Charta der Vielfalt Diversity heißt vor allem: Den Kunden verstehen

Am heutigen Diversity-Tag unterzeichnen wieder viele Unternehmen die Charta der Vielfalt. Andere sind genervt von dem Schlagwort – "Nicht schon wieder Frauenquote". Dabei verbirgt sich dahinter etwas ganz anderes.

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Männer und Frauen verschiedenen Alters schauen von oben in die Kamera Quelle: Fotolia

"Der typische Telekom-Mitarbeiter ist 40, männlich und kommt aus Deutschland", sagt Christian P. Illek, Personalvorstand bei der Deutschen Telekom. Und genau das kann ein Problem werden. Nämlich dann, wenn der 40-jährige Durchschnittsmitarbeiter auf die 68-jährige Rentnerin trifft, die partout nicht möchte, dass ihr Analoganschluss auf Voice over IP umgestellt wird. Auch im Gespräch mit dem 18-jährigen Trainee mit türkischen Wurzeln wird es für den 40-jährigen Deutschen schwierig. Denn: Auch wenn alle drei deutsch sprechen, dieselbe Sprache sprechen sie nicht.

Deshalb, so Illek, ist Diversity, also Vielfalt, ein wichtiges Thema bei der Telekom – auch wenn das nicht immer so gewesen sei. Man achte darauf, in den Bereichen Gender, Age und Culture – also Geschlecht, Altersgruppen und kulturellem Background – für Vielfalt zu sorgen. Nicht nur, weil das gut klingt und dem Zeitgeist entspricht, sondern weil es wirtschaftlich notwendig ist. Das sieht man auch beim Konkurrenten Vodafone so. "Diversity ist kein Selbstzweck", bestätigt Felizitas Lichtenberg, die bei dem Mobilfunkanbieter für Diversity und Inklusion zuständig ist.

Beide Unternehmen haben die sogenannte Charta der Vielfalt unterzeichnet, die vor zehn Jahren unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel ins Leben gerufen wurde. Seit dem findet – unter anderem – einmal im Jahr ein bundesweiter Aktionstag statt, bei dem sich alles um den reichlich überstrapazierten Begriff "Diversity" dreht. Vergangenes Jahr fanden am Deutschen Diversity-Tag bundesweit mehr als 850 Aktionen rund um das Thema Vielfalt statt: Workshops, Tage der offenen Tür, Filme, Podiumsgespräche und auch 2016 ging es bei zig Unternehmen wieder vielfältig her.

Die Anwesenheitsliste bei der entsprechenden Telekom-Veranstaltung liest sich wie das "Who is Who" der deutschen Wirtschaft: Rund 100 Führungskräfte von Bayer, der Deutschen Post DHL Group, der Telekom, des Versicherers Ergo, von E.On, Ford, GEA, Henkel, Hewlett Packard, Lanxess, Metro, RWE, Thyssenkrupp, dem TÜV Rheinland und Vodafone kamen in der Konzernzentrale zusammen, um etwas über Diversity zu lernen.

Aber ist das 2016 eigentlich noch nötig? Schließlich sind berufstätige Frauen heute ganz normal – könnte man meinen, aber: Es geht bei diesem Begriff nicht nur darum, dass jetzt auch eine Frau am Empfang sitzt und vielleicht noch eine in der Buchhaltung. Es geht auch nicht darum, ob eine Frau die Chance bekommt, eine Führungsposition zu bekleiden.

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Es geht um viel mehr. Es geht darum, vom Kunden aus zu denken. Weiß der 40-jährige Mann aus Deutschland, der eine Reihenhaushälfte in Bonn besitzt, verheiratet ist und zwei Kinder hat, was eine 17-jährige Kundin möchte, die noch zur Schule geht? Wie sie denkt?

Und versteht er die Bedürfnisse des Handwerksmeisters mit einem fünfköpfigen Betrieb? Kann er Werbung entwickeln, die alle seine Kunden anspricht? Weiß er, welche Produkte sie sich wünschen? Oder macht er die perfekte Werbung für 40-jährige deutsche Männer mit Familie –und ignoriert dabei alle anderen? "Es geht bei Diversity gar nicht so sehr um Mann und Frau oder um die Herkunft, sondern darum, welche Fähigkeiten man für was braucht. Wenn das klar ist, muss man gucken, wo es Leute gibt, die diese Fähigkeiten haben", sagt Kirsten Sánchez Marín, Leiterin des Bereichs Diversity & Inclusion beim Konsumgüterhersteller Henkel. Entsprechend stelle man auch die Teams im Unternehmen zusammen: In der Sparte Beauty Care, also Haarpflege & Co. sei der typische Kunde weiblich, also sitzen dort auch mehr Frauen im Team. Der Mitfünfziger, der sein letztes Haar vor ein paar Jahren verabschiedet hat, kann sich einfach schlechter in die Ansprüche der Kundin an ein Haarspray hineindenken.

Deutscher Kunde – deutscher Ansprechpartner, junge Zielgruppe – junger Mitarbeiter

Dagegen ist beim Waschmittelvertriebler, der bei dm & Co. die Produkte an den Mann bringen soll, das Geschlecht egal, solange er perfekt deutsch spricht und den deutschen Markt gut kennt. Denn der Filialleiter ist in der Regel ein Deutscher. Und wer in der Abteilung Global Marketing sitzt, kann sowohl jung oder alt, männlich oder weiblich sein – solange er Asiate ist. Zumindest dann, wenn die meisten Kunden Asiaten sind.

"Auch bei der Kundenansprache ist Diversität entscheidend", so Sánchez Marín. Selbst in der Pril-Werbung kämen ganz verschiedene Typen beim Abwasch machen vor, weil es die Hausfrau im weißen Kleid, die in den 50ern freudestrahlend das Spülmittel bewarb, einfach nicht mehr gibt. Und wenn die Studenten-WG aus Kreuzberg das Produkt kaufen soll, muss man es eben auch zielgruppengerecht anbieten.

Und hier sind wir wieder beim durchschnittlichen Telekom-Mitarbeiter: Um das zu bewerkstelligen, muss man sich in die Zielgruppe hineinversetzen können. Da schadet es nicht, einen Vertreter dieser Gruppe im Unternehmen zu haben.

Die Mitarbeiter eines Unternehmens müssen ein Spiegelbild der Gesellschaft sein, wenn sie der Gesellschaft ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen wollen. So einfach und gleichzeitig so schwierig ist es, wie Gualtiero Zambonini, Beauftragter für Integration und kulturelle Vielfalt beim WDR auf der Diversity-Veranstaltung sagt.

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