
Neureiche Webunternehmer protzen nicht mit ihrem Reichtum. Sie genießen ihn still, in Form von Privatflügen, Pazifik-Villen, exklusiven Clubs oder Groupies beiderlei Geschlechts. Tony Hsieh, Gründer und Chef des Onlineschuhhändlers Zappos, pflegt den ungeschriebenen Code bis ins Extrem. Das Vermögen des 41-jährigen Amerikaners taiwanesischer Eltern wird auf 800 Millionen Dollar geschätzt.
Bei Hightech-Konferenzen mischt sich Hsieh dennoch gern unters Publikum, wo er trotz des „Tony“-Aufklebers auf seinem schwarzen T-Shirt und seiner Navy-Seals-Kurzhaar-Frisur oft unerkannt bleibt. In seiner Wahlheimat Las Vegas lebt er mit einem schwarzen Minikamel namens Marley in einem Wohnwagen.
Aber während New-Economy-Unternehmer ihre öffentliche Bescheidenheit gern mit der Erkenntnis erklären, dass Macht viel wichtiger als Geld sei, hat Hsieh damit gebrochen. Der Harvard-Absolvent ist einer der eifrigsten Jünger von „Holacracy“, einer jungen Managementphilosophie, die den Verzicht auf Macht von oben predigt. Und genau dieses Prinzip hat Hsieh im Frühsommer dieses Jahres bei Zappos eingeführt. 1500 Mitarbeiter, aber keine Chefs; ein Management ohne Manager also – wie soll das funktionieren?
Neue Managementmethoden mit flachen Hierarchien
Motivierender als klassische Seminare sind Veranstaltungen, die flache Hierarchien, Selbstorganisation und Ideenaustausch fördern.
Zu Beginn befragen sich jeweils zwei Teilnehmer gegenseitig zu einem Thema und veröffentlichen die Erkenntnisse auf einer Pinnwand. Anschließend bilden die Teilnehmer einen großen Kreis mit Pinnwänden, auf denen jeder Teilnehmer ein Thema vorschlagen kann. Dann verteilen sich die Anwesenden gemäß ihren Interessen. So entstehen Arbeitsgruppen, die anschließend die Themen vertiefen. Es gilt das „Gesetz der zwei Füße“: Wer sich langweilt, der schließt sich einer anderen Diskussion an. Am Ende stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor, die Zuhörer geben Feedback. Das Ziel: Aus der Diskussion soll ein konkretes Projekt entstehen.
Bei diesem Format werden nur Ort und Teilnehmer vorgegeben – Themen und Referenten ergeben sich spontan aus dem Teilnehmerkreis. Wer mag, kann einen Beitrag vorbereiten, andere referieren frei über ihr Fachgebiet, wobei sie aber nur eine Einführung geben und die anschließende Diskussion strukturieren. Da sich die vor Ort entstehende Agenda konsequent an den Interessen der Teilnehmer orientiert, wird keine Zeit verschwendet und nicht am Thema vorbei diskutiert. Es entsteht ein kritischer Dialog auf Augenhöhe, ohne starre Hierarchien.
In diesem Format, dessen Name sich vom gleichnamigen US-Paketdienst ableitet, beschäftigen sich Fachleute aus verschiedenen Bereichen einen Tag lang mit einem Thema, das außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegt. Die Idee: mit frischer Perspektive unbelastet von Fachexpertise über Problemstellungen nachdenken. Die Ergebnisse müssen am Ende des Tages präsentiert werden, so entstehen schnell neue Konzepte bis hin zu Prototypen.
Ersonnen hat diese Antiführungsphilosophie 2007 der Softwareunternehmer Brian Robertson. Holons sind selbstständige Einheiten aus Mitarbeitern, die mit anderen Holons arbeiten und sich selber zu einer Struktur zusammenschließen – der Holacracy. Das ist ein sich selbst verwaltendes System ohne Hierarchie. Dafür gibt es Regeln in einer „Verfassung“, laut derer Mitarbeiter bei Projekten eine „Rolle verstärken“, Gleichgesinnte in „Zirkeln“ um sich scharen, um „Spannungen“ zu klären und in „taktischen Sitzungen“ den Fortschritt festzuhalten.
Diese Zirkel organisieren sich je nach Aufgabe. Im Gegensatz zu einer pyramidenförmigen Organisation, die mit ihren starren Strukturen laut Hsieh Innovation bremst oder sogar verhindert. „Holacracy ist ein Regelwerk für Anarchie“, flachst Erfinder Robertson. Weltweit verwenden rund 50 Organisationen seine Philosophie, darunter die Unternehmensberatung cidpartners aus Bonn. Zappos ist mit rund 1500 Mitarbeiter der größte und ambitionierteste Anwender.
Diese Führungstypen gibt es in Unternehmen
Dieser Typ hat die Fähigkeit, Menschen im direkten Kontakt Sicherheit zu geben und ihnen persönlich den Rücken zu stärken. Der Chef ist authentisch, kompetent und besitzt natürliche Autorität. Loyalität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden sind Ergebnis persönlicher Vorbildfunktion und Verantwortungsübernahme. Zentrales Ziel ist, langfristig die Arbeitsplätze der Menschen im Unternehmen und stabile Beziehungen und Organisationsverhältnisse zu sichern.
Die zahlengetriebene Führungskraft ist in der Lage, Menschen so zu organisieren, dass sie auf der Basis eines bestehenden Geschäftsmodells maximalen Profit erwirtschaften. Gute Führung erhöht die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens über Strategie, Zielemanagement und ein professionelles, auf Kennzahlen gestütztes Controlling. Zentrales Ziel ist, eine attraktive Rendite für die Kapitaleigner zu gewährleisten.
Eine gute Führungskraft dieses Typs unterstützt und begleitet die Zusammenarbeit in dezentral organisierten, sich flexibel verschiedenen Aufgabenstellungen anpassenden Teams. Wenn der Manager gut ist, fördert er die Erhöhung der internen Diversität, sorgt für maximale Transparenz von Information und gemeinsame Reflexion von Zusammenhängen. Zentrales Ziel ist, Synergiepotenziale im und zwischen Unternehmen zu heben.
Dieser Chef lässt viel Raum für Eigeninitiative und begünstigt die ungehinderte, hierarchiefreie Vernetzung zwischen allen Akteuren im Unternehmen. Wenn er seinen Job gut macht, vereint er Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen unter einer attraktiven Vision und vertraut auf ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation. Zentrales Ziel ist, die Komplexität vernetzter Märkte durch eigene Netzwerke zu bewältigen.
Eine gute Führungskraft dieses Typs motiviert hauptsächlich über persönliche Wertschätzung, Freiräume und die Sinnhaftigkeit gemeinsamer Arbeitszusammenhänge. Er ist offen für basisdemokratische Teilhabe. Themen gesellschaftlicher Solidarität und sozialer Verantwortung sind im Alltagshandeln präsent und wichtig. Zentrales Ziel ist, die Interessen aller relevanten Stakeholder optimal zu balancieren.
Hsieh sagt: „Holacracy ist der Garant für konstante Veränderung.“ Er ist schon immer gegen den Strom geschwommen. Wie bei seinem größten Erfolg Zappos, den von ihm 1999 gegründeten Onlineschuhhändler. Den macht er mit großzügigen Rückgaberechten so populär, dass Amazon Zappos im Sommer 2009 für 1,2 Milliarden Dollar übernahm. Amazon-Gründer Jeff Bezos Bedingung war, dass Hsieh als Chef blieb.