Immer mehr Angestellte sind auf dem Sprung. Der grassierende Mangel an Fachkräften hat es selten so leicht gemacht, eine neue Stelle zu finden. Laut einer Umfrage der Boston Consulting Group erhält in Deutschland fast jeder zweite Beschäftigte (47 Prozent) mindestens einmal pro Monat ein Jobangebot. Und immer mehr – vor allem jüngere – Menschen sind bereit, direkt aus einer Festanstellung in eine neue Firma zu wechseln.
„Die Bereitschaft, sich bei Unzufriedenheit wegzubewerben, ist bei den jüngeren Generationen deutlich gewachsen“, meint Patrick Pieles, Vizepräsident bei der Personalberatung Robert Half. „Der Fokus liegt auf einer ausgewogenen Work-Life-Balance, die Karriere steht für viele nicht mehr so sehr im Vordergrund.“
Bewerben trotz sicherem Job
Hinzu kommen die vielen Krisen, von Pandemiefolgen bis Inflation. Das sei für viele ein Anlass, die eigene Lebenssituation zu hinterfragen, erzählt die Hamburger Karriereberaterin Ragnhild Struss. „Das betrifft auch den Job. Fragen nach dem Sinn der Tätigkeit kommen auf: Ist es wirklich das, was ich für die nächsten Jahre meines Lebens machen möchte? Was will ich noch erreichen?“, erläutert sie.
Für die Bewerbung aus einer Festanstellung heraus gelten allerdings einige spezielle Regeln. Zuallererst ist da die Frage, wie diskret man bei der Anbahnung vorgehen sollte. „Wer seine aktuelle Position nicht gefährden will und weiterhin für spannende Projekte eingesetzt werden möchte, sollte darauf achten, dass der Arbeitgeber nichts von der Neuorientierung mitbekommt,“ rät Struss. „Zumal es sein kann, dass sich die Bewerbungsphase eine Weile hinzieht.“
Sie mahnt insbesondere bei der Kontaktanbahnung auf Social-Media-Plattformen zur Vorsicht. „Weder auf dem eigenen Instagram-Profil noch in beruflichen Netzwerken sollte erkennbar sein, dass man nach einem neuen Job sucht.“ Diskretion sei auch im Umgang mit den Kollegen angezeigt. Es sollten am besten nur sehr wenige Vertraute in die Pläne eingeweiht werden, findet die Karriereexpertin. Laute Gespräche in der Kaffeeküche über das nächste Vorstellungsgespräch seien deshalb tabu.
Personalberater Pieles sieht das Ganze etwas anders. „Es gibt sicherlich gute Gründe, einen Wechselwunsch gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber zu verschweigen“, meint zwar auch er. Dazu gehöre die Angst, plötzlich seinerseits die Kündigung zu erhalten, weil der Arbeitgeber bereits einen Ersatz gefunden hat. Dennoch plädiert der Bewerbungsexperte von Robert Half für eine offene Kommunikation, um klarzumachen, womit man unzufrieden ist: „Nicht selten führen solche Gespräche zu für beide Seiten passenden Lösungen. Ein Verbleib beim alten Arbeitgeber kann dann plötzlich doch wieder zur attraktiven Option werden.“
Letzte Chance für den Arbeitgeber
Wenig hilfreich ist es dabei laut dem Experten, attraktive Jobangebote anderer Firmen als Druckmittel einzusetzen, um zum Beispiel unrealistisch große Gehaltserhöhungen zu fordern. „Sprechen Sie stattdessen offen darüber, was Sie zu Ihren Bewerbungsbemühungen getrieben hat“, rät Pieles. „Sind die Möglichkeiten beim aktuellen Arbeitgeber ausgelotet, haben Sie eine bessere Entscheidungsgrundlage für oder gegen die neuen Angebote.“
Eine offene Aussprache lohnt sich für Pieles deshalb sogar, wenn der Konflikt im aktuellen Job nicht lösbar ist, die Kündigung selbst somit nicht mehr infrage steht.
„Arbeitskarrieren sind lang und es können sich auch bei einem alten Arbeitgeber immer mal wieder neue, spannende Positionen ergeben“, gibt der Experte zu bedenken. „Je schwieriger der Abschied, desto unwahrscheinlicher eine mögliche Rückkehr.“ Kluge Arbeitgeber erkennen laut Pieles im Weggang eines guten Beschäftigten deshalb sogar eine Chance: „Der Mitarbeiter kennt das Unternehmen und kann die geschäftlichen Beziehungen weiterhin gewinnbringend vertiefen – nur auf der anderen Seite des Telefons.“
So oder so: Unentschuldigt für ein Vorstellungsgespräch bei der Arbeit zu fehlen oder sich deswegen krankzumelden, gehört für Pieles zu den größten Fehlern, die man beim Wegbewerben machen kann. Ein absolutes No-Go ist für ihn zudem, bei potenziellen neuen Arbeitgebern vertrauliche Informationen auszuplaudern. „Bekommt ein Arbeitgeber nachträglich mit, dass er hinters Licht geführt wurde, kann auch das noch Konsequenzen haben“, warnt er. „Wenn ich zum Beispiel Betriebsinterna weitergegebenen habe, um mich für einen neuen Arbeitgeber interessanter zu machen, drohen gegebenenfalls rechtliche Konsequenzen wie Vertragsstrafen oder Ähnliches.“
Tipps für das Kündigungsgespräch
Verwenden Sie keinesfalls Sätze wie: „Es wird schon nicht so schlimm werden!“, „Mach Dir keine Sorgen!“ oder „Das Leben geht doch weiter!“
Floskeln vermitteln dem Gekündigten nur, dass Sie mit seinen Emotionen nicht zurechtkommen. Sie wirken dadurch verunsichert. Ihre möglicherweise gute Absicht, Trost zu spenden, wird jedenfalls nicht erreicht.
Sagen Sie nicht: „Wenn ich hätte wählen können, hätte ich den Müller rausgeworfen, nicht Dich!“ oder „Was soll ich denn machen? Ich habe das ja nicht entschieden!“
So vermitteln Sie nur Hilflosigkeit und verdrehen das Geschehen auf eine fast unlautere Art und Weise: Sie zwingen den Anderen, Sie als „Opfer“ mit seinem berechtigten Schmerz zu verschonen. Außerdem müssten Sie damit rechnen, dass der betroffene Mitarbeiter seinen Gefühlen bei den Kollegen freien Lauf lässt.
Gehen Sie nicht lax oder fahrlässig mit den Gefühlen Ihrer verbliebenen Mitarbeiter um! Sparen Sie sich scheinbare Aufmunterungen wie „Ihr könnt Euch freuen, Euch betrifft es ja nicht!“
Erkennen Sie stattdessen deren Emotionen an. Es ist für niemanden einfach, wenn Kollegen entlassen werden – die Gefühle bewegen sich von Hilflosigkeit, Scham und schlechtem Gewissen gegenüber den gekündigten Kollegen bis hin zu Sorge und Ärger aufgrund der neuen Mehrarbeit.
Machen Sie grundsätzlich keine Aussagen über anstehende Entlassungen. Falls aber einer Ihrer Mitarbeiter nachfragen sollte, geben Sie ihm kleine Bissen Information. So vermeiden Sie, dass die Gerüchteküche erst richtig brodelt und möglicherweise unter den Mitarbeitern ein Hauen und Stechen beginnt.
Bleiben Sie bei der Wahrheit! Geben Sie den Bleibenden keine anderen Begründungen für die Kündigung als dem Gekündigten. Wenn auch nur einer der entlassenen Kollegen über die wahren Hintergründe spricht, haben Sie Ihr Image nachhaltig geschädigt. Das Vertrauen in Sie als Vorgesetzter ist dann verloren. In so einem Fall ist es sehr schwer, eine Mannschaft wieder in die Spur zu bringen.
Unangemessen sei es zudem, schlecht über die aktuelle Firma oder Kollegen zu sprechen, so Struss: „Damit wirft man eher ein schlechtes Licht auf sich selbst und könnte zukünftige Arbeitgeber verschrecken, weil man sich illoyal verhält und somit wenig vertrauenswürdig erscheint.“
Tabus bei der Bewerbung
Wer Referenzen für die Bewerbung benötigt, sollte sich laut Struss an vorherige Arbeitgeber wenden oder aber an eine Person außerhalb des Unternehmens, mit der man beruflich zu tun hatte und die positives Feedback zur Arbeitsleistung geben kann. Wird bei der Bewerbung ein aktuelles Zwischenzeugnis verlangt, empfiehlt die Unternehmensberaterin, nicht alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Hinweise auf „zukünftige Bewerbungen“ sollten bei der Bitte um die Unterlagen lieber unterlassen werden. Stattdessen rät Struss, „konkrete Gründe für die Anfrage zu nennen, zum Beispiel, dass man die Karriereplanung überprüfen möchte und dass ein Zwischenzeugnis hilfreich wäre, um eine realistische Einschätzung eigener Stärken und Schwächen zu erhalten“.
Selbstverständlich besteht dennoch die Gefahr, dass ein Vorgesetzter hinter solchen Anfragen Abwanderungswünsche vermutet. „Damit riskiert man zwar, der eigenen Karriereentwicklung zu schaden. Doch vielleicht ergibt sich daraus auch eine neue Gesprächsgrundlage und man kann herausfinden, welche Möglichkeiten zur Umgestaltung des Jobs beim derzeitigen Arbeitgeber noch bestehen“, sagt Struss.
Wer den Jobwechsel möglichst lange geheim halten möchte, kann laut den Experten im Bewerbungsgespräch um Diskretion bitten. Das gilt insbesondere dann, wenn der neue Arbeitgeber enge Geschäftsbeziehungen zur aktuellen Firma pflegt. „Selbstverständlich kann man in so einem Verhältnis um absolute Vertraulichkeit bitten“, sagt Pieles. Er rät zu einem kurzen Hinweis per Sprachnachricht, im Anschreiben oder per E-Mail. Von einer anonymen Bewerbung halten hingegen beide Experten nichts. „Dieses Vorgehen könnte zukünftige Arbeitgeber abschrecken oder misstrauisch machen“, meint Struss. Pieles warnt: „Wenn das Wunschunternehmen nicht zufällig zu einem anonymisierten Bewerbungsprozess, zum Beispiel via Webseitenformular, auffordert, wird man im klassischen Bewerbungsverfahren eher aussortiert.“ Auch das spricht für den Experten von Robert Half dafür, offen mit dem aktuellen Arbeitgeber über die Jobsuche zu reden.
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