Bürgerdialog Wie Osnabrück an der Energiewende mitwirkt – und nicht darüber reden möchte

Quelle: imago-images, dpa

70 Meter hohe Strommasten direkt vor dem Haus: Das ist für Menschen, die an geplanten neuen Höchstspannungsleitungen wohnen, ein Albtraum. Fast überall, wo neue Leitungen geplant sind, regt sich Widerstand, auch in Osnabrück. Die Dialogteams der Netzbetreiber sollen Bedenken beseitigen. Aber warum redet niemand darüber? Teil 13 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Nein, nein und nochmals nein. Über die kritische, aber weit gediehene Auseinandersetzung mit dem Ausbau der Stromtrassen will im Raum Osnabrück offenbar niemand sprechen. Selbst die Bürgerinitiative (BI) „Keine 380kV-Freileitung am Teuto“ nicht. Man wolle den Fortschritt der vergangenen Monate nicht gefährden. Auch der Übertragungsnetzbetreiber Amprion sagt ab, keine politischen Statements so kurz vor der Bundestagswahl. Der Pressesprecher des Osnabrücker Oberbürgermeisters schlägt einen Interviewwunsch aus, ohne einen Grund zu nennen.

Dabei wäre der Halt in Osnabrück eine gute Gelegenheit, über das zu sprechen, was nur wenige direkt vor der eigenen Haustür, aber doch alle Menschen in Deutschland betrifft: den Ausbau der Energienetze für die Energiewende. Denn eine verlässliche Stromversorgung wollen alle. Für Menschen aber, denen die geplanten Hochspannungsleitungen praktisch durch den Garten laufen, ist die Energiewende oft ein Albtraum.

Das wichtigste Umspannwerk Osnabrücks liegt im Stadtteil Lüstringen. Zehn Minuten Autofahrt sind es von hier bis zum Hauptbahnhof. Nicht nur für die Stadt selbst ist das weitläufige Werk ein wichtiger Knotenpunkt. Windstrom von der Küste kommt hier durch, auf dem Weg in den Süden. In dieser Gegend stellt Amprion von 220 auf 380 Kilovolt (kV) um. Das ist notwendig, um die erforderliche Leistung und Durchleitung zu stemmen.

Die Trasse des Anstoßes führt vom Umspannwerk Wehrendorf nach Lüstringen und weiter in Richtung Borgholzhausen. Der Streit dreht sich um die Frage, wie viele Kilometer des Kabels Amprion unter die Erde verlegt. Das ist geräuschärmer und verschandelt das platte Land nicht. Andererseits ist noch nicht geklärt, ob Erdkabel Auswirkungen auf die Ernte haben könnten. Ende Mai kam die Nachricht: Amprion lässt sich auf 20 Kilometer Erdverkabelung ein. „Von der ‚konfliktärmsten Variante‘ spricht Amprion-Vorhabenleiter Jörg Finke-Staubach, aber die Reaktionen aus der Region Osnabrück machen deutlich, dass der Konflikt noch längst nicht beigelegt ist“, schrieb die „Neue Osnabrücker Zeitung“.

Die vier großen Netzbetreiber 50Hertz, Amprion, Tennet und TransnetBW teilen das Land unter sich auf. Sie haben als Quasi-Monopole den staatlichen Auftrag, ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele zu erreichen. Drei Hauptleitungen verbinden den Norden mit dem Süden. Damit die Akzeptanz für manche Großprojekte in der Bevölkerung steigt, beschäftigen die Unternehmen eine Schar an Dialogbeauftragten und Kommunikationsexpertinnen, die mit den Menschen vor Ort in Kontakt treten. Das Bundeswirtschaftsministerium unterhält zusätzlich einen eigenen Bürgerdialog Stromnetz, der unabhängig von den Netzbetreibern sein soll.

„Der Dialog ist total wichtig“, sagt eine Dialogmitarbeiterin eines Netzbetreibers. „Unser erstes Ziel ist immer, durch diesen Dialog eine Einigung zu finden.“

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Doch wie läuft die Kommunikation genau ab? Welche Strategie verfolgen die Unternehmen? Welche Angebote machen sie denen, die vom Lärm einer neuen Hochspannungsleitung mit 380 Kilovolt (kV) oder gar einem Trassenneubau unmittelbar betroffen sind und womöglich umziehen müssen? Die Kommunikationsexpertin hat sich bereit erklärt, anonym Auskunft zu geben, stellvertretend für den Bürgerdialog um die deutsche Energiewende.

„Wir sprechen zunächst mit den Trägern öffentlicher Belange und versuchen, sie als Fürsprecher zu gewinnen. Dann sagt der Bürgermeister, kommen Sie mal in den Gemeinderat. Der nächste Schritt ist die öffentliche Kommunikation über die Presse und Infoveranstaltungen. Wir machen noch vor dem Genehmigungsverfahren Dialogveranstaltungen, um dafür zu sorgen, dass sich keine Vorurteile oder Falschinformationen verbreiten. Vor Corona gab es Infomärkte, auf denen wir Projekte vorgestellt haben, oder Fachexperten haben in Turnhallen etwas zu elektromagnetischen Feldern oder dem Geräuschpegel erzählt. Während der Pandemie ging es online weiter. Allmählich läuft der Dialog auch wieder vor Ort an.“

Letztlich haben die Netzbetreiber das Gesetz auf ihrer Seite. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das Netzausbaubeschleunigungsgesetz und andere regeln, welche Pflichten und welche Rechte die Netzausbauer haben. Der Paragraph 45 des EnWG erlaubt unter Umständen auch Enteignungen. Das Raumordnungsverfahren legt aber gleichwohl fest, dass die Unternehmen nicht einfach ihre Wunschtrasse diktieren können, sondern Kompromisse eingehen müssen.

Die Kommunikationsstrategie

„Wie wir kommunizieren, hängt davon ab, auf wen man trifft“, sagt die Dialogmitarbeiterin. „Wir analysieren vorab die Region: Welche Themen beschäftigen die Menschen, welche Bürgerinitiativen gibt es schon und wie viele Ökobauern? In jedem Gebiet mit bestehender Leitung haben wir Leute wie den Leiter des Umspannwerks, die uns sagen können, wie die Stimmung ist. Wenn das zum Beispiel eine energiebewusste Gemeinde ist, sagen wir, ‚mit dem Neubau werdet ihr ein wichtiger Teil der Energiewende‘. Wenn Menschen die Natur und Umwelt total wichtig sind, sorgen wir dafür, dass ihr Wanderweg nicht mehr überspannt ist, wir räumen sozusagen auf. Die Kernbotschaften erarbeiten wir auch mit externen Agenturen.“

Also in erster Linie: informieren. Dann Akzeptanz schaffen. Und zuletzt, so der Wunschgedanke: Begeisterung.

Verkaufsanreize

Entsteht eine neue Trasse, bieten die Netzbetreiber den Besitzern eines Flurstücks eine Prämie an. Das können mehrere Tausend Euro sein, die zusätzlich zu einem möglichen Verkaufswert anfallen, als reiner Anreiz. Je eher sich jemand für den Verkauf und einen Umzug entscheidet, desto mehr Geld zahlt der Betreiber. „Wenn sie sich querstellen, geht es vor Gericht, und sie bekommen gar keinen Bonus“, sagt die Dialogmitarbeiterin.

Die Dialogverweigerer

„Leute, die dagegen sind“, gebe es immer, sagt die Frau vom Übertragungsnetzbetreiber, die auch mit diesen ins Gespräch kommen muss. „Manchmal hat man das Gefühl, man redet gegen Wände, zumal wenn das dann noch der Meinungsführer in der Kneipe im Ort ist.“ Sie berichtet von Kollegen, die bespuckt und wüst beschimpft worden seien. Aber diese Geschichten möchte sie lieber nicht ausbreiten.

Mehr zum Thema: Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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