Herr Professor Schmid, Ihr Buch umfasst gerade mal 120 Seiten, man kann es bequem an einem Nachmittag lesen. Hängt die Kürze des Buchs mit Ihrem Thema zusammen?
Sie hängt vor allem mit unserer Lebenszeit zusammen. Ich begegne immer häufiger Menschen, die mir sagen: „Ich habe nicht genügend Zeit, um eine Woche lang ein Buch zu lesen.“ Und das nehme ich ernst. Auch ich muss mir meine Zeit zusammensuchen für die Lektüre. Insofern komme ich gern den Menschen entgegen, die immer weniger Zeit haben, aber dennoch etwas Interessantes lesen wollen. Da ich schon mehrere so kleine Bücher gemacht habe, bin ich – so glaube ich jedenfalls - einigermaßen geübt darin, auf wenigen Seiten etwas Substanzielles bieten zu können.
Ihr Buch ist also auch eine Frucht der Erfahrung, der späten Jahre?
Ja, natürlich. Ich hätte dieses Buch nicht mit vierzig Jahren schreiben können. Auch nicht ohne den Hintergrund der dicken Bücher, über die ich jahrelang gebrütet habe. Erst jetzt traue ich mir zu, knapper und viel einfacher zu schreiben.
Zur Person
Wilhelm Schmid, geboren 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Im März erschien sein neues Buch „Gelassenheit: Was wir gewinnen, wenn wir älter werden“, das seit Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste steht.
Ihr Thema ist die Gelassenheit im Alter: Kann man Gelassenheit wirklich anstreben oder ist sie einem nicht mehr oder weniger gegeben als Charaktermitgift?
Sicher, manche bekommen das mit den Genen oder dem Familienumfeld mit. Andere können es sich erarbeiten. Vorausgesetzt, Gelassenheit erscheint ihnen erstrebenswert.
Wie ist es bei Ihnen?
Ich bin nicht gelassen, aber ich strebe Gelassenheit an. Der Anlass meines Buchs war die Hoffnung, selbst gelassener zu werden. Denn mein 60. Geburtstag hat mich ungelassen werden lassen. Ich bin in eine tiefe Unruhe geraten, wie ich sie lang nicht mehr erlebt habe. Nicht für einen Tag, sondern für mehrere Wochen. Und das hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich fragte mich, wie ich wieder herausfinde aus diesem traurigen Zustand.
Dass Ihnen das mit Sechzig passiert ist, ist sicher kein Zufall.
Nein, mir ist schlagartig klar geworden, obwohl ich das theoretisch lang schon wusste, dass die Lebenszeit nun überschaubar geworden war. Dass der Tod näher rückte. Dass ich mir Rechenschaft darüber geben musste, wieviel Zeit mir mutmaßlich bleibt für das, was ich noch vorhabe und realisieren möchte.
Nicht nur der Berufs-, sondern auch der Lebenshorizont wird mit Sechzig deutlich sichtbar?
So unterschiedlich reagieren wir auf Stress
Stressforscher schätzen, dass Stressanfälligkeit zu 30 Prozent genetisch bedingt ist.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Frauen, die während der Schwangerschaft hohe Cortisolwerte aufweisen, bekommen stressanfälligere Babys.
Traumatische Erlebnisse in den ersten sieben Lebensjahren, der Zeit der Entwicklung der Identität, können lebenslänglich stressanfälliger machen.
Erfolgsorientierte, ehrgeizige, sehr engagierte, ungeduldige und unruhige Menschen sind besonders stressanfällig.
Feindseligkeit, Zynismus, Wut, Reizbarkeit und Misstrauen erhöhen das Infarktrisiko um 250 Prozent. Humor hingegen zieht dem Stress den Stachel. Eine Studie an 300 Harvard-Absolventen zeigte: Menschen mit ausgeprägtem Sinn für Humor bewältigen Stress besser.
Der wichtigste Faktor, der über Stressanfälligkeit bestimmt, ist die Kontrolle über das eigene Tun. Je mehr man den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist, desto höher das Infarktrisiko.
Wer für seine Arbeit Anerkennung in Form von Lob oder einem angemessenen Gehalt bekommt, verfügt über eine bessere Stressresistenz.
Wer eine gute Stellung in der Gesellschaft hat, verfügt auch über einen Panzer gegen Stress. Das ist auch bei Pavianen zu beobachten: Gerät das Leittier durch einen Konkurrenten in eine Stresssituation, schnellt der Cortisolspiegel hoch, normalisiert sich aber rasch wieder. Bei den Rangniedrigeren ist der Cortisolspiegel ständig erhöht.
Einer der stärksten Stresskiller ist das Gebet. Studien belegen: Der Glaube an eine höhere Macht, die das Schicksal zum Guten wenden wird, beugt vielen Krankheiten vor.
Das fällt bei mir zusammen. Ich bin Philosoph, und der geht nicht in den Ruhestand.
Ist Gelassenheit eine Frage der Selbstdisziplin?
Wenn sie nicht schon gegeben ist, ist sie eine Frage der Übung. Vieles können Menschen sich erwerben durch Übung, auch Gelassenheit. In meinem Buch schlage ich zehn Übungen vor, die aus dem alltäglichen, praktischen Leben genommen sind, also leicht fallen können. Aber um gleich einem Missverständnis vorzubeugen, das sich auch bei anderer Gelegenheit gezeigt hat: Ich mache nur Vorschläge und gebe Anregungen, immer vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen. Ich sage niemandem, was er zu tun habe, ich will niemanden überzeugen.
Warum nicht?
Weil ich das nicht kann. Ich weiß ja gerade mal mit knapper Not, was ich zu tun habe. Andere sind in einer ganz anderen Situation, die ich in der Regel nicht kenne. Außerdem ist ein Philosoph kein Papst, der anderen Menschen sagt, was sie tun oder lassen sollen, sogar der gegenwärtige Papst nimmt ja Abstand davon. Philosophie ist nicht dazu da, Wahrheiten zu verkünden, sondern auf der Suche nach der Wahrheit zu sein, das steckt schon im Begriff Philosophie.