Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.
Warum verteilen Sie in einer Podiumsdiskussion, der Firmenkonferenz oder auf dem Elternabend nicht einfach einen Zettel mit Ihren Lieblingsstandpunkten und lächeln dabei recht freundlich? Ganz einfach: Weil nichts auf der Welt andere Menschen stärker überzeugt, als die persönlich vorgetragene eigene Haltung. Und das wollen Sie ja: überzeugen. In Diskussionen kommt allerdings dummerweise erschwerend hinzu, dass die Anderen den entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Ihre Debatten-Gegner kämpfen mitunter mit wirkungsvollen rhetorischen Tricks. Manchmal intuitiv, manchmal bewusst und in der Hoffnung, dass es nicht auffällt. Aber nicht mit Ihnen!
Ein beliebter Rhetorik-Trick und häufiges Totschlagargument in einer Diskussion ist der Satz: „Wo kommen wir denn da hin?“
Der Spruch riecht schon nach Bohnerwachs und Spießigkeit. Aber er ist nicht zu verwechseln mit: „Das haben wir noch nie so gemacht.“ Letzterer ist leicht auszuhebeln: „Aber jetzt sollten wir es so tun. Denn jetzt gibt es dafür gute Gründe.“
„Wo kommen wir denn da hin?“ hat es hingegen in sich. Denn diese Aussage aus dem Mund eines Ihrer Kontrahenten impliziert, dass Ihr Ansinnen Tür und Tor öffnet für allerlei Ungemach, das folgen wird, wenn man Ihrer Forderung erst einmal nachgibt.
Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Die heutige Generalsekretärin der CDU etwa, Annegret Kramp-Karrenbauer, äußerte seinerzeit vor der Abstimmung zur Ehe für alle im Deutschen Bundestag die Befürchtung: Wenn die Definition von Ehe geöffnet werde „in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“.
Tipps für die perfekte Rede
Schon beim Betreten des Raumes oder auf dem Weg zum Rednerpult müssen Sie konzentriert sein und Ihre Sprechhaltung einnehmen. Denn die Zuhörer nehmen Sie schon wahr, bevor Sie die Bühne betreten.
Reden Sie nie ohne Plan. Auch wenn Sie sich im Thema blind auskennen – überlegen Sie sich ganz genau, wie Sie Ihren Zuhörern die Informationen vermitteln wollen.
Machen Sie sich Stichwörter auf Moderationskarten. Ein ausformulierter Text ist unübersichtlich und verführt zum monotonen Ablesen.
Verzichten Sie auf lange Handouts oder eine vollgestopfte PowerPoint-Präsentation – Folien oder Charts sollen den Vortrag unterstützen und ihn nicht überflüssig machen.
Was wollen Sie erreichen? Bauen Sie eine Beziehung zu ihrem Publikum auf und verzichten Sie auf Belehrungen von oben herab. Damit die Distanz zwischen Ihnen und Ihren Zuhörern nicht zu groß wird, sprechen Sie sie direkt an und beziehen Sie sie so in den Vortrag mit ein.
Ihre Gesten müssen das Gesagte unterstreichen und gezielt eingesetzt werden. Zu viel Bewegung kann vom Inhalt ablenken und wirkt hektisch. Symmetrische Gesten und eine geschlossene Körperhaltung, zum Beispiel verschränkte Arme, kommen beim Zuhörer nicht gut an.
„Meiner Meinung nach“, „Am Ende des Tages“, „äh“ oder „übrigens“ sind Floskeln, die Sie nicht brauchen und den Zuhörer nerven. Überlegen Sie, was Sie stattdessen sagen können, damit Sie diese Lückenfüller nicht brauchen.
Wählen Sie Ihre Formulierungen so, dass Sie deren Inhalt glaubwürdig vertreten können. Neutrale Ausdrücke können dabei helfen, falls eigenes Empfinden und Firmenpolitik auseinander fallen.
Sich über Nervosität zu ärgern oder sie verdrängen zu wollen, macht es meist noch schlimmer. Nehmen Sie ihre Nervosität hin. Häufig erhöht sie sogar die Konzentration.
Oder Volker Kauder, der alte Tabak-Lobby-Versteher. Zur Frage, warum er denn das Tabakwerbeverbot auf Plakaten blockiere, begründete sein Büro im Frühjahr vergangenen Jahres die ablehnende Haltung mit: „Wer hier einmal den Weg hin zu Werbeverboten einschlägt, wird auch bei anderen Produkten, zum Beispiel Alkohol oder Zucker, künftig schwerlich gegen weitere Verbote sein können.“
Oder die beliebte Kritik an Tempo-30-Zonen: „Wo endet das mal? Bei Schrittgeschwindigkeit?“
All diese Äußerungen suggerieren: Wenn wir als Gesellschaft einmal einen bestimmten Weg einschlagen, dann gibt es kein Halten mehr. Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn. Denn einzelne Maßnahmen bedeuten noch keine neue generelle Stoßrichtung für alles Mögliche. Sonst wären wir in der Demokratie nicht in der Lage, Dinge zu verändern, weil wir dann ja immer gleich die nächste - dann aber unliebsame -Veränderung herbeiführen müssten.
Wie absurd das ist, zeigt sich, wenn man diese Haltung auf die Spitze treibt:
- Wenn Rasenmähen am Sonntag verboten ist, dann wird es bald auch während der Woche verboten sein.
- Wenn du ab heute kein Fleisch mehr isst, dann wirst du bald wohl auch kein Gemüse mehr essen.
- Wenn Schusswaffen verboten bleiben, müssen wir als nächstes auch Obstmesser verbieten.
Wieso funktioniert diese rhetorische Methode trotzdem so oft? Tja, das Raffinierte am „Wo kommen wir denn da hin?“-Trick ist, dass der Anwender damit im Kopf der Zuhörer in Windeseile einen Zusammenhang herstellt, der mangels Zeit und Muße im Laufe einer hitzigen Diskussion von den Zuhörern nicht schnell genug als unlauter entlarvt werden kann. In den Köpfen bleibt hängen: Werbeverbot für Zigaretten heißt bald Werbeverbot für alles Denkbare. Ehe für alle heißt am Ende jeder mit jedem und Sodom und Gomorrha. Der Trick versagt nur dann, wenn er zu offensichtlich überspannt wurde, wie bei unseren weitergedachten Beispielen gerade.
Wenn Sie in der Diskussion aber Opfer einer solchen „Wo kommen wir denn da hin“-Finte werden, wird Ihr Standpunkt schnell von emotional aufwühlenden Horrorszenarien des Anderen überlagert. Sie stehen im Extremfall da als jemand, der am liebsten den Weltuntergang einleiten möchte. Ab dann haben Sie es schwer, zu überzeugen. Außer Sie enttarnen den Trick als fies und nutzen das für sich. Und zwar so:
1.: Indem Sie allen klarmachen, dass sich der Andere durch das Heraufbeschwören von willkürlichen Folgen unfair verhält:
„Nur weil Sie sich eine Ehe zu dritt ausmalen sind sich dann davor fürchten, sollen zwei Menschen, die einander heiraten wollen, dies nicht dürfen? Damit machen sie andere zum Opfer Ihrer unnötigen Ängste.“
Oder 2.: Indem Sie aufdecken, dass der Anderen mit seinem rhetorischen Trick etwas im Schilde führt:
„Tabakwerbung und Werbung für Zucker und Alkohol sind doch unterschiedliche Themen. Oder wollen Sie mit der Verhinderung des Tabakverbotes in Wahrheit heute schon den Schutz der Zucker- und Spirituosenindustrie vorbereiten? Ist Ihnen der Jugendschutz so egal?“
Oder 3.: Indem Sie auf Nummer Sicher gehen. Mit einem vorher für alle Fälle zurecht gelegten Gleichnis. Einer Metapher, die genau auf diesen rhetorischen Trick lauert.
„Das eine zu tun, heißt nicht, etwas anderes tun zu müssen. Wenn Sie Ihrem Kind eine kleine Katze schenken, dann müssen Sie ihm nicht konsequenterweise demnächst auch einen Tiger kaufen.“
Diese Antwort passt immer, ist auch im Eifer des Gefechts gedanklich parat und zeigt, wie absurd es ist, zwingende Zusammenhänge herzustellen, nur um Angst vor einer einzelnen diskutierten Maßnahme zu erzeugen. Vielleicht fällt Ihnen selber ein überzeugendes Beispiel ein. Vielleicht mit Hund und Wolf oder so.
So gelingt der Auftritt im Meeting
Am Ende ist den Zuhörern klar: Der Andere hat übertriebene Befürchtungen oder argumentiert sogar unredlich. Punkt für Sie!
Achten Sie in Diskussionsrunden mal darauf, wie oft der „Wo kommen wir denn da hin?“-Trick zum Einsatz kommt. Erkennungszeichen: „Dann können wir ja gleich...“, „Was kommt als nächstes?“, „Damit treten Sie eine Entwicklung los, die wir nicht mehr aufhalten können.“
Aber damit kommt Ihnen jetzt keiner mehr fies.