Mitarbeitersuche BWLer sind keine Big-Data-Spezialisten

Ohne Datenanalyse geht es nicht. Doch die deutschen Unternehmen drohen den Anschluss zu verlieren. Auch, weil sie lieber Wirtschaftswissenschaftler statt Datenexperten einstellen.

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Wie Big Data Ihr Leben verändert
Dicht an dicht: Wenn die Autos auf der Straße stehen, lässt sich das mit moderner Technologie leicht nachvollziehen. Zum einen gibt es Sensoren am Straßenrand, zum anderen liefern die Autos und die Smartphones der Insassen inzwischen Informationen über den Verkehrsfluss. Diese Daten lassen sich in Echtzeit auswerten und mit Erfahrungswerten abgleichen – so wird klar, wo gerade ungewöhnlich viel los ist und beispielsweise eine Umleitung Sinn ergeben würde. Ein Pilotprojekt dazu lief in der Rhein-Main-Region, allerdings nur mit rund 120 Autos. Langfristig ist sogar das vollautomatische Autofahren denkbar – der Computer übernimmt das Steuer. Eines ist aber klar: Alle Big-Data-Technologien helfen nichts, wenn zu viele Autos auf zu kleinen Straßen unterwegs sind. Quelle: dpa
Fundgrube für Forscher: Google Books ist nicht nur eine riesige digitale Bibliothek. Die abertausenden eingescannten Texte lassen sich auch bestens analysieren. So kann nachvollzogen werden, welche Namen und Begriffe in welchen Epochen besonders häufig verwendet wurden – ein Einblick in die Denkweise der Menschen. Der Internet-Konzern nutzt den Fundus außerdem, um seinen Übersetzungsdienst Translate zu verbessern. Quelle: dpa Picture-Alliance
Schnupfen, Kopfschmerz, Müdigkeit: Das sind die typischen Symptome der Grippe. Aber wann erreicht die Krankheit eine Region? Bislang konnte man das erst feststellen, wenn es zu spät war. Der Internet-Riese Google hat ein Werkzeug entwickelt, mit dem sich Grippewellen voraussagen lassen: Flu Trends. Bei der Entwicklung hielten die Datenspezialisten nicht nach bestimmten Suchbegriffen Ausschau, sondern nach Korrelationen. Wonach also suchten die Menschen in einer Region, in der sich das Virus ausbreitete? Sie filterten 45 Begriffe heraus, die auf eine unmittelbar anrollende Grippewelle hindeuten – ohne dass irgendein Arzt Proben sammeln müsste. Quelle: dpa Picture-Alliance
Aufwärts oder abwärts? Die Millionen von Kurznachrichten, die jeden Tag über Twitter in die Welt gezwitschert werden, können Aufschluss über die Entwicklung der Börsen geben. Denn aus den 140 Zeichen kurzen Texten lassen sich Stimmungen ablesen – das hat ein Experiment des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) gezeigt. Je intensiver die Emotionen, desto stärker die Ausschläge. Marktreife Investitionsmodelle, die auf Tweets setzen, gibt es indes noch nicht. Quelle: dpa
Lotterie am Himmel: Die Preise von Flugtickets lassen sich für Laien kaum nachvollziehen. Auch eine frühe Buchung garantiert kein günstiges Ticket, weil die Fluggesellschaften ständig an der Schraube drehen. Das wollte sich der Informatiker Oren Etzioni nicht gefallen lassen: Er sammelte mit seiner Firma Farecast Millionen von Preisdaten, um künftige Preisbewegungen zu prognostizieren. 2008 kaufte Microsoft das Start-up, die Funktion ist jetzt in die Suchmaschine Bing integriert. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jeder Meter kostet Zeit und Geld. Daher wollen Logistikunternehmen ihre Fahrer auf kürzestem Wege zum Kunden lotsen. Der weltgrößte Lieferdienst UPS führt dafür in einem neuen Navigationssystem Daten von Kunden, Fahrern und Transportern zusammen. „Wir nutzen Big Data, um schlauer zu fahren“, sagte der IT-Chef David Barnes der Nachrichtenagentur Bloomberg. Im Hintergrund läuft ein komplexes mathematisches Modell, das auch die von den Kunden gewünschten Lieferzeiten berücksichtigt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Es waren nicht nur gute Wünsche, die US-Präsident Barack Obama 2012 zur Wiederwahl verhalfen: Das Wahlkampf-Team des Demokraten wertete Informationen über die Wähler aus, um gerade Unentschlossene zu überzeugen. Dabei griffen die Helfer auch auf Daten aus Registern und Sozialen Netzwerke zurück. So ließen sich die Bürger gezielt ansprechen. Quelle: dpa

Deutschland ist analog: Beim Breitbandausbau hapert es, die Computerkompetenzen der Jugendlichen sind eher mies und vor Datanalayse - elektronischer Statistik - haben die meisten Angst. Entsprechend hinken auch die Firmen bei Data Analytics hinterher. Zwar nutzt fast die Hälfte der Finanzabteilungen Data Analytics als Entscheidungsgrundlage, doch schon in der IT, Marketing und Einkauf sind es nur noch 30 Prozent. In der Personalabteilung nutzen nur noch zehn Prozent Datenanalysen . Hauptentscheidungsgrundlage ist dort das Bauchgefühl.

Das Bauchgefühl kann täuschen

"Das Gefühl kann oft täuschen. So haben wir vielleicht das Gefühl, dass es in letzter Zeit mehr Flugzeugabstürze gegeben hat, weil viel über die letzten Fälle berichtet wurde", sagt Henrik Jorgensen, verantwortlich für den deutschsprachigen Raum bei Tableau Software, einem Analyse- und Datenvisualisierungstool. Er ist überzeugt, dass es Unternehmen viel Geld kosten kann, sich nur auf ihren Bauch zu verlassen. "Das heißt nicht, dass das Bauchgefühl keine Rolle spielt, aber bei großen Entscheidungen sollte man vorher die Zahlen kennen", so Jorgensen.

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Um zu erkennen, ob es auf einem bestimmten Markt, mit einem Kunden oder in einer Region Absatzschwierigkeiten in einer Produktgruppe gibt, brauche man Datenanalyse, da helfe Intuition nicht weiter. "Der richtige Einsatz von Big Data ist ein milliardenschwerer Zukunftsmarkt. Wer die passenden Mitarbeiter, Strukturen und Technologien hat, schafft sich einen Wettbewerbsvorteil", sagt auch Alexander Börsch, Leiter Research bei Deloitte Deutschland.

Deutsche Unternehmen hinken hinterher

In den letzten Jahren haben deshalb auch immer mehr Unternehmen die technischen Voraussetzungen fürs Analysieren von Daten geschaffen und die Mehrheit ist überzeugt, beim Thema ganz vorne mitzuspielen. Das dem nicht so ist, zeigt die Deloitte-Studie „Datenland Deutschland: Talent meets Technology – Data Analytics und der menschliche Faktor“. Zwar haben rund 60 Prozent der Betriebe in Software und IT-Infrastruktur investiert. Doch das reicht nicht, wie Börsch sagt. "Oft fehlen die qualifizierten Experten."

Denn die Unternehmen haben zwar Mitarbeiter zu Datenanalysten weitergebildet und ein Drittel hat auch Spezialisten eingestellt. Doch die entsprechen oft den Anforderungen nicht: Bei 60 Prozent sind die Datenspezialisten nämlich klassisch ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler: Volkswirte und Betriebswirte mit Bachelor oder Masterabschluss. Viele Unternehmen wollen laut der Studie Berufseinsteiger, die über statistisches Knowhow verfügen. Und mehr als ein Viertel weiß gar nicht, welche Ausbildungsprofile sie für Data Analytics suchen sollen.

Deshalb verlassen sie sich auf traditionelle, quantitative Kompetenzen und setzen auf die Wirtschaftswissenschaftler. Erforderlich wären jedoch Fähigkeiten von Data Scientists wie sie promovierte Naturwissenschaftler haben, nach denen aber weniger als zehn Prozent der Unternehmen suchen.

Denn auch wenn die Wirtschaftswissenschaftler Statistik-Vorlesungen besucht haben: Wer Datenanalyse macht, sollte auch dafür ausgebildet sein oder zumindest die richtigen Fragen stellen, relevante Zusammenhänge finden und aus einem Algorithmus eine Handlungsempfehlung ableiten. "Wenn Unternehmen sich echte Wettbewerbsvorteile erarbeiten wollen, brauchen sie auch echte Experten, die Muster in den Datenbergen erkennen und interpretieren können", bestätigt Nicolai Andersen, Partner und Leiter Innovation bei Deloitte.

Dass die Unternehmen diese Experten nicht einstellen, liegt aber nicht nur an ihnen selbst. Die Hochschulen bieten derzeit kaum entsprechende Studiengänge an, weil sich der Sektor schneller entwickelt, als sich Lehrpläne und Curricula erstellen lassen. "Wenn diese Lücke in der Ausbildung nicht bald geschlossen wird, können sich erhebliche Nachteile für den Standort Deutschland ergeben", so Andersen.

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