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Optiker Fielmann spart an vielem – außer an der technologischen Zukunft

Marc Fielmann in der neuen Vorzeigefiliale in Hamburg: Digitale Technik soll den Laden zukunftsfähig machen. Quelle: Fielmann

Mitten in der Krise eröffnet Marc Fielmann eine neue Hightech-Filiale. Der Chef des Hamburger Familienkonzerns investiert kräftig ins Digitale.

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Dieser Text ist zuerst im Handelsblatt erschienen.

Weitsicht hat nicht unbedingt etwas mit Sehschärfe zu tun. Sonst dürfte man Marc Fielmann mit seinen minus 2,5 Dioptrien womöglich nicht allzu viel zutrauen. Es wird ohnehin schon einige Geschäftspartner, Konkurrenten oder Mitarbeiter gegeben haben, die den 30-Jährigen unterschätzt haben: sein blasses Gesicht, die akkurate Frisur und die Anzüge, die wie auf magische Weise immer ein bisschen zu groß wirken.

Aha, das ist also der Junior, werden sie gedacht haben. Der Junior vom Senior. Der Erbe von Deutschlands größtem Optiker-Riesen, Günther Fielmann. Ja klar, ne?

Nichts ist klar. Denn dann erlebt man Marc Fielmann, wie er diese Woche am Firmensitz in Hamburg seinen neuen Flagship-Store in der Mönckebergstraße eröffnet: fünf Stockwerke, 1370 Quadratmeter, fast zwei Jahre Umbauzeit, vier Millionen Euro Kosten, 100 Beschäftigte, Hightech an jeder Wand. Obendrein sind im Shop 500 Antennen verbaut und zahllose RFID-Chips, die jedes Gestell innerhalb weniger Sekunden lokalisieren können, auf die Schublade genau. Hier kann niemand die Fassung verlieren.

Wer wagt mitten im Corona-Theater so einen Move? Und wer kann ihn dann auch noch so glaubhaft erklären? Es geht ja hier nicht nur um Brillen. Es geht um Omnichannel-Strategien, um 3D-Anproben, ohne ein einziges Gestell in der Hand zu haben, um eine Wunder-App, von der noch die Rede sein wird, und um Zeitmanagement. In erster Linie das der Fielmann-Kunden, denn der Hauptgrund, weshalb Brillenträger Fielmann den Rücken kehren, seien bislang die Wartezeiten, erklärt der CEO.

Natürlich kann man sich via Internet oder Telefon für seine Filialen einen Termin geben lassen. Aber man kann künftig auch einfach in einem der Shops vorbeischauen. Statt dann sinnlos herumzustehen, wird einem nun gesagt: „Wollen Sie nicht noch was einkaufen? In genau 34 Minuten ist ein Kollege für Sie da!“

Umsatzeinbruch durch Corona

Natürlich hat auch Branchenprimus Fielmann (1,8 Milliarden Euro Umsatz, über 20.000 Mitarbeiter) unter Corona gelitten – obwohl die mehr als 750 Filialen nicht vom totalen Shutdown betroffen waren. Optiker galten als systemrelevant. Trotzdem brach der Umsatz in der Spitze um rund 80 Prozent ein.

Also wurden Einstellungsstopps verhängt, Gehaltserhöhungen ausgesetzt und Werbebudgets gestutzt. Auch eine Dividende werde es dieses Jahr nicht geben, erklärt Fielmann junior, wenngleich das vor allem ihn und seine Familie trifft, die noch rund 71 Prozent der Aktien kontrolliert. Erklärtes Ziel: „Wir wollen die Liquidität stabilisieren.“

Woran er partout nicht sparen möchte, ist die Zukunft. Und die Zukunft, das ist der Inkubator Fielmann Ventures, den er selbst einst gegründet hat. Acht Jahre ist es nun her, dass er in der kleinen Tochterfirma anfing, um das Unternehmen für die Zeit nach seinem Vater vorzubereiten. Und man kann sich vorstellen, was das bei einem Vater bedeutet, bei dem früher schon mal ein Stuhl durchs Büro geflogen sein soll, wenn’s mal nicht so lief.

Und auch wenn der Sohn früh auf die Hauptrolle vorbereitet wurde (Abitur in Salem, Wirtschaftsstudium in London, Praktika bei Branchengrößen wie Luxottica) – so was nennt man wohl Kulturwandel, wenn der Generationswechsel auch verlangt, dass eine Firma sich völlig neu aufstellt. Was für Fielmann senior noch die „Brille zum Nulltarif“ war, wurde die Digitalisierung für den Sohn: Chance, weil Neuland.

200 Millionen Euro für Digitalisierung

Einerseits schläft die Konkurrenz nicht: Online-Angreifer wie Mister Spex oder Brille 24 witterten ihre Chance. Andererseits hat sich gezeigt, dass die Kunden zwar Kontaktlinsen im Netz bestellen, beim Brillenkauf aber weiterhin auf Shops und persönliche Beratung setzen. Kaum einer der E-Commerce-Spezialisten, der deshalb nicht mit eigenen Shops in die Innenstädte drängt.

Der Onlinehandel macht am Umsatz eines Riesen wie Fielmann bislang nur ein Prozent aus, verspricht aber durchaus Wachstum. Ohne Hightech geht’s indes auch in den Läden nicht, wie Fielmanns Neueröffnung zeigt. Die größte Filiale Deutschlands ist auch „die modernste im ganzen Unternehmen“.

Was anfangs wie eine nerdige Spielwiese wirkte, hat sich mittlerweile zum internen Inkubator ausgewachsen: Bei Fielmann Ventures basteln heute 300 Beschäftigte an der Zukunft – und die heißt auch für Optiker: Digitalisierung und Automatisierung. 200 Millionen Euro stehen an Investitionsmitteln vergangenes und dieses Jahr insgesamt bereit. Und wenn jetzt alle sagen, Corona befeuere die Digitalisierung, sagt Fielmann: „Alles, was wir schon vor Corona begonnen haben, machen wir jetzt weiter. Allenfalls noch entschlossener.“

Das kann auch heißen: Sofern ein Start-up irgendwo auf der Welt bei einer Schlüsseltechnologie mal weiter ist als die Hamburger, beteiligt sich Fielmann einfach und hofft, damit zugleich neue Branchenstandards setzen zu können. An dem auf Augmented Reality spezialisierten Start-up Fittingbox hat sich der Branchenprimus etwa ebenso beteiligt wie zuletzt an Ubimax, einem Bremer Experten für Datenbrillen, sogenannte Smartglasses.

Fielmanns Ziel ist eine App, die Ende des Jahres marktreif sein soll und sich auf „drei Schlüsseltechnologien“ fokussiert: eine verlässliche 3D-Anprobe, eine millimetergenaue 3D-Anpassung und einen Online-Sehtest.

„Geschwindigkeit ist wahnsinnig wichtig geworden“, sagte der Manager schon Ende vergangenen Jahres dem Handelsblatt in seinem ersten Interview, das er als alleiniger CEO nach dem Abschied seines Vaters gab. Für Zweifel hat er keine Zeit.

Fielmanns neuer Hamburger Flagship-Store in der Nachbarschaft des Rathauses soll mehr als zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr liefern. Corona hin oder her – das sei die Zukunft, auch wenn sich selbst der 30-Jährige schon ein bisschen Nostalgie gönnt: Ein halbes Jahr lang habe er hier einst im alten Laden selbst Brillen verkauft – mit deutlich weniger Hightech.

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