Das Wulff-Syndrom Warum Macht Politiker und Manager verblendet

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Das Experiment

So viel bekommen die Dax-Chefs nach der Karriere
Platz 12: Karl-Ludwig Kley (60)Für Karl-Ludwig Kley hat der Pharma- und Chemieunternehmen Merck 7 Millionen Euro angespart. Kleys hat sein Mandat im Vorstand seit 4 Jahren, in jedem Jahr wird im Schnitt 1,8 Millionen Euro zurückgelegt. Kley ist aktuell als künftiger Präsident des Chemieverbandes VCI im Gespräch. Quelle: dpa
Platz 11: Reto Francioni (56)Der Chef der Deutschen Börse hat 8,2 Millionen Euro in seinen fünf Jahren als CEO angesammelt. Im Schnitt kamen jedes Jahr 1,6 Millionen Euro hinzu. Francioni hat im vergangenen Jahr mit dem Versuch, die Nyse Euronext zu übernehmen, für einen Coup gesorgt. Allerdings stehen die Zeichen schlecht. Quelle: dpa
Platz 10: Michael Diekmann (57)Deutschlands größter Versicherungskonzern sichert Michael Diekmann vorzüglich ab. Der Allianz-Chef ist seit zwölf Jahren im Vorstand, dafür wurden ihm 8,3 Millionen Euro angerechnet. Der Konzern blickt dagegen auf ein hartes Jahr zurück. Der Umsatz ist gesunken, das operative Ergebnis stagniert. Michael Diekmann sprach von einem „soliden Ergebnis“. Quelle: dapd
Platz 9: Johannes Teyssen (52)Der Jüngste im Manager-Dutzend arbeitet seit 7 Jahren in der Chefetage von Eon. Dafür hat der Stromkonzern, der sich gerade mit einem brasilianischen Versorger verbündet, 8,6 Millionen Euro an Rückstellungen angehäuft. Trotz der jüngsten Sparmaßnahmen bei Eon waren das im Durchschnitt 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Quelle: Reuters
Platz 8: Nikolaus von Bomhard (55)Für den Vorstandsvorsitzenden des weltweit größten Rückversicherers flossen in einem Jahrzehnt 9 Millionen Euro in die Pensionskasse, macht 900.000 in jedem Jahr. Der Manager ist seit 26 Jahren bei der Münchener Rück. Der Konzern hat ein schweres Jahr hinter sich, ausgelöst durch die Erdbeben in Japan und Neuseeland oder die Skandale der Tochter Ergo. Quelle: dpa
Platz 7: Wolfgang Reitzle (62)Er gilt als Lenker mit Marktkenntnis und einem ausgezeichneten Gespür für Menschen. Darum setzt Linde schon seit 9 Jahren auf Wolfgang Reitzle im Vorstand. Der Konzern, Spezialist für Industriegase, stellte insgesamt 9,6 Millionen Euro für Reitzle zurück. Das jährliche Mittel liegt bei 1,1 Millionen Euro. Der Erfolg gibt ihm recht: Als Reitzle 2005 zu Linde kam, lag der Aktienkurs bei 30 Euro, heute beträgt er 119 Euro. Quelle: dpa
Platz 6: Wolfgang Mayrhuber (64)Bis Ende 2010 führte Wolfgang Mayrhuber die Lufthansa. Dabei kamen 11,3 Millionen an Altersvorsorge zusammen, durchschnittlich 1,3 Millionen jedes Jahr. Der 64-Jährige ist mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender bei Infineon, obwohl ihm Erfahrungen im internationalen Halbleitergeschäft fehlen. Quelle: dpa

Wie schmal dieser Grat ist, zeigt ein Blick ins Jahr 1971. Damals begleitete der Psychologe Philip Zimbardo von der kalifornischen Eliteuniversität Stanford 24 Studenten in einen Kellerraum. Für einen Versuch hatte er dort ein Gefängnis rekonstruiert. Nach dem Zufallsprinzip teilte Zimbardo die Freiwilligen in Aufseher und Häftlinge ein. Die Wärter bekamen Uniformen und Schlagstöcke, die Häftlinge wurden in Einzelzellen gepfercht, zogen sich einen Kittel über den Körper, Ketten an die Füße, einen Nylonstrumpf über den Kopf. Zimbardo filmte mit versteckter Kamera – und dokumentierte eine Tour des Grauens.

Nach zwei Tagen fingen die Wärter aus eigenem Antrieb und grundlos an, den Schlaf der Gefangenen zu stören, ihnen das Essen zu verweigern und sie zu beschimpfen. Die Insassen blockierten daraufhin die Türen, die Aufseher wiederum sprühten mit Feuerlöschern eisiges Kohlendioxid in die Zellen, nahmen den Gefangenen Kleidung und Betten weg und verweigerten ihnen nach 22 Uhr den Gang zur Toilette. Nach wenigen Tagen brach Psychologe Zimbardo den Versuch ab, der als „Stanford Prison Experiment“ in die Fachliteratur einging und später auch als Film-Vorlage diente („Das Experiment“). Zimbardos beängstigendes Fazit: Das Böse sei in jedem Menschen verankert – es liege bloß an unserer Umgebung, ob es ans Tageslicht kommt oder nicht.

Nicht gleich ein Sadist

Natürlich wird nicht jeder Vorstandsvorsitzende gleich zum Sadisten. Aber der eine oder andere kommt solch charakterlicher Deformation schon recht nah: Glaubt man Insidern, führte etwa der einstige Klinik-König Ulrich Marseille in seinem Unternehmen bisweilen diktatorisch Regime. Fehler tolerierte er nicht, Führungskräfte stauchte er in Besprechungen öffentlich zusammen – so lange, bis auch gestandene Personen zu weinen begannen.

„Macht“, sagt der deutsche Hirnforscher Gerhard Roth, „ist ein größerer Verführer als Geld oder Sex.“

Schleichender Prozess

Wie so oft beginnt auch dieser Prozess schleichend: „Menschen mit Macht können besser lügen“, sagt Managementprofessorin Dana Carney. Sie hat in Experimenten festgestellt, dass Versuchspersonen mit geliehener Macht nicht nur häufiger flunkerten. Bei ihnen hinterließ das Lügen außerdem weder emotionale noch körperliche Reaktionen. Chefs logen, ohne rot zu werden.

Was passiert, wenn Menschen Macht über andere verliehen bekommen, wies US-Psychologin Deborah Gruenfeld in ihrem legendären Kekstest nach: Die Wissenschaftlerin von der Stanford-Universität ließ mehrere Studentengruppen über Politik und Religion diskutieren. Einer der Probanden sollte die Aussagen der Kommilitonen beurteilen. Mit anderen Worten: Er bekam eine Prise Macht geliehen.

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