WiWo Top-Kanzleien Die Furcht vor dem Dominoeffekt

Stillstand: Als bei Continental die Lieferketten rissen, kam es zu Engpässen bei Steuerungschips, in der Folge musste bei VW die Produktion gedrosselt werden Quelle: dpa Picture-Alliance

Die zurückliegende Pandemie und die Lieferkettenprobleme sorgen jetzt für Insolvenzen – viel später als erwartet. Damit die Krise nicht zur eigenen wird, sollten Unternehmen bei einigen Punkten besonders vorsichtig sein.

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Dass Malte Köster im selben Unternehmen gleich zweimal als Insolvenzverwalter einspringen muss, kommt so gut wie nie vor. Im Fall des Traditionsunternehmens Berner passierte ihm jetzt aber genau das. Schon vor fünf Jahren strukturierte der Insolvenzverwalter den Ladenbaubetrieb für Bäckereien um. Er entließ 50 Mitarbeiter, die Firma konnte weiterarbeiten.

Fürs Erste jedenfalls. Doch dann kam die Coronapandemie – und die Osnabrücker Firma musste vor drei Monaten erneut Insolvenz anmelden. Die Geschäftsführer des Familienunternehmens stellten einen Antrag auf Eigenverwaltung beim Amtsgericht, Köster übernahm zum zweiten Mal vorübergehend die Geschäftsführung, arbeitet gemeinsam mit einer Kanzlei an Restrukturierungsplänen zur Sanierung.

Der Auslöser für die Liquiditätsprobleme des Ladenbauers ist die Coronapandemie – so wie bei etlichen anderen Unternehmen. Denn obwohl der weltweite Ausnahmezustand schon Monate zurückliegt, zeigen sich vielerorts erst jetzt die Probleme. Immer noch verzögern sich Lieferungen, weil das benötigte Material nicht verfügbar ist. Und mitunter nehmen Kunden manche Waren nicht ab, weil sie ohne andere Teile, die auf sich warten lassen, nutzlos erscheinen.

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Hinzu kommen gestiegene Einkaufspreise für manche Materialien. Und so führt diese Kettenreaktion oft erst jetzt zu Zahlungsausfällen, mit denen Experten eigentlich schon vor zwei Jahren gerechnet hatten. Auch die jüngsten Insolvenzen bekannter Traditionsmarken wie des Herstellers von Einmachgläsern Weck oder des Automobilzulieferers Allgaier sind letztlich eine Folge der Pandemie.

Insolvenz

In Gefahr sind selbst gesunde Betriebe. Sie könnten ohne eigenes Zutun durch Engpässe in der Lieferkette mitgerissen werden, schildert Insolvenzverwalter Dirk Andres. Zum Beispiel im Maschinenbau: Fehlt nur ein kleines Teil, kann eine ganze Maschine nicht fertiggestellt und somit nicht ausgeliefert werden. „Das kann selbst ein finanziell gut ausgestattetes Unternehmen schnell in Liquiditätsprobleme bringen“, sagt Andres. Denn nicht nur die Einnahmen verzögerten sich dadurch erheblich, obendrein könnten Schadensersatzforderungen der Kunden drohen.

Je nachdem, an welcher Stelle das eigene Unternehmen in der Lieferkette steht, wirken sich Engpässe auch erst später aus, beobachtet Insolvenzverwalter Köster: Braucht der Zulieferer, der Gummidichtungen bezieht, die Teile erst später, weil er die nötigen Kabelbäume selbst nicht bekam, erhält sein Kunde auch erst Monate später die Ware – und zahlt auch erst später. So geriet der Automobilzulieferer Continental durch seine gestörten Lieferketten in einen Engpass bei Steuerungschips, VW musste in der Folge an mehreren Standorten die Produktion drosseln. Dax-Konzern Conti zog daraus eine Lehre: Um vorzubeugen, setzt er heute auf mehr Lagerhaltung und Frühwarnsysteme. Zudem behält Continental die wirtschaftliche Lage seiner Lieferanten deutlich stärker im Auge.





Dazu rät auch Anwalt Björn Frische von CMS. Für den Insolvenzrechtler sind stockende Lieferungen und Qualitätsprobleme Indizien für Schieflagen. Vor allem aber sei bei nicht eingehaltenen Zahlungsfristen oder Bitten um Ratenzahlungen Vorsicht geboten, so sein Rat an Unternehmer. Selbst Veränderungen wie Filialschließungen, Umfirmierungen, Sitzverlegungen, neue Bankverbindungen oder Entlassungen von Geschäftsführern sollten aufhorchen lassen. Ist der Lieferant auch noch schwer erreichbar, tauchen Geschäftsführer gar ab, sollte man neue Lieferanten suchen.

„Außenstände von zehn Prozent des Jahresumsatzes mit dem Kunden sind ein deutliches Alarmsignal“, lautet die Faustregel von Insolvenzverwalter Köster. Ab dann sollten Firmen Vorkasse verlangen und Lieferstopps verhängen. Nachsicht sei fehl am Platz, Vertrauen und über Jahre gewachsene Geschäftsbeziehungen hin oder her. Vor allem, wenn es der wichtigste Kunde ist.

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Ob Köster die erneute Rettung des Ladenbauers Berner gelingen kann? Bei so komplexen Lieferkettenproblemen sind Überraschungen jedenfalls nicht ausgeschlossen – positive wie negative.

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