Wie viele Mitarbeiter bei MDC Power für das Warten der Maschinen zuständig sind? Geschäftsführer Sven Breitschwerdt hat keine Ahnung. Mit wie vielen Wagen die Logistiker Einzelteile an die Produktionsstraße fahren? Keinen blassen Schimmer. Es interessiert ihn auch nicht. Und zwar aus gutem Grund: „Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche“, sagt Breitschwerdt.
Das Wesentliche ist in diesem Fall die Montage von täglich durchschnittlich mehreren Tausend Motoren, die der Mittelständler aus Kölleda in Thüringen vor allem an seine Muttergesellschaft, den Automobilhersteller Daimler, liefert. Was nicht zum Kerngeschäft gehört, übernehmen externe Dienstleister. Die sind für die Logistik innerhalb der Fabrik zuständig, stellen das nötige Werkzeug bereit, warten und reparieren alle Maschinen im Werk. Taucht etwa eine Störung auf, brauchen die externen Mechaniker durchschnittlich nur eine Minute, bis sie mit der Reparatur beginnen.
Methode
Im ersten Schritt müssen die Bewerber aus Deutschland einen vierseitigen Fragebogen ausfüllen: Welche Projekte hat das Top-Management kürzlich initiiert? Wie viele Teile werden pünktlich ausgeliefert? Welche Schritte übernehmen externe Dienstleister? Wie bezieht das Unternehmen seine Mitarbeiter in Verbesserungsprozesse mit ein?
Auf Basis der Antworten entscheidet die Jury, zu der Professoren der Hochschulen WHU (Vallendar), Insead (Fontainebleau), IESE (Barcelona), Judge Business School (Cambridge), Koç-Universität (Istanbul) und Rotterdam School of Management zählen, wer in die nächste Runde einzieht. Diese Fabriken werden von den Juroren einen Tag lang besucht, der Sieger qualifiziert sich für den europäischen Industrial Excellence Award.
MDC Power bezahlt die Serviceunternehmen pro Motor, der am Schichtende fertig montiert ist und das Werk Richtung Kunde verlassen kann. Ein einfaches, aber effektives Anreizsystem: Das Werk liefert alle Motoren pünktlich aus. Und weil die Dienstleister eigenverantwortlich arbeiten, können sich Breitschwerdt und seine etwa 1.000 Mitarbeiter ausschließlich auf die Produktion der Motoren fokussieren. „Wir wollen schlank bleiben“, sagt Geschäftsführer Breitschwerdt, „obwohl wir uns in der Vergangenheit alle 18 Monate verdoppelt haben.“
Breitschwerdts Führungsteam besteht aus gerade mal zwölf Verantwortlichen. Ein Mittelmanagement gibt es genauso wenig wie ein separates Verwaltungsgebäude, interne E-Mails sind tabu. Kurze Kommunikationswege statt digitaler Nachrichtenflut. Nah an der Produktion, statt sich in der Chefetage hinter Aktenstapeln zu verkriechen. Das Managementteam kennt das Kerngeschäft im Detail und kann dementsprechend zügig auf Probleme reagieren.
„Durch diese Strategie der Fokussierung ist MDC Power schnell, effizient und flexibel“, sagt Arnd Huchzermeier, Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule WHU – Otto Beisheim School of Management. Er hat gemeinsam mit Experten von den Hochschulen Insead, IESE, Judge Business School, Rotterdam School of Management, der TU Eindhoven und der türkischen Koç-Universität das Motorenwerk aus Thüringen zum deutschen Sieger des Wettbewerbs „Die Beste Fabrik“ erkoren (siehe Kurztext oben).
Europas beste Fabrik
Die Landessieger aus Deutschland, Frankreich, Spanien und der Schweiz kämpfen am 22. und 23. Oktober 2014 um den europäischen Titel des Industrial Excellence Award. Auf der Konferenz in Weimar, die WirtschaftsWoche und Euroforum im Rahmen des Wettbewerbs „Industrial Excellence Award“ veranstalten, stellen die Manager der europäischen Top-Fabriken ihre Erfolgsrezepte vor. Im Anschluss prämieren die Juroren den europäischen Sieger. Am zweiten Veranstaltungstag besuchen die Teilnehmer gemeinsam das Werk des deutschen Siegers MDC Power.
Die Teilnahmegebühr beträgt regulär 2.199 Euro. Wer sich bis zum 8. August 2014 anmeldet, erhält einen Frühbucherrabatt und kann die Veranstaltung schon für 1.799 Euro besuchen.
Weitere Infos und Anmeldung unter bestefabrik-konferenz.de
Bereits zum 18. Mal hat die WirtschaftsWoche zusammen mit ihren Hochschulpartnern die Leistungsschau ausgerufen, die den deutschen Teil des europäischen Industrial Excellence Award repräsentiert. Wer in diesem Jahr den Titel des internationalen Gesamtsiegers erhält, entscheiden die Juroren im Oktober auf der WirtschaftsWoche-Konferenz Beste Fabrik in Weimar (siehe Kurztext oben). Dort trifft MDC Power auf die Landessieger aus Spanien, Frankreich und der Schweiz.
Sie alle zeigen, dass die Industrie den Kern einer jeden funktionierenden Wirtschaft bildet – in Deutschland steuerte sie 2013 immerhin knapp 22 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. „Die Industrie ist weiterhin Jobmotor Nummer eins“, bestätigt Huchzermeier.
Jobmotor Industrie
Denn neben den sieben Millionen Menschen, die in Deutschland im verarbeitenden Gewerbe tätig sind, schafft die Industrie Arbeit für knapp vier Millionen weitere Beschäftigte im Dienstleistungsbereich, schätzt Alexander Eickelpasch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – vom Werbetexter über Reinigungskräfte bis hin zum Wirtschaftsprüfer. „Wer Deutschland nur als Dienstleistungsgesellschaft wahrnimmt, verkennt einen Teil der Realität“, sagt der Volkswirt.
Innovationsmotor für den Standort Deutschland
Und auch 2014 treibt die Industrie den Standort Deutschland mit innovativen Produkten und Prozessen voran. Laut ifo Institut planen 66 Prozent der Unternehmen höhere Investitionen als im vergangenen Jahr. Insgesamt sollen diese um neun Prozent steigen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet für 2014 außerdem mit 40.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, und auch die aktuelle Auftragslage lässt hoffen. Die eingehenden Bestellungen haben sich im April im Vergleich zum Vormonat um 3,1 Prozent erhöht.
Auch MDC Power stockt die Produktionskapazitäten auf. Gerüste umringen derzeit die beiden neuen Werkshallen in Kölleda. Während die Fassade der einen verkleidet wird, bringen die Dachdecker bei der anderen noch letzte Rinnen an. Ende 2015 sollen dort die ersten Motoren vom Band laufen.
Wie Geschäftsführer Breitschwerdt trotz immer größerer Stückzahlen den Überblick behalten will?
„Verantwortlichkeiten müssen klar verteilt sein“, sagt der 46-Jährige. „So können Fehler am schnellsten behoben werden, ohne dass drei Arbeitsgruppen einberufen werden müssen.“
Die Arbeit in der Fabrik ist in knapp 300 Prozesse gegliedert, die in einem speziellen Computersystem detailliert beschrieben und gespeichert sind – von der Qualitätskontrolle bis hin zur Urlaubsplanung. Für jeden dieser Abläufe ist einer der zwölf Manager aus Breitschwerdts Führungsmannschaft verantwortlich.
Stabile Prozesse
Qualitätsleiter Stefan Odermatt etwa kümmert sich unter anderem um Prozess Nummer P-261: die Evakuierung im Brandfall. Auch der jüngste Probealarm vor einigen Tagen war reibungslos verlaufen – innerhalb von fünf Minuten hatten alle Mitarbeiter die Werkshalle verlassen und sich vorschriftsgemäß am dafür vorgeschriebenen Platz versammelt. Doch ein aufmerksamer Mitarbeiter gab zu bedenken, dass eine Evakuierung während eines Schichtwechsels wesentlich unübersichtlicher sei und mit dem bisherigen Ablauf wichtige Fragen unbeantwortet blieben: Wer ist zum Zeitpunkt des Brands auf dem Werksgelände? Wo genau halten sich die Mitarbeiter auf? Wie stellt man sicher, dass niemand vergessen wird?
Seitdem prangt auf Odermatts Bildschirm ein roter Punkt hinter Prozess P-261. Zwei Wochen hat der Manager nun Zeit, eine Lösung zu finden. Und wenn das rote Zeichen bis dahin nicht verschwunden ist, wird sich das gesamte Führungsteam mit dem Problem beschäftigen.
„Fehler werden so nicht ewig diskutiert, sondern ein für alle Mal eliminiert“, sagt WHU-Professor Huchzermeier. Das schlage sich auch auf die Fehlerquote bei den Motoren nieder. Breitschwerdts ehrgeiziges Ziel: „Am Ende des Jahres sollen alle Reklamationen der Kunden auf eine Din-A4-Seite passen – und zwar so groß gedruckt, dass ich es noch ohne Brille lesen kann“, sagt der 46-Jährige.
„Diese sehr niedrige Quote verdanken wir unseren stabilen Prozessen“, ergänzt der Manager. Veränderungen werden bei MDC Power auf ein Minimum reduziert und dann sehr deutlich kommuniziert, um Missverständnisse auszuschließen.
Verdächtige Schattierung
Die Folge: gut informierte Mitarbeiter, die mitdenken. Vor einigen Monaten etwa entdeckte ein Werker eine Schraube mit einer ungewöhnlichen Schattierung, als er diese gerade in den Motorblock drehen wollte. Er zeigte sie seinem Meister, der sie als Fehlproduktion identifizierte. Anderswo hätte der Mitarbeiter die neue Schattierung vermutlich für eine der zahlreichen Änderungen gehalten, über die er schlicht nicht informiert wurde. Und die falsche Schraube hätte vielleicht eine der im Moment in der Automobilbranche so zahlreichen Rückrufaktionen ausgelöst.
Um solche Fehler frühzeitig auszumerzen oder erst gar nicht aufkommen zu lassen, lässt MDC Power sich bereitwillig in die Karten schauen. Der Motorenhersteller lädt Lieferanten nämlich nicht nur zu Konsultationen auf Managementebene ein, sondern lässt deren Mitarbeiter vom Werker bis zum Geschäftsführer ins Haus und die eigenen Teile direkt an der Produktionsstraße einbauen – zum Nutzen des Auftraggebers: Als einer der MDC-Lieferanten kürzlich versuchte, die Schläuche an einem Motor zu montieren, erkannte er ein Problem: „Unser Sensor sitzt zwar gut, aber die Schelle ist im Weg.“ Also verschob er selbige Schelle an besagtem Sensor kurzerhand um einen Millimeter nach rechts. Ein Millimeter, der den MDC-Mitarbeitern die Montage erleichtert und damit Zeit und Geld spart.
Gute Arbeit zahlt sich also aus
Erkenntnisse wie diese haben dazu beigetragen, die Motorenmontage bei MDC Power schrittweise zu verbessern. In den vergangenen zwei Jahren konnte Breitschwerdt die Zeit vom ersten Schritt der Montage bis zum Versand des fertigen Motors fast halbieren.
Hilfreich dabei: Die Daimler-Tochter produziert jeden Tag genauso viele Motoren, wie bestellt wurden – innerhalb einer Woche kann das Unternehmen die Produktion sowohl verdoppeln als auch komplett herunterfahren. Die jeweils gewünschte Stückzahl steht für alle Werker sichtbar ganz oben auf den großen Digitalanzeigen, die in der Montagehalle von der Decke hängen.
„Sobald wir das Soll erfüllt haben, können die Werker nach Hause“, sagt Geschäftsführer Breitschwerdt, „auch wenn das Schichtende noch nicht ganz erreicht ist.“ Außerdem sind zehn Prozent der Bezahlung an Kennzahlen wie Liefertreue, Stückkosten oder Fehlerquote gebunden. Gute Arbeit zahlt sich für Breitschwerdts Leute also aus.
Auch für den Chef selbst: Er macht dieser Tage den nächsten Karrieresprung, wechselt vom MDC-Werk in Kölleda in die Daimler-Zentrale nach Stuttgart, wo er ab Juli in der Hierarchieebene direkt unterhalb des Konzernvorstands arbeiten wird. Dann dürfte es für ihn wohl vorbei sein mit E-Mail-freier Zone und überschaubaren Führungsmannschaften.