Die Aussicht auf Neuwahlen im Bund hat die Anleger in Europa am Montag wenig verschreckt. Dax und EuroStoxx50 drehten nach anfänglichen Verlusten zeitweise ins Plus und notierten am späten Vormittag jeweils etwa 0,2 Prozent im Minus bei 12.957 und 3541 Punkten. Der Euro kostete mit 1,1798 Dollar wieder ungefähr so viel wie unmittelbar vor Abbruch der Gespräche über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen.
"Wir erwarten nicht, dass es zu einer veritablen politischen Krise beziehungsweise zu einem nachhaltigen Kurswechsel in der deutschen Politik kommt", sagte Volkswirt Jan Bottermann von der Essener National-Bank. "Für die Märkte maßgeblich ist das gute internationale Umfeld, das der deutschen Wirtschaft auch weiterhin ein kräftiges Wachstum bescheren wird."
Für den Aktienhändler Markus Huber vom Brokerhaus City of London wären Neuwahlen zudem nicht zwingend negativ. "Die Chancen stehen gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ein besseres Ergebnis erzielt, da die deutsche Wirtschaft seit der Wahl im September so stark boomt wie seit Jahren nicht mehr."
Jamaika gescheitert: Drei Szenarien möglich
Eine schwarz-rote Koalition ist rechnerisch möglich. Theoretisch könnten CDU, CSU und SPD also Verhandlungen aufnehmen. Die SPD ist aber nicht bereit für eine Neuauflage der „GroKo“. Am vergangenen Freitag schloss die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles eine große Koalition erneut aus. Auch Parteichef Martin Schulz sieht die SPD nur in der Opposition.
Fazit: nahezu ausgeschlossen
Einer möglichen Koalition aus CDU/CSU und FDP fehlen 29 Sitze zur Mehrheit im Bundestag. Schwarz-Gelb müsste also bei Abstimmungen auf Stimmen aus den anderen Fraktionen hoffen. Das Gleiche gilt für Schwarz-Grün; hier fehlen 42 Sitze zur Mehrheit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist jedoch keine Freundin wechselnder, unsicherer Mehrheiten. Eine Minderheitsregierung hat es nach einer Bundestagswahl auch noch nie gegeben, eben weil sie so riskant ist.
Fazit: unwahrscheinlich
Der Weg zu einer Neuwahl ist verschlungen - weil es die Verfassung so will. Vor eine Neuwahl unter den aktuellen Umständen hat das Grundgesetz nämlich die Kanzlerwahl gestellt.
Der Bundespräsident muss zunächst jemanden für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Diese Person wird Kanzler(-in), wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages für sie stimmen („Kanzlermehrheit“). Bisher wurden alle Kanzler der Bundesrepublik in diesem ersten Wahlgang gewählt.
Findet der Vorschlag des Bundespräsidenten keine Mehrheit, beginnt die zweite Wahlphase. Der Bundestag hat jetzt zwei Wochen Zeit, sich mit absoluter Mehrheit auf einen Kanzler zu einigen. Die Zahl der Wahlgänge ist nicht begrenzt, ebenso wenig die Zahl der Kandidaten. Dem Bundestag steht es also frei, die zwei Wochen ungenutzt verstreichen lassen - oder etwa fünfzehn Mal zu versuchen, einen Kandidaten zu wählen.
Kommt auch in diesen zwei Wochen keine Kanzlermehrheit zustande, beginnt die dritte Wahlphase. In diesem letzten Wahlgang reicht schon die relative Mehrheit. Gewählt ist also, wer von allen Kandidaten die meisten Stimmen gewinnt.
Nun muss wieder der Bundespräsident handeln. Wird jemand nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident sie zur Kanzlerin oder ihn zum Kanzler einer Minderheitsregierung ernennen - er kann aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.
Fazit: wahrscheinlich
Bei RWE löste das Aus für die Jamaika-Verhandlungen eine Erleichterungsrally aus. Dadurch verzögere sich die geplante Stilllegung von Kohlekraftwerken, sagte ein Börsianer. Gleichzeitig werde der Ausbau der Erneuerbaren Energien langsamer vorankommen. Der Versorger RWE produziert in Deutschland rund 60 Prozent seines Stroms in Kohle-Kraftwerken. Am Montag gewannen die Titel 3,1 Prozent. Der Windkraftanlagen-Bauer Nordex rutschte dagegen um 2,8 Prozent ab. Der Solarindustrie-Zulieferer SMA Solar büßte 3,4 Prozent ein.
Spitzenreiter im Dax war ProSiebenSat.1 mit einem Kursplus von 3,6 Prozent. Auslöser der Rally sei der angekündigte Abgang des Firmenchefs Thomas Ebeling, schrieb Analyst Markus Friebel von Independent Research. "Zwar hat Ebeling ProSiebenSat.1 aus der schwersten Krise des Konzerns geführt, allerdings bekommt das Unternehmen seit 2016 immer mehr Schwierigkeiten. Zudem hat sich Ebeling mit einer abschätzigen Bemerkung über die TV-Zuschauer unhaltbar gemacht."
In Amsterdam legten die Aktien von Altice zeitweise sogar 13 Prozent zu und machten damit ihr Minus vom Freitag mehr als wett. Der niederländische Telekom- und Kabelkonzern erteilte Spekulationen um eine bevorstehende Kapitalerhöhung eine Absage. Außerdem dementierte er Gerüchte um Kreditprobleme. Das Unternehmen wolle seinen Schuldenberg durch Anteilsverkäufe abbauen. Durch Übernahmen in den USA und Europa hat Altice Verbindlichkeiten von knapp 50 Milliarden Euro aufgehäuft.