Dann müssen sie ihre Welt aber sehr bewusst gestalten und weit mehr bieten als stimmige Produkte?
Richtig, das ist mit das Interessanteste, was zurzeit zu beobachten ist: Viele Marken haben sich vom konkreten Produkt gelöst und weisen viel stärker auf die Firma hin, die diese Marke repräsentiert. Als Folge muss die Firma sich und ihren Kunden erklären, wo sie gesellschaftlich steht. Welchen Nutzen habe ich als Kunde und Bürger davon, dass es Beiersdorf gibt, welchen Nutzen habe ich von Amazon mit seinen unterschiedlichen Angeboten? Oder im negativen Fall – wie problematisch ist BP seit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko für mich?
Seit wann denkt der Verbraucher denn so?
Das hängt stark mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre zusammen. Vor zehn Jahren wurde der Euro eingeführt. Die EU-Staaten gaben für ihn einen Teil ihrer Autonomie ab. Hauptargument für den Euro war eine höhere Stabilität. Zehn Jahre später opfern Staaten ihre eigenen Rentenrücklagen, um den Euro zu stabilisieren. Das hinterlässt massiv Spuren beim Verbraucher.
Welche?
Unsicherheit ist das prägende Gefühl, das schürt Argwohn gegenüber Verlautbarungen aus der Politik wie auch aus der Wirtschaft. Institutionen werden nicht mehr per se respektiert. Das hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre massiv verändert. Waren es damals nur radikale Minderheiten, die vieles infrage gestellt haben, erleben wir heute einen latenten sozialen Jähzorn, der sich punktuell entlädt, wenn beispielsweise im Internet Meinungslawinen entstehen wie die Shit-storms oder in der wirklichen Welt in Protesten wie in Stuttgart.
Was heißt das für Marken?
Marken müssen sich diesen Herausforderungen und den Veränderungen in der Gesellschaft stellen. Das gilt auch im globalen Maßstab – denken Sie an Apple und Foxconn. Plötzlich werden weltweit Vorkommnisse markenabwertend kritisiert, die bei Zulieferern passieren. Oder denken Sie an die Brände in den Textilfabriken in Bangladesch, das bekommen konkrete Marken zu spüren.
Inwiefern verändert dieser neue Konsument auch die Werbung von und für Marken?
Werbung reagiert bereits auf den neuen Konsumenten. Einerseits erzählt sie noch Märchen, sie baut noch Welten, in denen sich Kunden wohlfühlen und von Produkten träumen. Andererseits ist in den sozialen Netzwerken wie Facebook ein völlig neues Feld entstanden, auf dem Marken direkt mit Endverbrauchern kommunizieren. Marken verhalten sich seitdem mehr und mehr wie Medienhäuser, indem sie Inhalte schaffen. Nehmen wir Red Bull: Die machen nicht Brause, Red Bull ist ein Medienhaus. Ähnliches gilt für Hugo Boss oder auch Coca-Cola. Marken suchen heute das Gespräch und das Feedback mit dem Endkunden.
Damit gehen sie auch das Risiko ein, dass der Kunde sie komplett durchschaut. Wie konsistent können denn dann Markenimages überhaupt noch sein?
Genau die Frage wirft die Marken zurück auf ihre Unternehmen. Hier muss Substanz vorhanden sein, die eine Marke glaubwürdig macht. Der Kunde will wissen, wer steht hinter dieser Marke. Wofür steht diese Marke innerhalb der Gesellschaft und wie passt sie zu meiner Vorstellung von einem Leben, wie ich es führen möchte? Getrieben wird das von dem Wunsch der Kunden, trotz oder gerade wegen des sich ständig ausweitenden Angebots bestimmte Marken kontinuierlich zu kaufen. Wird der erfüllt, sorgt das für eine sehr erwünschte Stabilität.
Ändert sich damit der Ton der Werbung?
Angesagt ist nicht mehr Glamour und Bling-Bling. Auch Ironie ist nicht mehr gefragt, sondern das Authentische, echte Geschichten, echte Menschen. Die Comedy-Phase ist vorbei. Es geht jetzt und auch in der nächsten Zeit vor allem darum, in der Kommunikation ehrliche Gefühle zu zeigen, ehrliches Vertrauen zu stiften – und Marken ehrlich zu führen.