Historiker Hasso Spode „Alkohol schafft Vertrauen im Geschäftsleben“

Heutzutage ist Alkohol im deutschen Geschäftsleben verpönt. Das war nicht immer so. Quelle: Getty Images, Montage

Heutzutage ist Alkohol im deutschen Geschäftsleben verpönt. Das war nicht immer so. Der Historiker Hasso Spode erklärt, wie es zu dem Wandel kam und warum Alkohol in anderen Kulturen noch immer Geschäfte beflügelt.

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Herr Spode, die Flasche Schnaps in der Schreibtischschublade gehörte in vielen Büros einmal zum Repertoire. Heute gilt ein solches Verhalten als pathologisch. Sind wir abstinenter geworden?
Abstinent sind wir zwar noch nicht, aber die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Tat drastisch ernüchtert. Als es nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich bergauf ging, galten Alkohol und Tabak als die großen Sendboten der Freiheit und des Überflusses. Die Mittelschicht etablierte ab den Fünfzigern das Qualmen und Saufen in weiten Teilen Nachkriegsdeutschlands. Trinkmuster, die wir heute als krankhaft und gefährlich wahrnehmen, galten bis in die Achtziger hinein als völlig normal. Es herrschte eine geradezu fahrlässige Sorglosigkeit.

Wie wirkte sich das auf das Berufsleben aus?
In den Neunzigern musste ich mal für ein Forschungsprojekt in die Archive der Berliner Bezirksämter gehen. Da saßen vier oder fünf Beamte, die qualmten wie verrückt, tranken und waren faul wie die Sünder – das war grauenhaft. Die Effizienz litt in vielen Wirtschaftsbereichen unter dem Alkoholkonsum. Irgendwann Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger kippte das dann. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass zu viel Alkohol gesundheitsschädlich ist.

Wer diese Arbeitswelt nicht erlebt hat, kann sie sich heute kaum vorstellen. Wie kam es zum Wandel?
Das hing mit der Lage am Arbeitsmarkt zusammen und mit der Selbstoptimierungsideologie, die der Neoliberalismus in unsere Köpfe gepflanzt hat. Die Mittelschicht hatte in der Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegszeit einen relativ sicheren Stand, entsprechend hedonistisch war der Lebensstil. Diese Haltung hing auch mit einer personellen Überbesetzung im Öffentlichen Dienst zusammen.

Zur Person

Solch eine Überbesetzung gibt es heute nicht mehr, im Gegenteil, überall wurden Arbeitsplätze wegrationalisiert.
Die Arbeit, die damals die vier Herren aus dem Berliner Archiv erledigten, macht heute wahrscheinlich einer. Der kann sich ein solches Verhalten nicht mehr leisten. Mit der zunehmenden Rationalisierung und Technisierung der Arbeitsplätze ging ein Arbeitskräfteüberschuss einher, der zu verstärkter Konkurrenz und Statusunsicherheit in den Mittelschichten führte. Wenn die Menschen sonst nichts mehr haben, werden sie asketisch.

Asketisch?
Ja, das ist die billigste Methode, den eigenen Wert gegenüber anderen zu betonen. Ein selbstkontrollierter, „gesunder“ Lebensstil repräsentiert heute moralische Überlegenheit und kompensiert die mangelnde Sicherheit. Diese Entwicklung ist in den vergangenen Jahren allerdings in ein ungesundes Extrem umgeschlagen. Statt des Alkohols halten jetzt Neuro-Enhancer Einzug in die Büros…

… Substanzen, mit denen Menschen ihre Leistungsfähigkeit steigern.
Die sind deutlich weniger auffällig. So ganz ohne Substanzen, ob legal oder illegal, kommen viele Menschen aber eben nicht durch den Tag. Ich glaube, eine Gesellschaft ganz ohne Drogen kann es nicht geben, auch wenn sich das viele Gesundheitsapostel wünschen. Wir tauschen die eine Droge nur gegen die andere aus.

Also ist die Abstinenz primär eine Sache der Außenwirkung?
Genau, wir leben nicht zwingend nüchterner, es geht vielmehr um demonstrative Selbstbeherrschung, darum, dass andere sehen, wie kontrolliert wir sind. Jeder Rausch, der sichtbar ist, gilt als verwerflich.

In anderen Ländern erfreut sich der Alkohol immer noch großer Beliebtheit – auch im Berufsleben. Ein Bekannter, der in China Geschäfte macht, erzählte mir, bei Vertragsverhandlungen betrinke man sich dort bis zum bitteren Ende, um einander zu versichern, dass man keine bösen Absichten hat.
Das entspricht dem universellen Muster des archaischen Gelages. Bei den Germanen war es eine tödliche Beleidigung, einen dargebotenen Trunk auszuschlagen. Die Germanen haben entgegen anderslautender Klischees im Alltag nicht viel getrunken, aber umso extremer an Festtagen, wenn Gäste da waren. Da soffen sie im wahrsten Sinn des Wortes bis zum Umfallen. Solche Gelage waren streng ritualisiert und stellten eine kontrollierte Aufhebung der Kontrollen dar. Jeder musste mitmachen, das schuf Gemeinsamkeit und Vertrauen – diese Funktion erfüllt der Alkohol im Geschäftsleben bis heute. Japanische Geschäftsleute trinken zwar nicht während der Arbeit, dafür auf den sogenannten After-Work-Partys umso heftiger. Gerade das enthemmte Berauschtsein gilt dort nicht als ehrlos – sich dem Gelage zu enthalten dagegen schon.

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