Zähes Euro-Finanzministertreffen „Das liegt nicht am Video, sondern an schlechter Vorbereitung“

Aktuell die einzige Möglichkeit für Verhandlungen: Videokonferenzen. Quelle: dpa

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch tagten die Finanzminister der Eurozone 16 Stunden lang, ohne Durchbruch. Verhandlungsexperte Matthias Schranner über ergebnisorientierte Gespräche in Zeiten von Corona.

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Matthias Schranner (56) hat für Polizei und FBI mit Kidnappern und Geiselnehmern verhandelt. Der Verwaltungsjurist leitet das Schranner Negotiation Institute in Zürich und berät Kunden aus Wirtschaft und Politik aus 40 Ländern.

Herr Schranner, am heutigen Donnerstag sitzen sich die Finanzminister in einer Video-Schalte gegenüber und versuchen eine Lösung für die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu finden. Was verändert sich bei Verhandlungen durch den Einsatz von Technik?
Es ist eine ganz normale Verhandlung mit einem anderen Medium. Ich würde das Drama rausnehmen. Es gilt wie immer: Die Verhandlung muss top vorbereitet sein, man braucht eine klare Zielsetzung und eine klare Teamstruktur, einen klaren Prozess.

Politiker scheinen die Verhandlungen per Video vor Probleme zu stellen.
Für viele Politiker ist die Situation erst einmal ungewohnt, weil sie bisher selten mit Videokonferenzen konfrontiert waren. Unternehmen, die global arbeiten, haben schon viel Erfahrung mit dem Medium. Wer oft Videokonferenzen nutzt, bekommt Sicherheit darin.

Hat eine Videokonferenz Vorteile?
Ein großer Vorteil in der Videokonferenz ist die Zeit. Man diskutiert nicht immer im Kreis. Man lädt ein für eine bestimmte Zeit, und man ist eher dazu gezwungen, den Terminplan einzuhalten.

Bei den Politikern auf EU-Ebene sehen wir gerade das Gegenteil. Die Sitzungen dauern lang und enden ohne Ergebnis. Woran liegt das?
Meetings bis tief in die Nach ohne Ergebnis gab es ja früher auch schon. Das liegt nicht am Video, das liegt an der unprofessionellen Vorbereitung. Ich bin ein Gegner davon, dass man bis um drei in der Früh verhandelt. So etwas gibt es in der Wirtschaft nicht. Da ist man gezwungen, zu einem Ergebnis zu kommen. Da herrscht eine andere Dynamik.

Warum verhandeln Politiker bis in die frühen Morgenstunden?
Sie wollen den Wählern zu Hause zeigen, dass sie die ganze Nacht für sie gekämpft haben. Verhandlungstechnisch ist das altmodisch.

In der Eurogruppe müssen sich 19 Staaten verständigen, mehr Parteien als gewöhnlich in der Wirtschaft aufeinander treffen. Ist eine Einigung ohne Nachtsitzung zu schaffen?
Unbedingt! Ein solches Treffen wird ja von einer Arbeitsgruppe vorbereitet. Wenn die Entscheidungsträger in die Sitzung gehen, dann darf gar nicht mehr grundsätzlich verhandelt werden, da müssen Optionen auf dem Tisch liegen. Es kann nicht sein, dass man so lange diskutiert und zu keinem Ergebnis kommt.

In Brüssel verhandeln Finanzminister aus 19 Nationen. Spielen die unterschiedliche Kulturen eine Rolle bei der Video-Schalte?
Gerade italienische Verhandlungsführer legen Wert auf persönlichen Kontakt. Sie umarmen ihr Gegenüber, wollen erst einmal einen Espresso trinken. Das fällt weg. Aber auf dem Niveau, auf dem sich hochrangige Politiker treffen, gibt es ja doch ein gemeinsames Verständnis, wie eine Verhandlung zu laufen hat. Für mich sind kulturelle Unterschiede immer ein wenig eine Ausrede.
Verändert die Verhandlung per Videoschalte denn gar nichts?
Was fehlt ist das Vieraugengespräch, die Pause, in der man sich einen Kaffee holt, der Moment, in dem man den anderen fragt: „Du was machen wir denn jetzt?“

Diese Momente bringen oft den Durchbruch. Gibt es einen Ersatz?
Viele Verhandler, die Erfahrung mit Videokonferenzen haben, chatten nebenbei. Sie sagen offiziell, dass sie keine Möglichkeit für eine Einigung sehen. Und auf dem Chat bieten sie etwa einen Dreijahresvertrag statt eines Zweijahresvertrags als Kompromiss an.

Und das funktioniert in der Wirtschaft?
Die Chats dürfen natürlich nicht auf dem Server sein, so dass sie jemand nachverfolgen kann. Aber Entscheider in der Wirtschaft senden schon mal eine Nachricht auf dem privaten Whatsapp-Account oder auch auf LinkedIn.

Merkel hat beim jüngsten EU-Gipfel gesimst.
Das zeigt, dass man eine vertrauliche Ebene braucht. Damit kann man dann spielen. In der Videokonferenz würde man sagen: „Liebe Frau Dr. Merkel, da werden wir nicht weiter kommen.“ Auf WhatsApp schreibe ich dann: „Liebe Angela, was machen wir denn jetzt?“

Läuft das in der Wirtschaft so?
Dax-Unternehmen, die viel in China und den USA arbeiten, machen das schon lange so. Da gibt es nicht mehr das ewige Abstimmen über eine Vorzimmerdame und die Terminfindung über Assistenten.

Hinkt die Politik hinterher, weil bisher die Notwendigkeit zu Videokonferenzen fehlte?
Ja, und auch weil die Politik aus der Diplomatie kommt. Da ist ein wenig diese alte Welt im Spiel. Außerdem verhandelt bei der Politik die Öffentlichkeit mit. Man muss als Politiker dann ja zeigen, dass man sich einsetzt.

Werden die Video-Schalten nach dem Ende der Pandemie in vielen Bereichen beibehalten werden?
Nach Corona wird weniger gereist, weil die Leute jetzt sehen, dass man Dinge auch besprechen kann, ohne sich in den Flieger zu setzen. Es wird normal werden, per Video zu verhandeln. 90 bis 95 Prozent der Meetings wird man über Video machen können.

Brauchen Politiker Training im Verhandeln per Video?
Verhandlungsführung in der Politik müsste generell trainiert werden. Wir sehen, dass Business-Verhandlungen effizienter ablaufen, auch weil es mehr Zeitdruck gibt. Wenn sie in einem US-Unternehmen arbeiten, dann haben sie einen Quartalsbericht, dann brauchen sie eine Entscheidung. Die Diskussion, ob die Schulen nach Ostern aufmachen, wird ständig vertagt. So etwas gibt es in der Wirtschaft nicht, da wird zwischen Option A oder B entschieden. Aber immer wieder von vorne zu anzufangen, das macht niemand in der Wirtschaft.

Sind Politiker bereit, sich trainieren zu lassen für Verhandlungen?
Die Bereitschaft ist sehr wenig ausgeprägt. Viele Politiker haben ein ausgeprägtes Selbstverständnis nach dem Motto „Ich bin der geborene Superverhandler“. Bei Vorständen von großen Konzernen sehe ich das Gegenteil. Die sehen es als Stärke, in einem Bereich, in dem sie nicht so gut sind, einen Experten hinzuzuziehen.

Mehr zum Thema, welche Programme sich für Videokonferenzen lohnen, lesen Sie hier.

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