Die Welt ist nicht schwarz-weiß – und Begriffe wie „nachhaltig“ oder „sozial“ äußerst dehnbar. Transparenz bringt die neue EU-Taxonomie Anlegern deshalb kaum. Quelle: Imago

BörsenWoche 362 - Editorial Warum ESG-Regeln Anlegern mehr Verwirrung als Transparenz bringen

Der Skandal um Greenwashing bei der Fondsgesellschaft DWS heizt die Diskussion um ESG-Standards für Finanzprodukte an. Klar ist: Sie brachten bisher nur Verwirrung und kaum sinnvolle Ergebnisse.

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Wie sozial ist ein Panzer? Mit dieser und ähnlichen Fragen beschäftigte sich jüngst eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission. Nachdem das EU-Parlament mit der sogenannten Taxonomie ökologische Nachhaltigkeitskriterien für Investments festgelegt hat, widmet sie sich nun dem "S" in "ESG". "ESG" ist ein englisches Akronym für Nachhaltigkeit, Soziales und Unternehmensführung. Diese drei Parameter sollen Anlegern künftig mehr Transparenz bei der Geldanlage bieten. Allerdings hätte schon beim Festlegen der Umweltkriterien klar sein müssen, dass dieser Ansatz kaum zu einem sinnvollen Ergebnis führen wird.

Beispiel Kupfermine: Die Abbauorte gleichen Mondlandschaften, zerstören ganze Landstriche. Das kann nicht nachhaltig sein. Oder doch? Ohne Kupfer gibt es schließlich keine Energiewende. Und in welche Schublade passt das Unternehmen Orsted? Die Dänen sind Weltmarktführer beim Betrieb von Offshore-Windenergieanlagen, produzieren den Großteil ihres Stroms heute erneuerbar. Aber es gibt auch noch ein Erdgas-Geschäft, Verträge laufen unter anderem mit Gazprom. Ist das jetzt grün? Atomkraft ist grün, da entsteht kein Kohlendioxid. Sagt zumindest das rund 600 Seiten schwere Taxonomieregelwerk. Über den langfristig ungeklärten Umgang mit radioaktivem Müll wurde dabei hinweggesehen.

Die Welt ist nicht schwarz-weiß – und Begriffe wie „nachhaltig“ oder „sozial“ äußerst dehnbar. Auch die Berechnung lässt ordentlich Spielraum: Wenn Sie Essen bestellen, lassen sich Transportemissionen oder verbrauchte Energie fürs Kochen leicht messen. Aber spätestens in der Lieferkette wird geschätzt. Wer weiß schon, welchen Dünger und wie viel davon der Bauer in Südamerika für das Avocadopesto auf der Pasta verwendet hat?

Ratinganbieter nutzen diese Unschärfen, um sich voneinander abzusetzen. Ist ein Unternehmen nicht besonders nachhaltig, kann es das Rating eines Anbieters mit stärkerem Sozialfokus hervorheben. Der Immobilienkonzern Vonovia, dem Kritiker Sanierungsstau und intransparente Nebenkostenabrechnungen vorwerfen, konnte sein ESG-Rating bei MSCI – vereinfacht gesagt – mittels Wildblumenwiesen und Bäumen vom schmuddeligen BBB auf A steigern. Anderen Agenturen reichte der Wandel nur für einen Sprung von C- auf C.

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Vergleichbarkeit unter Ratings ist schwierig. Statt Transparenz bringen die ESG-Regeln vor allem Verwirrung. Zumal sie sich ständig ändern. Der DWS fiel das vergangene Woche auf die Füße. Die Fondsgesellschaft habe die proklamierten ESG-Kriterien nur „in einer Minderheit der Investments“ berücksichtigt, sagt die Staatsanwaltschaft. Ob das beabsichtigt war, muss sich zeigen. Fest steht: Wer nachhaltig anlegen will, sollte sich Ratings sehr genau ansehen und sie mit gesundem Menschenverstand hinterfragen. Der Papiertiger aus dem Europaparlament unterstützt dabei kaum.

Vielleicht hätte den Politikern ein Austausch mit Biologen geholfen. Die nutzen schon seit Jahrhunderten ein Taxonomiesystem, um Lebewesen zu klassifizieren – und es ist noch heute voller Lücken.

Ich wünsche Ihnen eine nachhaltig erfolgreiche Woche.
Ihr Lukas Schmitt

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