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„Schon geimpft?“ – Darf ich Kollegen die Frage stellen?

Die Coronaimpfung ist ein großes Glück. Für jeden, der sie schon hat oder haben will. Für andere kann das Thema frustrierend sein. Und bislang war die eigene Gesundheit doch Privatangelegenheit. Ist es also angemessen, andere im Job auf ihren Impfstatus anzusprechen?

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

„Machen Sie eigentlich regelmäßig Beckenbodentraining, um Inkontinenz vorzubeugen?“ Wir merken schon: Nicht jede Frage zur Gesundheitsprophylaxe wäre in jeder Situation des Joballtags adäquat. Die Frage „Bist du schon geimpft?“ allerdings haben die meisten von uns bei der Arbeit bestimmt schon zu hören bekommen. Viele haben diese Frage selbst schon gestellt.

Innerhalb der Familie und im Freundeskreis hat jeder von uns sicherlich ein gewisses Bauchgefühl, wie intim Fragen zum Umgang mit dem eigenen Körper sein dürfen. Einige Mütter können ihre Töchter frei heraus fragen: „Nimmst du die Pille?“, in anderen Familien würde das als Affront empfunden. Bei Fragen zur Darmkrebsvorsorge könnte ich mir in Männercliquen ähnliche Konstellationen vorstellen. Aber ich vermute: In Familie und Freundeskreis ist die Frage nach der Corona-Impfung in den ganz überwiegenden Fällen vorbehaltlos möglich – selbst unter Menschen, die zum Thema gegensätzliche Meinungen haben. Letztendlich ist die Frage nach der Impfung zurzeit ja sogar ein willkommener Einstieg in einen mitreißenden Small Talk in Pandemiezeiten.

Aber fragen wir unseren Bauch: Unter Kolleginnen und Kollegen ist dies irgendwie anders, oder? Warum ist das so? Im Job kommt eine Komponente dazu: die rechtliche. In den allermeisten Fällen arbeiten wir im Team zusammen, weil wir uns vertraglich darauf eingelassen haben. Der Grund dafür ist, dass wir von der Leistung des Vertragspartners profitieren wollen. In der Regel geht es bei allem Idealismus darum, Geld zu verdienen.

Und die Frage nach der Impfung wird umso heikler, je deutlicher sie sich ergibt aus dem vertraglichen Verhältnis der Kolleginnen und Kollegen untereinander, wenn also eine gewisse oder eindeutige rechtliche Relevanz mitschwingt. Dann geht es auch um den Aspekt: Was bedeutet die Frage und meine Antwort darauf für meinen Job?

Beispiel:
Adam und Dagmar sitzen jeden Tag zusammen in einem Büro und erzählen sich über den Computerbildschirm hinweg die eine oder andere private Anekdote. Da fragt Dagmar: „Und? Wie sieht es mit deiner Impfung aus?“
„Du, ich habe endlich einen Termin. Nächste Woche. Biontech angeblich.“
„Bist du Risikogruppe?“
„Nö, aber mein Hausarzt sagt, die Priorisierung wird eh bald aufgehoben. Ihm ist das jetzt Wurscht. Und bei dir?
„Ich geh´ doch morgen.“
„Ach ja, stimmt. Cool.“
Da kommt deren gemeinsame Chefin Karin rein und fragt: „Sagt mal, wie sieht es eigentlich mit euren Impfungen aus?“
Anton und Dagmar gucken sich mit großen Augen an. Und Dagmar fragt: „Bist du jetzt die Gesundheitspolizei?“

Können Sie die Reaktion nachvollziehen? Ich schon. Denn fragt Chefin oder Chef, schwingt gleich das Thema Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz mit. Und damit haben wir es mit einer Konstellation im Verhältnis Arbeitnehmer – Arbeitgeber zu tun.

Die Gesundheit und Krankheit des Einzelnen geht die Firma grundsätzlich ja nur insoweit etwas an, als es für die Arbeitsabläufe und die Gesundheit des Teams relevant ist. In der Regel ist es deshalb zum Beispiel einfach egal, warum jemand krankgeschrieben ist: Erkältung, Hexenschuss, Migräne. Die Diagnose geht die Firma nichts an. Bei einer Corona-Infektion ist das schon anders: Bei einer solch einfach übertragbaren, potenziell tödlichen Krankheit können arbeitsvertragliche Nebenpflichten auch bedeuten, den Arbeitgeber informieren zu müssen. Schlicht, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Aber es geht hier ja nicht um die Frage „Bist du coronapositiv?“, sondern um die Frage „Bist du geimpft?“. Vollständig Geimpfte machen es für die Unternehmen deutlich leichter. Wenn alle geimpft sind, erübrigen sich auf lange Sicht wahrscheinlich Maskenpflicht, Homeoffice, Handdesinfektionsspender und Abstand im Großraum. Anders herum: Wer nicht geimpft ist (aus welchem Grund auch immer), durchkreuzt die Lockerungspläne.

Umso brisanter ist es, nach dem Impfstatus zu fragen. Die Impfung kann die Krankheit zwar verhindern, ist aber selber keine Erkrankung, vor der die Belegschaft beschützt werden müsste. Muss ich meinem Arbeitgeber die Frage nach dem Impfstatus also wahrheitsgemäß beantworten?

Die Sache ist umstritten: Einige Arbeitsrechtler bejahen dies mit der Begründung, der Arbeitgeber habe schließlich eine Fürsorgepflicht für sein Team. Gewerkschaftsnahe Juristen tendieren zur Auskunftsverweigerungspflicht der Arbeitnehmer außer in besonders infektionssensiblen Branchen wie etwa im Gesundheitswesen. Eine Auskunftspflicht zwischen Kolleginnen und Kollegen besteht auf jeden Fall nicht.

Sie sehen schon: Die Frage beinhaltet Konfliktpotenzial. Wir spüren es intuitiv und Juristen diskutieren es. Und deshalb kann die Frage „Und? Bist du schon geimpft?“ im beruflichen Umfeld zwar locker flockig zugewandt gemeint sein, aber als arbeitsrechtlich relevant aufgefasst werden. Und trotzdem wollen wir es gerne wissen. Erstens, weil uns die Kolleginnen und Kollegen am Herzen liegen. Zweitens, weil uns unsere eigene Gesundheit am Herzen liegt.

„Lass uns darüber reden, wenn das Virus besiegt ist“

Wie also fragen, ohne übergriffig rüberzukommen?

Ich halte es so: Ich frage es munter fast jede und jeden, kombiniere es aber je nach Konstellation mit weiteren Botschaften. Sodass immer alle wissen, was meine Frage soll. So beuge ich vor, dass der oder die andere Person denkt: „Was geht den das an?“

1. Einer Kollegin, von der ich weiß, dass sie vorerkrankt ist, habe ich vor einigen Wochen signalisiert, dass ich mich um ihr Wohl sorge: „Du hast mir vor einiger Zeit ja mal erzählt, dass es dir nicht so gut geht gesundheitlich. Ich hoffe wirklich für dich, dass du den Pieks schon bekommen hast.“ Woraufhin sie mir ihr Leid geklagt hat. Denn dem war nicht so.

2. Eine Maskenbildnerin habe ich nach ihrer Impfung gefragt mit dem Hinweis, wenn es bei uns allen mit dem Impfen vorangehe, brauchten wir beim Schminken bald nicht mehr solch einen Durchzug zu machen. Letztendlich fände ich es auch legitim zu sagen: „Wenn ich wüsste, dass du geimpft bist, würde ich mich wohler fühlen“, etwa bei Kolleginnen und Kollegen im Großraumbüro oder bei denen, mit denen man im selben Auto fährt.

3. Und wenn ich unsicher bin, ob mein Gegenüber von der Impfung erzählen möchte (etwa bei einem Interviewpartner), erwähne ich meine eigene Erfahrung: „Ach, ist es nicht schön, dass es langsam aufwärtsgeht? In ein paar Wochen kriege ich meine zweite Spritze. Ich hatte bei der ersten gar keine Nebenwirkungen.“
Erkenne ich freudige Zustimmung im Blick, frage ich nach: „Und bei Ihnen?“ Erkenne ich hingegen Teilnahmslosigkeit, halte ich mich mit der Frage zurück. Meistens sprudelt der oder die Andere aber ohnehin gleich los und schwärmt oder beklagt sich über die eigenen Erfahrungen zu Impfterminen und Schmerzen an der Einstichstelle.

4. Antwortet jemand mit "Nein!", Antennen raus: Warum nicht? Terminmangel oder Weltanschauung? Fragen Sie „Warum nicht?“, droht noch am ehesten schlechte Laune, falls der oder die Andere sich in eine Rechtfertigungsposition manövriert fühlt. Ein Hinweis Ihrerseits wie: „Ja, hätte die EU mal früher bestellt“, geht immer. Steigt Ihr Gegenüber nicht drauf ein und sind Sie an eitel Sonnenschein interessiert, lassen Sie es an dieser Stelle gut sein.



Doch was wird passieren, wenn bald die allermeisten geimpft sind, und Nichtgeimpfte zu Außenseitern werden, vielleicht sogar immer mehr spürbare Nachteile in ihrem Alltag hinzunehmen haben werden, weil immer mehr Cafés, Theater, Restaurants oder Fluggesellschaften sagen: Zutritt nur noch mit elektronischem EU-Impfnachweis?

Die wenigsten Menschen werden sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Nicht geimpft zu sein trotz der Chance dazu, das wird voraussichtlich ab Herbst als Impfverweigerung auffallen. Also als Ausdruck einer bestimmten kritischen Haltung zu Wissenschaft und Gesellschaft oder zumindest einer Angst, die die meisten nicht teilen. Gleichzeitig geht von Ungeimpften eine Gefahr aus. Denn gerade in den Reihen der Ungeimpften droht das Virus zu mutieren, was dann wiederum die Wirksamkeit der Impfung bei den anderen Menschen bedrohen könnte. Die Erfahrung der Ungeimpften, im Alltag als unbelehrbar zu gelten und ausgegrenzt zu werden, dürfte bei ihnen am Arbeitsplatz nicht gerade die Lust steigern, sich entspannt zur Frage einzulassen, wie sie es denn mit der Impfung halten.

Je mehr Zeit im Jahr verstreicht, desto mehr wird sich beim Empfänger die Wahrnehmung der Frage wandeln von einer neugierigen empathischen Erkundigung hin zu einer Kontrollfrage mit impliziertem Vorwurf. Ob Sie Impfgegner für den gefühlten Sozialdruck bemitleiden möchten, ist allein Ihre Entscheidung. Aber machen wir uns klar, dass die Frage nach der Impfung im Herbst nochmals an Brisanz gewinnen wird.
Möchten Sie es diplomatisch angehen, wird es umso wichtiger sein vorauszuschicken, dass mit der Frage keine Erwartungshaltung verbunden ist (wenn dem denn so ist, denn sonst würden Sie lügen): „Ich frage nur aus Neugier und kann mit jeder Antwort leben …“

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Fazit: Die Frage „Und? Bist du geimpft?“ – auch kombiniert mit der Frage nach Impfstoff, Abstand zwischen Impfung 1 und 2 und nach Nebenwirkungen – ist zeitgemäß und relevant und meistens auch ein Eisbrecher. Weil es aber im Arbeitsumfeld zu dieser Frage eine gewisse rechtliche Normung gibt und diese Frage gefühlt an ihrem Rande entlang schrappt, preisen Sie das mit ein und erklären Sie den Hintergrund der Frage.

Und wenn Sie selber zu den Gefragten gehören, und nicht antworten möchten, sagen Sie einfach: „Lass uns später drüber reden, wenn das Virus besiegt ist.“ Denn das könnte Jahrzehnte dauern.

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