Arbeitspsychologe Hagemann Was reizt uns am Leben ohne Arbeit?

Was reizt uns so am Leben ohne Arbeit – und kann es uns wirklich glücklich machen? Quelle: dpa

Vom Normalverdiener zum Privatier - kann das wirklich glücklich machen? Wir haben den Arbeitspsychologen Tim Hagemann gefragt, was am Leben ohne Arbeit so reizvoll ist.

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WirtschaftsWoche: Warum wollen die Deutschen so dringend ihren Job an den Nagel hängen?
Tim Hagemann: Das Thema Privatier oder Rente mit 40 reizt natürlich gerade Leute, die sowieso unzufrieden in ihrem Job sind. Deswegen ist es wichtig zu unterscheiden, ob jemand tatsächlich komplett aufhören oder einfach aus seiner aktuellen Situation raus möchte. Was viele Menschen umtreibt sind Handlungsspielräume und Wertschätzung. Menschen sind unzufrieden, wenn sie langfristig das Gefühl haben, dass sie in ihre Arbeit mehr Anstrengung oder negative Emotionen investieren, als dass sie Positives zurückbekommen.

Zur Person

Es gibt aber auch das umgekehrte Problem, dass sich Menschen in ihrem Job sehr wohl fühlen und dann mit 64 oder sogar früher in Rente geschickt werden. Das kommt zum Beispiel bei Wissenschaftlern häufig vor, die dann beispielsweise in die USA gehen, weil sie dort Möglichkeiten haben, über ihre Altersspanne hinaus zu arbeiten. Viele Piloten klagten sogar gegen ihren vorzeitigen Ruhestand, weil sie mit 60 noch nicht aufhören wollen. Das Phänomen kann bei so gut wie allen Menschen auftreten, die entweder mit ihrem Job sehr zufrieden sind oder sich dadurch einen gewissen Lebensstandard leisten können.

Viele sehnen sich nach Freiheit. Schließt Arbeit Freiheit aus oder kann man auch als Angestellter frei sein?
Das hängt ganz von den Arbeitsumständen ab, in denen ich mich befinde. Bin ich zum Beispiel in der Montage, mit einer Arbeitstaktung von 60 Sekunden am Fließband, in der ich immer wieder die gleiche Tätigkeit ausübe bin ich natürlich weniger frei, als jemand der selbstständig ist. Aber auch Facharbeiter mit wenig Freiheit am Arbeitsplatz können sich durch ein gutes Gehalt, mit dem sie Dinge außerhalb der Arbeit verwirklichen können, frei fühlen.

von Niklas Hoyer, Georg Buschmann, Martin Gerth, Dieter Schnaas, Milena Merten

Angenommen, jemand schafft es tatsächlich zum Privatier. Was muss dieser Mensch beachten, um glücklich zu werden?
Was ein Mensch braucht sind ein soziales Umfeld und soziale Anerkennung. Hat man als Privatier die finanziellen Mittel, gibt es viele Möglichkeiten, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. Viele haben Hobbies, denen sie sich vollkommen widmen möchten, andere reisen, wieder andere kümmern sich um die Kinder, Nichten und Neffen oder Enkelkinder. Lebenszufriedenheit misst sich durchaus am materiellen Auskommen. Aber Studien von Kahnemann zeigen auch, das Geld nur solange zur Lebenszufriedenheit beiträgt, bis jemand etwas mehr als der Durchschnitt verdient. Ob man dann doppelt, dreifach oder vierfach so viel verdient, hat kaum mehr Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und das Lebensglück.

Ich würde daher sagen, dass arm sein zwar unglücklich macht, Reichtum aber sicher nicht zwangsläufig glücklich. Lebenszufriedenheit ist nicht unbedingt von der Arbeit abhängig – genau so gut können sich Menschen kulturell, wissenschaftlich oder politisch engagieren. Nur für sich alleine zu sein, ohne Aufgabe oder Sinn, dass wird für die Allermeisten sehr schwierig.

Ist es eine typisch deutsche Eigenheit, sich stark über die Arbeit zu definieren?
In England, den USA oder Frankreich ist das noch extremer als in Deutschland. Dort spielt nicht nur der Beruf, sondern auch die Universität, an der man studiert hat, eine große Rolle und kann ausschlaggebend in Sachen Jobsuche und Status sein. Aber natürlich hat Arbeit bei uns einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, wir definieren uns über unseren Beruf und haben das Bedürfnis, ein anerkannter Teil der Gesellschaft zu sein. Ein Mensch, der es schafft, bis 40 oder 50 so viel Geld zu erwirtschaften, dass er danach als Privatier leben kann, erfährt sicher auch viel Anerkennung.

Etwas anderes ist es, wenn ich im gleichen Alter arbeitslos werde. Es gibt Untersuchungen, dass arbeitslose Menschen, denen es durch den Verlust der Arbeit nicht nur materiell sondern auch psychisch sehr schlecht geht, sich mit dem Eintritt ins Rentenalter besser fühlen. Zwar hat sich ihre finanzielle Situation dann nicht verbessert, aber die Notwendigkeit, sich gegenüber der Gesellschaft erklären zu müssen entfällt. Sie sind dann nicht mehr arbeitslos, sondern Rentner.

Ist tatsächlich die Arbeit schuld daran, dass viele Menschen unglücklich sind, oder liegen die wahren Gründe woanders?
Heute ist - anders als früher, eine Frührente - die einem, zusammen mit ein paar Ersparnissen, ein gutes Leben ermöglicht, zur Seltenheit geworden. Sicher trägt die Tatsache, dass ein Großteil der Menschen aufgrund der wirtschaftlichen Situation bis Ende 60 arbeiten muss, zu einem erhöhten Druck bei. Aber ich glaube, dass der größere Teil nicht zufrieden ist, weil diese Menschen den falschen Job gewählt haben, sich nicht wohlfühlen, auf Grund ihres Alters aber nicht mehr so einfach wechseln können. Gerade Beamte befinden sich häufig in einer Zwickmühle – ein Lehrer, der Ende dreißig merkt, dass der Job ihn zu sehr belastet, gibt den sicheren Job, gute Altersbezüge und die vielen anderen Vorzüge natürlich nicht so leicht auf.

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