Karriereleiter
Schafe laufen hintereinander auf einer Wiese. Quelle: Getty Images

So ködern Verkäufer Kunden mit deren Nachmach-Drang

Soziale Bewährtheit: Was viele andere machen, kann so falsch nicht ein. Dieses Prinzip macht Kunden zur leichten Beute. Wer andere im Job überzeugen will, hat mit der sozialen Bewährtheit ein schlagkräftiges Werkzeug an der Hand. Die Grenzen setzt allein die Ethik.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Bevor wir gleich zum Beruflichen kommen: Ich war und bin ein großer Fan der Sitcom Friends. Ich habe sämtliche Staffeln von der ersten Folge bis zur letzten durchgeguckt. Immer wenn ich an einem verregneten Sonntagnachmittag wieder mal ein paar Folgen wegglotzte, fühlte ich mich irgendwie geborgen. Ich unter anderen Friends-Fans.

Die Serie wurde zum großen Teil vor echtem Publikum produziert. Das konnte man zwar nicht sehen, aber das Gelächter konnte man hören. Und das war einfach so herrlich ansteckend.

Das Prinzip dahinter: die soziale Bewährtheit. Wenn andere lachen, muss es besonders lustig gewesen sein. Wir lachen eher, wenn es andere vormachen.

Die soziale Bewährtheit ist eines der Prinzipien, die uns im Alltag weiterhelfen, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn wir unsicher sind. Wir machen einfach das, was die anderen tun. So kommen wir oft gut voran.

Alle anderen nehmen auf dem Rastplatz ihre Wertsachen mit aus dem Reisebus? Dann wird das wohl sicherer sein.

Alle anderen ziehen die Schuhe an der Haustür aus? Dann wird das hier wohl üblich sein.

Menschen mit bestimmten Phobien lernen unter professioneller Betreuung ihre Ängste zu überwinden, indem sie anderen Menschen dabei zugucken, wie diese etwa Schlangen anfassen.

Nur in wenigen Fällen liegen wir falsch, wenn wir es der Masse nachmachen. Einst bin ich gemeinsam mit zwei Freunden als erster aus einem Flugzeug ausgestiegen. Zielstrebig liefen wir durch den Flur des Flughafenterminals und standen plötzlich vor einer Tür, die zum Notausgang führte. Ups! Falscher Weg. Das Bemerkenswerte: Hinter uns stand rund ein Dutzend Leute und alle guckten verblüfft. Sie waren uns einfach hinterhergelaufen im Vertrauen darauf, dass dort der richtige Weg sein würde, wo es die anderen hinzieht.

Ethisch spannend wird es dann, wenn wir im Geschäftsleben das Prinzip anwenden, um andere in unserem Sinne zu manipulieren. Denn Manipulieren geht kinderleicht. Im wahrsten Sinne. Ich erinnere mich: Diese Erfahrung machte das Volleyballteam meines baden-württembergischen Gymnasiums 1990 bei einem Auswärtsspiel in Ostdeutschland kurz nach dem Fall der Berliner Mauer. Die westdeutsche Mannschaft hatte eine Kiste Kiwis mitgebracht und nun saßen die ostdeutschen Teenager vor den Kiwis und wussten nicht so recht. Da taten einige Jungspund-Wessis das, was sie ein paar Sekunden zuvor abgesprochen hatten. Sie bissen beherzt in ihre Kiwis samt Schale wie in einen Apfel. Und so taten es augenblicklich auch die ostdeutschen Spieler.

Was die Kiwi-Anfänger taten, war dabei ja sehr schlau. Sie wendeten das Prinzip der sozialen Bewährtheit an. Sie hatten einfach nur nicht damit gerechnet, dass die Besserwessis entgegen besseren Wissens das Falsche taten.

Nun war das ein Scherz unter Teenagern. Aber das Prinzip lässt sich auch ganz handfest beruflich ausnutzen.

Zurück zu unserem Sitcom-Beispiel - als Teil der Unterhaltungsindustrie. Wenn Lachen Geld bringt. Was, wenn die Comedyserie nicht mit einem echten Gelächter, sondern mit einem künstlichen Gelächter vom Computer ausgestattet ist, wie etwa in der deutschen Fassung von „Eine schrecklich nette Familie“? Obwohl jeder von uns hören kann, dass dieses Lachen nicht echt ist (teilweise wiederholen sich Lacher und Pfiffe sogar eins zu eins), wirkt es auf die Zuschauer ansteckend. Unsere „Instinkte“ sind so programmiert, dass wir das Vorgelebte kaum ausblenden können. Selbst in den Fällen, in denen wir wissen, dass das Vorgelebte nicht der Wirklichkeit entspricht.

Der Nachahm-Effekt

Im Falle einer Fernsehserie mag das als akzeptable Illusion durchgehen. Denn was spricht schon gegen einen höheren Unterhaltungswert? Fakt ist aber auch: Das künstliche Lachen sorgt für mehr Begeisterung bei den Fernsehzuschauern, die Einschaltquoten steigen, die Werbespots lassen sich teurer verkaufen. Künstliches Gelächter ist also bares Geld wert.

Nehmen wir die Gastronomen. Die Selbstbedienung in modernen Cafés hat dazu geführt, dass das Trinkgeld für das Personal deutlich niedriger ist. Einige Betreiber stellen nun ein Sparschwein an der Kasse auf. Cleverere Betreiber stellen aber ein durchsichtiges Glas hin. Werfen die ersten Kunden ein paar Münzen oder sogar Scheine hinein, wirkt es auf die nachfolgenden Kunden, als sei Trinkgeld zu geben hier üblich. Und die Chance steigt, dass sie mitmachen.

Und dann gibt es Café-Betreiber, die werfen kurz vor Ladenöffnung am Morgen selbst Geld ins Glas. So dass es von vorne herein so aussieht, als ob das Trinkgeld nur so in Strömen fließt.

Auch hier wird das Prinzip der sozialen Bewährtheit den erhofften Erfolg bringen. Allerdings werden hier die Gäste systematisch in die Irre geführt. Das mag der eine als gewiefte Geschäftspraxis ansehen, aber man kann sich schon darüber unterhalten, ob das nicht schon die Grenze zum Unethischen überschreitet.

Gerade vergangenes Wochenende habe ich in einem Berliner Einkaufszentrum die Waschräume besucht. Da stand vor dem Eingang eine lange Schlange von etwa zwanzig Leuten, die alle darauf erpicht waren, 50 Cent zu bezahlen. Ich stutzte: „Ist der Obolus denn nicht freiwillig?“, fragte ich. Die Dame am Tresen zeigte auf das Schild: Freiwilliger Beitrag stand da ganz klein irgendwo und ich las es laut vor. Als einige der Leute das hörten, brachen sie murmelnd aus der Schlange aus, sparten sich die 50 Cent und gingen direkt aufs Klo. Sie hatten nur angestanden, weil sie dachten: Wenn da Leute stehen und zahlen, dann muss man das wohl tun. Wegen der winzigen Buchstaben drängte sich mir der Verdacht auf: Der Toilettenbetreiber setzt ganz offenbar auf diesen Nachahm-Effekt. Er hatte kein Interesse daran, für Klarheit zu sorgen. Wenn das Geschäftsmodell zum Gutteil auf Irreführung beruht.

Auch die Werbeindustrie saugt Profit aus der sozialen Bewährtheit. Oft ganz ehrlich mit offenen Karten:  Erinnern wir uns an die Werbung von damals. Die Hausfrau säuselt: „Aber wenn ich Toffifee ins Spiel bringe, was meinen Sie, was dann passiert.“ Die Schachtel kommt auf den Tisch und schon wird Mutter von der ganzen Familie umschwärmt. Die Toffifee-Käuferin erntet Anerkennung ihrer Liebsten. Durchaus erstrebenswert. Und für jeden Betrachter ganz offensichtlich eine nett gespielte, wenn auch lebensnahe und deshalb glaubhafte Szene im künstlichen Spielfilmlook.

Ethisch fragwürdig verhält es sich aber mit Werbespots, die den Anschein echter Kundenerfahrung vorspiegeln. In denen dann ein vermeintlicher Reporter eine vermeintlich zufällig im Supermarkt angetroffene Kundin fragt: „Entschuldigung, warum haben Sie gerade ausgerechnet diesen Fruchtquark gekauft?“ Oder: „Wieso dieser Weichspüler?“ Und die Frauen antworten dann wie echt spontan, dass die Kinder dank des neuen Fruchtquarks total glücklich sind oder dass dank des Weichspülers die Handtücher nicht nur wolkenweich sind, sondern auch noch himmlisch duften.

Statt Promis aus einer fernen Lebenswirklichkeit laden Menschen wie du und ich dank ihrer positiven Erfahrung mit dem beworbenen Produkt zum Nachmachen ein - also zum Kaufen. Denn je ähnlicher die Vorbilder uns selber sind und je mehr ihre Lebensumstände den unseren gleichen, desto eher ahmen wir das Verhalten der Menschen nach.

Doch: Solche Umfragen in Werbespots sind meist inszeniert. Die Begeisterung der Kundinnen hat es nie gegeben. Das ist aus meiner Sicht so, als wenn Privatsender ihre Zuschauer weitgehend darüber im Unklaren lassen, dass die „Reportagen“ in Wirklichkeit von Laiendarstellern aufgeführte Fantasiegeschichten sind. Der Effekt greift erst dank der realistischen Anmutung; die Realität ist aber vorgegaukelt. Aus meiner Sicht alles miese Lügen - die in der Werbung verboten gehören.

Wenn Sie ohne schlechtes Gewissen neue Kunden mittels der sozialen Bewährtheit überzeugen wollen, lassen Sie andere Kunden von deren Erfahrungen berichten.

Neueste Anwendung findet das Prinzip der sozialen Bewährtheit in Bewertungsportalen im Internet. Das Gästebuch des 21. Jahrhunderts. Ein von hunderten von Gästen auf Booking.com oder Hrs.de mit sehr gut bewertetes Hotel oder ein von etlichen Käufern mit fünf Sternen gelobter Haartrockner auf Amazon kann nicht wirklich schlecht sein.


Kein Wunder, dass Hoteliers, Gastronomen, Reiseveranstalter, Verkäufer ja, selbst Ärzte bemüht sind, die Bewertungen nach oben zu treiben. Viele redlich mit gutem Service, hoher Fachkompetenz und löblicher Produktqualität. Schwarze Schafe aber auch mit gefälschten, teils mit systematisch im großen Stil gekauften falschen Bewertungen. Manche Kunden erhalten von Verkäufern E-Mails, in denen ihnen angeboten wird, ihre richtigerweise schlechte Online-Bewertung gegen Bezahlung einer Entschädigung zurückzunehmen. Unehrliche Bewertungssterne gegen Cash. Alles, um vom Prinzip der sozialen Bewährtheit zu profitieren.

Echtes Lob und echte Begeisterung anderer muss hingegen keiner aus Bescheidenheit nachfolgenden Kunden vorenthalten. „Diesen Fernseher habe ich meiner eigenen Mutter und meiner Schwester empfohlen und die sind total begeistert.“ Dieser Satz eines Elektronikfachverkäufers ist eine sinnvolle, professionelle Verkaufsmethode, wenn er wahr ist. Aber er funktioniert eben auch, wenn er erlogen ist.

Dessen sollten sich Kunden immer gewahr sein. Und Verkäufer und Dienstleister sollten darüber nachgrübeln, ob ein Trick, der so faszinierend gut funktioniert, in jedem Fall ein guter ist.

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