Entscheidungsmacher 2018 So entscheiden deutsche Manager

Die Entscheidungsmacher: Der diesjährige Gewinner Tui-Chef Friedrich Joussen (links) und Vorjahressieger Osram-CEO Olaf Berlien. Quelle: Thorsten Jochim für WirtschaftsWoche

Digitalisierung, Globalisierung und Informationsflut: Die Unternehmenswelt wird immer komplexer. Prominente Manager verraten, wie sie trotzdem kluge Entscheidungen treffen.

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Manchmal kann eine Krise auch ein wahrer Glücksfall sein. Weil sie die Chance auf einen Neuanfang birgt. Und weil sie radikale Entscheidungen zulässt. Als Friedrich Joussen 2013 vom Telekommunikationskonzern Vodafone zu Tui wechselte, verlor der Touristikkonzern jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag. Joussen fand bei seinem Amtsantritt einen Gemischtwarenladen mit Containerschiffen, eigenen Flugzeugen und Pauschalreisen für Westeuropäer vor.

Zu breit aufgestellt, befand der gebürtige Duisburger schnell – und begann, den Konzern radikal umzubauen. Heute setzt Tui auf weltweite Urlaubsreisen mit dem Schwerpunkt auf die renditeträchtigsten Reisebestandteile wie Hotels und Kreuzfahrten.

Der Strategiewechsel hat sich bewährt. Als Joussen übernahm, lag der Gewinn bei 128 Millionen Euro. 2016 lag der Umsatz bei 17 Milliarden Euro. Dank Joussens Umbau verdient Tui nicht nur mehr, der Konzern ist auch profitabler als Konkurrenten wie Thomas Cook oder FTI.

Doch wie konnte der studierte Elektrotechniker als Branchenfremder so schnell Ergebnisse erzielen? „In unsicheren Zeiten lassen sich unpopuläre Entscheidungen sicherlich besser durchsetzen“, resümierte Joussen am Donnerstagabend im Münchener Kohlebunker, als er die Auszeichnung zum „Entscheidungsmacher“ des Jahres entgegennahm, die die WirtschaftsWoche und das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG zum zweiten Mal gemeinsam verliehen.
Joussen konnte sich mit seiner Entscheidung gegen zahlreiche prominente Manager durchsetzen. Ebenfalls nominiert waren in diesem Jahr RTL-Managerin Anke Schäferkordt, BMW-Marketing-Managerin Hildegard Wortmann, Infineon-Chef Reinhard Ploss und Evotec-CEO Werner Lanthaler.

Es ist aber auch alles kompliziert geworden. Internationale Märkte fordern unterschiedliche Produkte. Junge Mitarbeiter wollen anders geführt werden als ältere. Es reicht nicht mehr aus, nur die etablierten Konkurrenten auszustechen, sondern man muss auch noch ein Auge auf agile Start-ups haben. Und dann ist da ja noch die Sache mit der Digitalisierung des eigenen Unternehmens. Wer soll da den Überblick behalten?

Tatsächlich fällt das den Managern immer schwerer. Im Jahr 2016 befragte der Personaldienstleister Hays 591 Führungskräfte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den größten Herausforderungen der digitalen Transformation. Das Ergebnis: 58 Prozent nannten die zunehmende Komplexität in der Zusammenarbeit als größte Herausforderung. 43 Prozent nannten die zunehmende Komplexität in den Prozessen. „Es wird für Manager immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen“, sagt Rick Vogel, BWL-Professor mit Schwerpunkt Public Management an der Universität Hamburg. „Dabei ist das eine der wichtigsten Fähigkeiten für Führungskräfte.“

Schuld daran seien neben den komplexen internationalen Unternehmensstrukturen und der Digitalisierung vor allem das hohe Tempo, mit dem Veränderungen heute durchgesetzt werden. Kurz: Es war schon einmal leichter, Entscheidungen zu treffen.

Durch das Internet haben die Menschen zwar leichter Zugang zu Informationen als je zuvor. Doch anstatt aufgrund einer besseren Datenlage auch bessere Entscheidungen zu treffen, sind die meisten schlichtweg überfordert. Die US-Psychologin Sheena Iyengar von der Columbia Business School nennt dieses Phänomen Choice Overload Effect. Menschen fühlen sich von den vielen Optionen überfordert, und das Gehirn weiß vor lauter Möglichkeiten nicht mehr weiter. „Wer immer 100-prozentige Sicherheit vor einer Entscheidung haben muss, kann kein Unternehmen führen“, sagt auch Friedrich Joussen. Osram-Chef Olaf Berlien sieht es ähnlich: „Irgendwann muss man auch einfach mal machen – selbst wenn man sich nur zu 70 Prozent sicher ist.“

Für Extremsituationen braucht es Unsicherheitskompetenz

Denn klar ist auch: Manchmal fehlt die Zeit, nochmal in Ruhe über eine Entscheidung nachzudenken. Etwa wenn in einem wichtigen Markt eine politische Krise ausbricht oder der Konkurrent hinter den Kulissen an einem Übernahmeangebot arbeitet. „Es gibt Situationen, in denen Manager sich einfach schnell entscheiden müssen“, sagt Angelika Huber-Strasser, Bereichsleiterin Corporate der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. „Dafür braucht es Unsicherheitskompetenz.“

In Extremsituationen berufen sich Manager häufig auf ihr Bauchgefühl. Doch damit gemeint ist eigentlich etwas anderes: Erfahrung. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Basel sind überzeugt, dass die bevorzugte Entscheidungsart davon abhängt, wie hoch man die eigene Kompetenz einschätzt. „Haben wir viel Erfahrung, vertrauen wir bei Entscheidungen eher unserem Bauchgefühl“, sagt Thorsten Pachur. „Dies könnte auch bedeuten, dass ältere Menschen aufgrund ihrer größeren Erfahrung mehr zu Bauchentscheidungen neigen als jüngere.“

Eine, die in ihrer langen Karriere gelernt hat, sich auf ihre Intuition zu verlassen, ist Regine Sixt. Die Ehefrau des Autovermittlungs-Pionier Erich Sixt leitet das internationale Marketing des Unternehmens. „Ich kann mich sehr gut auf mein Bauchgefühl verlassen“, sagt sie. „Allerdings hole ich gerne auch eine zweite Meinung ein und vertraue auf die Einschätzung unserer Teams. Das ist schon allein der Größe unseres Unternehmens und der Tragweite einzelner Entscheidungen geschuldet.“

Entscheidungsmacher 2019

Kann ein einzelner Mensch in so komplexen Zeiten eigentlich noch entscheiden? Oder braucht es nicht viel eher verschiedene Sichtweisen, um kluge Entscheidungen zu fällen? Christian Stadler ist Professor für strategisches Management an der britischen Warwick Business School. Er sagt: „In komplexen Unternehmen sollte immer besser ein Gremium entscheiden.“ Beim Energieunternehmen Shell war das zum Beispiel lange Zeit der Fall. „Komplexe Entscheidungen werden besser in Gruppen beschlossen“, sagt er.

Das bestätigt Tui-Chef Joussen. Auch er entscheidet meist im Team. Im Gegenzug verlangt er im Anschluss aber auch, dass alle mitziehen. „Wenn die Entscheidung getroffen ist, erwarte ich, dass alle das Ziel und den Erfolg im Blick haben. Denn dann müssen wir gemeinsam liefern.“

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