nichts“, sagte Vaatz dem Handelsblatt. Der wirtschaftliche Aufholprozess Ostdeutschlands werde noch lange dauern.

Zwar habe man sich vor 27 Jahren, als Ostdeutschland in einem „eigentlich hoffnungslosen Zustand“ gewesen sei, unter „enormen Anstrengungen und mit vielen Rückschlägen und einer in der Welt wohl beispiellosen Solidarleistung der westdeutschen Bevölkerung“ auf den Weg gemacht, nach und nach zum Westen aufzuschließen. Dieses Ziel sei jedoch noch lange nicht erreicht. „Aber ein Marathonläufer, der eine Stunde später startet als die anderen, hat eben keine großen Aussichten, zum Spitzenläufer aufzuschließen, wenn dieser nicht absichtlich trödelt.“

Und Vaatz wies auf einen anderen Umstand hin: „Noch immer und wohl auf absehbare Zeit ist der Prozentsatz von Dax-Unternehmen im Osten gleich Null.“

Gleichwohl lobte Vaatz, der auch der Sprecher der ostdeutschen Unions-Abgeordneten ist, die Ansiedlung von bundesseitig geförderten Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern als eine Erfolgsgeschichte. „So haben sich in verschiedenen Regionen Ostdeutschlands Forschungs- und Innovationsstandorte etabliert, die sich sehen lassen können“, sagte der CDU-Politiker.

Als Beispiel nannte er die Region Dresden: Der Bund und das Land Sachsen hätten dort durch kluge Förder- und Ansiedlungspolitik beispielsweise auf dem Gebiet der Mikroelektronik oder der Gesundheitsforschung einzigartige Voraussetzungen für Forschung und Entwicklung initiiert. „Fast im Monatstakt erlangen Forschungsergebnisse aus Dresden weltweite Beachtung.“ Das sei auch das Ergebnis einer erfolgreichen Regionalförderung des Bundes im Forschungsbereich.


Forscher betont Vorteile für strukturschwache Regionen

Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka riet zu einer „differenzierten Betrachtung“. „Allein mit der Forderung, mehr Bundeseinrichtungen im Osten anzusiedeln, ist es nicht getan“, sagte Lischka dem Handelsblatt.

Der Osten brauche auch mehr Industrieunternehmen, die mit Forschungseinrichtungen kooperierten und im Idealfall sogar als Drittmittelgeber auftreten könnten. „Es müssen Netzwerke aus universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Einrichtungen des Bundes und der Industrie gewoben werden.“ Das sei im Osten aber „leider deutlich schwieriger als im Westen“.

Gleichwohl hätten sich nach 1990 etliche Bundesforschungseinrichtungen, aber auch Max-Planck-, Fraunhofer, Helmholtz- und Leibniz-Institute im Osten angesiedelt. „Dies geschah entweder aus historischen Gründen, weil es bereits einen Wissenschaftsstandort gab, oder weil eine Verzahnung mit Industrieunternehmen gegeben ist“, erläuterte der Bundestagsabgeordnete, der auch Vorsitzender der SPD in Sachsen-Anhalt ist.

Hier liege aber auch der Grund, warum Ostdeutschland bei der Ansiedlung von Forschungseinrichtungen gegenüber vielen alten Bundesländern nach wie vor im Nachteil sei. „Mit dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie nach 1990 fehlte es oftmals an Partnern in der Praxis, die eine anwenderbezogene Forschung nun einmal braucht“, so Lischka.

Andererseits kann die Entscheidung, wo welche Bundesbehörde oder öffentlich geförderte Forschungseinrichtung ihren Sitz hat, auch positive ökonomische Effekte nach sich ziehen. Schon das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland. Mit der Ansiedlung von öffentlichen Einrichtungen in strukturschwachen Regionen könnte in dieser Hinsicht durchaus etwas bewirkt werden.

Jedenfalls ist es möglich, wie der Vize-Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, kürzlich dem Handelsblatt sagte, auf diese Weise den Anteil hoch qualifizierter Beschäftigter und den Anteil von Forschung und Entwicklung an der gesamten Wertschöpfung in einer Region zu erhöhen. „Beides ist wichtig für strukturschwache Regionen, die häufig innovationsschwach sind“, sagte Holtemöller.

Lötzsch sieht nun den neuen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte, am Zug. „Damit der Beschluss von 1992 nun endlich umgesetzt wird, fordern wir für den Ostbeauftragten bei der Standortsuche für neue Bundeseinrichtungen ein Vetorecht.“

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