Arbeitswelt nach Corona Kommt bald der große Büroleerstand?

Lasse Rheingans im leergeräumten Büro seiner Firma. Die Mitarbeiter dürfen mitreden, wie das neue Büro nach Corona aussehen soll. Quelle: Presse

Ganze Belegschaften arbeiten von zu Hause – und alles funktioniert. Die Büros von morgen müssen, um überleben zu können, fundamental anders aussehen, wie die ersten Experimente innovativer Unternehmer zeigen.

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Zweihundert Quadratmeter dunkles Parkett, kahle Wände, nackte Fenster – ansonsten: nichts. Man könnte meinen, hier werde eine weitere Firma wegen der Coronakrise dichtgemacht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Räume seiner Firma Digital Enabler in der Bielefelder Altstadt will Lasse Rheingans nicht aufgeben, ebenso wenig das Geschäft. „Was wir in mehr als zwei Monaten Homeoffice gemerkt haben: Eigentlich braucht man so ein klassisches Büro nicht. Wir müssen es komplett neu interpretieren“, sagt Rheingans. Deshalb ließ der Unternehmer erst einmal alles Mobiliar rausschmeißen. Tische, Lampen und Regale verschenkte oder verkaufte er. Nur die Drehstühle hob er auf – die könnte man ja auch im Homeoffice noch brauchen. Von dort arbeiten die 16 Mitarbeiter seit mehr als zwei Monaten.

Wie der neue Arbeitsplatz für das Team später aussehen wird, ist noch unklar. Rheingans befragt momentan jeden Mitarbeiter einzeln nach Bedürfnissen und Wünschen für das künftige Arbeiten. „Wo die Leute arbeiten, ist mir als Chef wirklich völlig egal. Ich vertraue ihnen. Erwachsene Menschen müssen selbst wissen, welche Umgebung sie zum Arbeiten brauchen“, sagt Rheingans. Bis jetzt sei alles dabei: Mancher sehnt sich nach einem festen Büroarbeitsplatz zurück, andere lieben das Arbeiten zuhause und die Möglichkeit, nach der Arbeit direkt zurück ins Bett fallen zu können. 

Was das Bielefelder Unternehmen derzeit im Kleinen tut, beschäftigt auch Großunternehmen und Konzerne: Wie sehen die Arbeitsplätze in der Nach-Corona-Zeit aus? Jahrelang investierten sie in große Bürokomplexe. Schicke, nach den neuesten Erkenntnissen zu Ergonomie und Produktivität gestaltete Bürowelten hinter Glas-und-Stahl-Fassaden wurden zu Aushängeschildern. Je extravaganter, desto besser. Der zeitgleiche Trend zum Homeoffice blieb ein Randaspekt, nichts, das den Bedarf für Büros ernsthaft in Frage gestellt hätte. Bis die Coronakrise kam. Nun arbeiten seit bald drei Monaten große Teile der Büroangestellten von zuhause aus. Und die Fans der Heimarbeit sehen sich in all ihren Prophezeiungen bestätigt: Das Arbeiten von Zuhause oder einem anderen Ort der Wahl funktioniert.

Auch wenn manche Unternehmen so langsam wieder ihre Gebäude besiedeln – wegen der Abstandsregeln bleiben diese bis auf weiteres eher stille und ausgestorben wirkende Orte. Meetingräume bleiben leer, in Großraumbüros sitzen vereinzelte Menschen, die still auf ihren Tastaturen klappern. Damit stellt sich die Frage nach Größe und Gestaltung der Büros nun nachträglich doch noch, vor allem da gleichzeitig das Geld knapper wird. Lohnt es sich, für halb so viele Menschen noch die oftmals teuren Mieten zu bezahlen?

Freie Büroflächen waren bisher eher Mangelware

Sven Wingerter glaubt deshalb, dass langfristig 20 Prozent der Büroflächen in Deutschland verzichtbar werden könnten. Wingerter berät für das Unternehmen Eurocres Firmen bei ihrer Bürogestaltung. Das Beratungshaus aus Berlin hat nach eigenen Angaben diesen Wert ermittelt – und geht von einem schrittweisen Bürosterben aus. „Erst, wenn die Abstands- und Hygieneregeln nicht mehr im Vordergrund stehen, beginnt wieder das normale Leben in den Büros.“ Vorher würden wegen „Covid-Compliance“ die vorhandenen Flächen gebraucht, um weniger Mitarbeiter mit mehr Abstand unterzubringen, so Wingerter.

Danach könnten Unternehmen ihre Büroflächen reduzieren und neu interpretieren – als eine Art Lagerfeuer-Ort für die Mitarbeiter, wie Wingerter es ausdrückt. Büroimmobilien-Vermieter müssten dann wohl auf neue Geschäftsmodelle setzen, prognostiziert er. Eine solche Entwicklung sieht Oliver Horstmann, Mitglied der Geschäftsleitung beim Immobilienvermittler Engel und Völkers, noch lange nicht. „Wir haben im Moment eher einen zu niedrigen Leerstand bei den Büroimmobilien. In Hamburg stehen nur knapp drei Prozent der Büroflächen leer, in Berlin 1,9 Prozent. Das machte es für Unternehmen bisher sehr schwierig, umzuziehen oder zu expandieren“, erklärt Horstmann. Die Krise werde, selbst wenn sich die Leerstände verdoppelten, eher zu einer notwendigen Entspannung am Büromarkt führen.

Auch Horstmann glaubt, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeiter in Zukunft freier entscheiden lassen werden, von wo sie arbeiten wollen. „Es ist aber nicht klar, ob dadurch Büroarbeitsplätze wegfallen, oder ob einfach nicht jeder Mitarbeiter jeden Tag an seinen Arbeitsplatz im Büro kommt.“

Wie sich der Büromarkt langfristig entwickele, hält der Immobilienexperte für schwer vorhersehbar. „Etwas mehr Büroflächenangebot würde uns eher positiv stimmen. Ich habe mir ernsthafte Gedanken gemacht, wie wir bei so niedrigem Leerstand überhaupt Unternehmen unterbringen. Das entspannt sich jetzt ein bisschen.“



Das zukünftige verschlankte Lagerfeuer-Büro nimmt für Lasse Rheingans eher die Umrisse einer grünen Insel an. „Wir werden vielleicht vier bis fünf Schreibtischplätze haben, aber nicht mehr in Reih und Glied wie früher, sondern eher als Arbeitsinseln. Gleichzeitig Platz für Besprechungen und kreativen Austausch, wo man Gedanken anschreiben und hinpinnen kann. Ich sehe einen hellen, mit viel Holz und Pflanzen belebten Raum. Ein Raum zum Interagieren, wo Ideen fließen.“

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