Persönlichkeitstest „Man muss das nicht mitmachen“

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Eine gewisse Einzigartigkeit

Welche Entwicklung nahm der MBTI von da an?
Katherine Cook Briggs wollte mithilfe der Typisierung besser verstehen, wie sich Kinder zu zivilisierten Erwachsenen entwickeln. Ihre Tochter Isabel Briggs Myers erkannte aber noch ein anderes Potenzial in den Typen. Sie sah darin eine Menschensortiermaschine, die nicht nur Kinder, sondern die gesamte Arbeiterschaft typisieren konnte. Ihre Hoffnung war, jedem Typ den perfekten Job zuzuordnen. Damals begann die Kommerzialisierung des MBTI. 

Heute nutzen zwei Millionen Menschen im Jahr den Test. Warum ist das so?
Das ist die Frage, die mich beim Schreiben des Buches am meisten interessiert hat. Es gibt keinerlei Beweise, dass der MBTI sinnvolle Ergebnisse liefert. Er ist wissenschaftlich höchst umstritten. Warum suchen Menschen trotzdem darin eine Erkenntnis? Wieso richten sie ihr Leben nach einem Typ aus, der keine Basis hat? Warum verteidigen sie ihn so leidenschaftlich?

Und was ist Ihre Antwort?
Ich denke, die Typisierung erfüllt zwei Bedürfnisse auf einmal. Die Sprache der Typisierung verleiht jedem eine gewisse Einzigartigkeit. Man hat das Gefühl, als diejenige gesehen zu werden, die man wirklich ist. Die Sprache ist durchweg positiv und auch so gehalten, dass sich jeder darin wiederfindet. So ähnlich wie bei Horoskopen oder bei Persönlichkeitstests im Internet.

Welches Bedürfnis erfüllt der MBTI noch?
Ich glaube, man verspürt eine Zugehörigkeit, wenn man seinen Typ weiß. Man ist Teil der Gemeinschaft, die vom MBTI in die gleiche Schublade gesteckt wurde. Man ist in dieser Welt der Typen also einerseits total individuell und besonders, andererseits aber eingebettet in einer Gruppe, die einen versteht und so sieht, wie man wirklich ist. Das hilft Menschen dabei, einen Narrativ um sich erschaffen. Basierend auf seinem Typ kann man sich selbst verstehen und akzeptieren lernen. Es hilft, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine mögliche Zukunft zusammenzubinden.

Auch wenn das Ergebnis aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdig sein mag, klingt das doch eigentlich nicht schlecht.
Ich nehme es auch niemandem übel, wenn er aus einem Persönlichkeitstest gute Einsichten für sich selbst gewinnt. Nur wenn Unternehmen die Ergebnisse für ihre Zwecke nutzen, wie beim MBTI, finde ich das kritisch. 

Warum das?
Durch die Typisierung suggeriert man, dass es für jeden Typ den idealen Job gibt. Man muss nur lange genug suchen, dann findet man ihn schon. Und dann geht man auch vollkommen darin auf, weil genau dieser Job ja essenziell dafür ist, wer man ist. Für Unternehmen ist das natürlich toll, denn wenn der Job ein so wichtiger Teil des Lebens ist, neigt man weniger zu Faulheit und leistet mehr, ohne sich zu beschweren. Ein sehr effizienter Weg also, das Beste aus den Mitarbeitern rauszuholen.

Der Kapitalismus bemächtigt sich also nicht nur der Arbeitskraft des Einzelnen, sondern seiner gesamten Person?
Was in unserer heutigen Dienstleistungswirtschaft vor allem gekauft und verkauft wird, ist die Persönlichkeit. Da ist das doch nur konsequent.

Was heißt das für den Einzelnen?
Man muss das nicht mitmachen. Es wird ja oft behauptet, man müsse nur etwas arbeiten, was man liebe und was der eigenen Persönlichkeit perfekt entspricht, dann würde man keinen einzigen Tag mehr arbeiten. Ich finde das falsch. Warum sollte man seinen Selbstwert und seine Selbstverwirklichung nur auf die Arbeit beziehen? Warum sollte Arbeit mehr sein als eine Transaktion von Arbeit für Geld?

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