Abbrecherquote in der Berufsausbildung Die Köche klagen, der Mittelstand ist zufrieden

In der Gastronomie sind die Abbrecherquoten besonders hoch: Fast jeder zweite Koch-Azubi beendet seine Lehre vorzeitig. Quelle: dpa

Jeder vierte Lehrling bricht hierzulande seine Ausbildung vorzeitig ab. Zwei Ausbilder berichten – der eine schimpft, der andere kann aus hunderten Bewerbungen aussuchen.

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Es ist wie jeden Samstagabend: hektisch. In der einen Ecke der Küche wird das Lammfleisch noch angebraten, in der anderen garniert Christian Siepermann schon das fertige Gericht. „Küchenchef“ steht in eingestickten Lettern auf seinem weißen Overall, Siepermann ist Inhaber des Berghofs, einem Restaurant in Wenden im Sauerland. Vier Köche arbeiten in der Küche, ein Azubi ist nicht darunter. Die beiden letzten Lehrlinge, die Siepermann eingestellt hat, haben ihre Ausbildung vorzeitig abgebrochen.

„Mit den Auszubildenden wird es von Jahr zu Jahr schlimmer“, sagt Siepermann. „Die Zeugnisse sind miserabel und die Einstellung ist viel schlechter als früher.“ Wenn der 51-Jährige das sagt, hat es Gewicht. Seit 25 Jahren bildet Siepermann Köche aus, seit fast zwei Jahrzehnten prüft er als Mitglied des Prüfungsausschusses der örtlichen Industrie- und Handelskammer die Koch-Azubis. „Die Gastronomie bleibt wegen der schlechten Azubis irgendwann auf der Strecke“, glaubt Siepermann. „Das ist schon frustrierend.“

Siepermann dürfte hierzulande nicht der einzig frustrierte Chefkoch sein. In Deutschland, das zeigt der Entwurf des diesjährigen Berufsbildungsberichts, beendet fast jeder zweite Koch-Azubi seine Lehre vorzeitig. In der Gastronomie sind die Abbrecherquoten besonders hoch. Doch auch über alle Branchen hinweg betrachtet, brechen so viele Lehrlinge wie seit Anfang der 90er-Jahre nicht mehr ihre Ausbildung vorzeitig ab – jeder vierte nämlich.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass in dieser Statistik auch solche Lehrlinge als „Abbrecher“ gezählt werden, die ihren Ausbildungsplatz wechseln oder aus gesundheitlichen Gründen ihre Lehre nicht beenden können. Arbeitsmarktexperten sprechen daher von einer „Vertragslösung“. Trotz der statischen Einschränkung: Die Quote liegt erstmals über 25 Prozent, in den 90er-Jahren waren Werte zwischen 20 und 25 Prozent üblich, zeigt der Berufsbildungsbericht.
Dort steht auch, dass sich vor allem kleinere Firmen als Ausbildungsbetrieb zurückziehen, weil sie keine passenden Bewerber mehr finden. Die Quote der Ausbildungsbetriebe sank erstmals unter 20 Prozent. Zum Vergleich: 2007 bildete noch fast jedes Unternehmen aus. Dieser Trend zeigt sich auch im Sauerland bei Chefkoch Siepermann. Er will vorerst keine jungen Menschen mehr anlernen. „Ich habe von unmotivierten Lehrlingen die Nase voll“, schimpft er. Stattdessen hat er nun einen ausgelernten Koch angestellt.

Probleme, mit denen Kai Gebhardt nichts zu tun hat. Gebhardt bildet bei Ebm-Papst, einem Mittelständler, der Elektromotoren und Ventilatoren herstellt, seit fast zwei Jahrzehnten Lehrlinge aus. In jedem Ausbildungsjahr bietet er am Standort im bayrischen Landshut für angehende Mechatroniker, Industriemechaniker und Industriekaufleute 12 Stellen an. Und kann dafür aus 300 Bewerbungen auswählen, erzählt er. Doch so luxuriös wie die Situation zunächst scheint, ist sie nicht: Die Zahl der Bewerber geht seit Jahren zurück, die Zeugnisse der Bewerber würden schlechter, so Gebhardt. „Es wird immer schwieriger, noch gute Kandidaten zu finden.“ Bislang aber hat der 59-Jährige immer noch den passenden Azubi eingestellt. In den vergangenen 19 Jahren, berichtet er stolz, habe nur ein Lehrling seine Ausbildung vorzeitig beendet.

Für kleine Betriebe geht es bei der Azubi-Frage um die Existenz

Zwei langjährige Ausbilder, zwei völlig unterschiedliche Darstellungen. Was sind die Gründe für die Gegensätze? Die Bezahlung, meinen Gewerkschaftsvertreter. Dort, wo die Vergütung niedrig ist, seien die Abbrecherzahlen hoch. Doch wissenschaftlich ist ein Zusammenhang nicht zu belegen. „Es gibt immer ein Bündel an Ursachen, die zur Vertragslösung führen“, sagt Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Dazu zählten etwa die Attraktivität des Berufes und die Karriereaussichten. Auch die Größe des Unternehmens habe einen Einfluss: „Ein Mittelständler hat für den Auszubildenden ganz andere Betreuungsmöglichkeiten als ein kleiner Betrieb“, sagt Esser.

Die Gründe für die hohe Abbrecherquote

So ist zu erklären, dass Chefkoch Siepermann über viele Abbrecher klagt und Ausbilder Gebhardt aus hunderten Bewerbungen auswählen kann. Auf der einen Seite: ein Betrieb mit zwölf Mitarbeitern, der um Auszubildende in einem Job mit schlechten Arbeitszeiten wirbt. Auf der anderen: ein Unternehmen mit fast zwei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr und 14.000 Mitarbeitern, das in angesehenen Berufen mit langjährigen Verträgen und Auslandspraktika locken kann. Bildet sich hier eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Lehrlingen?

Koch Siepermann hat, so erzählt er, „manchmal das Gefühl, dass sich bei mir nur Schüler bewerben, die woanders keinen Platz gefunden haben.“ Gerade dann, erklärt Experte Esser, sei die Wahrscheinlichkeit der Vertragslösung besonders hoch. Mit Werbeanzeigen und runden Tischen hat der Koch aus dem Sauerland versucht, motivierte Azubis zu finden. Den gewünschten Erfolg haben die Maßnahmen nicht gebracht. „Ohne Azubis steht man als Selbstständiger mit dem Rücken zur Wand“, sagt Siepermann. Ein befreundeter Koch aus dem Schwarzwald habe jüngst erst ein gut laufendes Restaurant geschlossen. Er habe einfach keine Azubis mehr begeistern können.

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