Folgen der Coronapandemie Not der Auslandsschulen könnte Fachkräftemangel verschärfen

Auch die deutschen Schulen im Ausland mussten digital umschulen.

Deutsche Auslandsschulen fürchten um ihre Existenz. Das wirkt sich auf die Zahl der Studierenden in Deutschland aus – und auf die Suche nach den begehrten Talenten.

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Seine Winterferien verbringt Eberhard Heinzel im sonnigen Deutschland. Doch an Urlaub ist für den Schulleiter der Humboldt-Schule in Perus Hauptstadt Lima nicht zu denken. Seine Schule ist, wie viele Deutsche Auslandsschulen (DAS), durch die Coronakrise existenziell gefährdet. Die Lage sei sehr ernst, sagt Heinzel, seit Monaten arbeite er die Wochenenden durch.

Die Humboldt-Schule finanziert sich wie alle Auslandsschulen zu 70 Prozent selbst. Weil Eltern aber das Schulgeld nicht mehr bezahlen können und viele Schulen darauf mit einer Senkung des Beitrags reagieren, brechen Erlöse weg. Zwei Drittel der Institute stehen einer Umfrage des Weltverbands der Deutschen Auslandsschulen (WDA) zufolge wirtschaftlich schlecht da. Vier von fünf erwarten, dass sie mit weniger Geld auskommen müssen und die Schülerzahlen sinken werden.

Wie das Goethe-Institut oder die Deutsche Welle leisten die deutschen Auslandsschulen einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung von Kultur und Sprache. Mit dem Deutschen Sprachdiplom und den Abschlüssen an den Auslandsschulen erlangen jährlich rund 20.000 Absolventen weltweit den Zugang zum Studium in Deutschland, knapp die Hälfte davon kommt tatsächlich. Jeder dritte Auslandsschüler bleibt nach einer Ausbildung in Deutschland auch hier. Doch durch die Coronapandemie dürften diese Zahlen jetzt sinken – und damit den Fachkräftemangel verstärken.

„Wenn Eltern die Kinder abmelden müssen, gibt es weniger Abiturienten und dadurch weniger Übergänge nach Deutschland“, stellt Werner Fabisch, Schulleiter der größten deutschen Auslandsschule in São Paulo, fest. Peter Fornell sieht das ganz ähnlich. Auch der WDA-Präsident glaubt, dass Corona einen „Einschnitt“ für die Zahl der Studierenden und Fachkräfte aus dem Ausland bedeute.

Guter Ruf und kostenlos

Vorerst gebe es keine Schließungen, sagt Fornell. „Dies ist aber für die Zukunft abhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie und von der Notfallhilfe.“ Das Auswärtige Amt habe für kommendes Jahr weitere 91 Millionen Euro an finanziellen Mitteln beim Bund beantragt. Normalerweise stellt die Bundesregierung den knapp 140 deutschen Auslandsschulen rund 200 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Vor einigen Wochen kamen 70 Millionen Euro als Nothilfe dazu. „Das könnte in diesem Jahr hinkommen, aber 2021 wird es weiter große Verwerfungen geben“, prognostiziert Fornell. Die Soforthilfe sei erforderlich, „um die Existenz der Schulen überhaupt zu sichern“, teilt das für die Auslandsschulen zuständige Bundesverwaltungsamt mit.

Eines der Institute, das die Unterstützung dringend benötigt, ist die Humboldt-Schule in Lima. Heinzel muss die Schule vor dem Aus retten. Anfang August beginnt das zweite Semester in Peru. Das Land in Südamerika liegt in der aktuell besonders von der Pandemie betroffenen Region. Peru hat mit 390.000 bestätigten Covid-19-Fällen die siebthöchste Zahl an Infektionen weltweit, hinter Mexiko und vor Chile. 

Die Auswirkungen der Krise erreichten derzeit in Nord- und Südamerika auch „einen Peak“, sagt Fornell. In Venezuela, sagt Fabisch, der bis 2015 dort unterrichtete, „kumulieren sich die Probleme nicht, die potenzieren sich durch die politische und wirtschaftliche Instabilität und die damit einhergehende Inflation“. In Asien hat sich die Lage laut Fornell zwischenzeitlich entspannt. In Hongkong etwa mussten Schulen aber wieder schließen.

Die Frage, ob mittelfristig weniger gut ausgebildete Jobanwärter nach Deutschland kommen, könne aber aktuell „nicht seriös beantwortet werden“, sagt eine Sprecherin des Bundesverwaltungsamtes. Der volkswirtschaftliche Wert der deutschen Auslandsschulen lässt sich hingegen beziffern: Durchschnittlich generieren sie mit ihrer Arbeit in den Gastländern eine Wertschöpfung in Höhe von 462 Millionen Euro. Die Schulgebühren variieren je nach Schulform und Umfang des Deutschunterrichts zwischen 3400 und 9700 Euro jährlich.

In diesem Jahr hätten noch alle Schüler rechtzeitig ihre Abschlüsse ablegen können, sagt die Behördensprecherin. Doch das gilt längst nicht für alle Schulen, vor allem nicht für die der Südhalbkugel, auf der das Schuljahr erst zur Hälfte vorüber ist.

Und selbst wenn Eltern nicht selbst in Geldsorgen gerieten, seien sie oft „nicht mehr bereit, Schulgeld zu bezahlen, wenn kein Präsenzunterricht stattfindet“, sagt Fornell. Das Schulgeld haben auch Werner Fabisch und seine Kollegen am Colégio Visconde de Porto Seguro in São Paulo verringert. Doch seine Sorgen halten sich in Grenzen. Nicht nur weil er Ende Juli in Pension geht. Die Auslandsschule, die er in den vergangenen Jahren geleitet hat, trotzt der Krise. Aus einem einfachen Grund: Sie hat als Träger eine finanzkräftige Stiftung.

Seit Anfang März unterrichten die Lehrer per Videoschalte. „Wir haben den Stundenplan eins zu eins umgesetzt. Wenn von 7 bis 14 Uhr Unterricht anstand, hat der genauso über Microsoft Teams stattgefunden“, sagt Fabisch. Aber es sei belastend, „wenn man am Tag zehn Stunden vor dem Laptop sitzt“.

Er hält es für möglich, dass sich bald weniger junge Erwachsene von den Auslandsschulen nach Deutschland aufmachen. Deutschland könne aber sogar profitieren, wenn sich Schüler, die sonst eher die USA oder England anpeilen würden, umorientierten. Aus zwei einfachen Gründen, sagt Fabisch: „Deutsche Unis haben einen guten Ruf und sind kostenlos.“

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