Natürlich, für Börsenchef Kengeter gilt die Unschuldsvermutung. Auch, wenn die Frankfurter Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Insiderhandel gegen ihn ermittelt. Auch, wenn die Behörde seine private Wohnung und die Konzernzentrale in Eschborn durchsucht hat.
Sollte es allerdings stimmen, was der „Spiegel“ jetzt schreibt, dann muss Kengeter zurücktreten. Denn dem Magazin zufolge soll er die Regierung schon im November 2015 über Fusionspläne mit der Londoner Börse informiert haben. Und zwar soll er im Bundeskanzleramt mit Lars-Hendrik Röller, dem Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, über eine mögliche Fusion mit der London Stock Exchange (LSE) gesprochen haben. Er hat dort offenbar vorgefühlt, ob die Bundesregierung etwas gegen einen Zusammenschluss mit der Börse London hätte. Kengeter soll dort laut „Spiegel“ gesagt haben, dass man sich mit der LSE „im Grundsatz einig“ sei. Allerdings werde die britische Regierung nur zustimmen, wenn der Sitz der fusionierten Börse in London angesiedelt werde. Röller soll demnach signalisiert haben, dass man dem Deal wohlwollend gegenüberstehe, wenn das Finanzministerium mit einem Sitz in London leben könne. Ein Regierungssprecher sagte dem Spiegel dazu, der Berater der Bundeskanzlerin führe „zahlreiche Gespräche mit Wirtschaftsvertretern. Zu einzelnen konkreten Terminen wird aber grundsätzlich keine Auskunft gegeben".
Pikant: Kurz darauf, am 14. Dezember 2015, kaufte Kengeter dann Aktien der Deutschen Börse. Wert: 4,5 Millionen Euro. Fest steht: Aktien im gleichen Wert schenkte ihm die Börse zum Dank obendrauf.
Ein Sprecher der Deutschen Börse wollte die Meldung nicht kommentieren, verwies aber auf die bisherige Darstellung, dass man sich erst in der zweiten Januarhälfte 2016 gemeinsam mit der Börse London darauf verständigt habe, Verhandlungen über eine Fusion zwischen LSE und Deutscher Börse zu beginnen.
Es wird für Kengeter so oder so eng
Unabhängig von dem möglichen Vorsprechen im Kanzleramt – es wird eng für Kengeter. Denn die Staatsanwaltschaft prüft nun auch, ob die Börse ihre Ad-hoc-Meldung zur Fusion am 23. Februar 2016 rechtzeitig veröffentlicht hat. Mit solchen Meldungen müssen Unternehmen kursbewegende Nachrichten sofort vermelden. Im Kern geht es bei der Pflicht, etwas ad-hoc zu melden, auch um Insiderinformationen. Hat ein Unternehmen eine solche Insiderinformation, die den Kurs stark bewegen kann, muss es sie veröffentlichen. Alle Anleger sollen die gleichen Informationen haben – das soll Insiderhandel unterbinden. Veröffentlicht der Vorstand Insiderinformationen zu spät, drohen ihm Ermittlungen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation.
Börsenchef Kengeter in Schwierigkeiten
Milliardenschwere Übernahmen, Umbau des Vorstands und die geplante Fusion mit der London Stock Exchange (LSE): Der Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, hat seit seinem Amtsantritt am 1. Juni 2015 ein hohes Tempo vorgelegt. Doch Anfang 2017 hat das Image des tatendurstigen Managers Kratzer bekommen. Der 50-jährige frühere Investmentbanker ist wegen des Verdachts des Insiderhandels ins Visier der Frankfurter Staatsanwaltschaft geraten.
Kaum im Amt als Vorstandschef bei der Deutschen Börse, zieht der Manager im Sommer 2015 zwei Übernahmen für mehr als 1,3 Milliarden Euro durch - die Devisenhandelsplattform 360T und das Indexgeschäft von Stoxx. Er krempelt den Vorstand um und gibt dem Aktienhandel wieder stärkeres Gewicht.
Sein Ziel: „Die Gruppe Deutsche Börse dorthin zu führen, wo sie hingehört - an die Weltspitze.“ Kengeter untermauert seinen Anspruch mit Fakten: Am 23. Februar 2016 werden die Fusionspläne mit London gekannt gegeben. „Größe ist in unserer Branche das A und O“, wirbt der gebürtige Heilbronner, dessen Familie in London lebt, für den Zusammenschluss.
Praktisch sein gesamtes Berufsleben arbeitete der studierte Betriebswirt als Kapitalmarktexperte bei internationalen Großbanken: Barclays, Goldman Sachs und schließlich bei der UBS, wo er als oberster Investmentbanker in die Konzernleitung aufstieg. 2013 verlässt der Vater von drei Kindern, der gerne Berg-Marathon läuft, die Schweizer Großbank.
Im Herbst 2014 präsentiert die Deutsche Börse Kengeter als Nachfolger von Reto Francioni. Als „prächtigen Fang“ für den Dax-Konzern bezeichnete die „Börsen-Zeitung“ den Manager vorab. Als Chef der neuen europäischen Mega-Börse hätte Kengeter mehr Zeit in London verbringen können, dort sollte der rechtliche Sitz der Dachgesellschaft des fusionierten Unternehmens sein. Aber die Fusion platzte endgültig nach dem Veto der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Ende März 2017.
Am 26. Oktober 2017 gab er seinen Rücktritt bekannt. Zum 31. Dezember 2017 verlässt Kengeter das Unternehmen.
Noch mal der Reihe nach: Im November 2015 soll Kengeter beim Kanzleramt vorgefühlt haben. Im Dezember 2015 hat er Aktien gekauft, im Januar 2016 hat seine Börse dann offiziell Gespräche aufgenommen und im Februar 2016 kam nach einem Informationsleck das Eingeständnis per ad-hoc: Ja, es gibt Verhandlungen mit London.
Es droht noch ein Verfahren wegen des Verdachts auf Marktmanipulation
Dass die Staatsanwaltschaft auch ein Verfahren wegen Marktmanipulation gegen Kengeter (und im schlimmsten Fall den gesamten damaligen Vorstand eröffnet), wäre daher plausibel. Denn die Behörde hat selbst schon mitgeteilt, dass man bei der Börse schon seit Sommer 2015 in Gesprächen über eine Fusion mit London gewesen sei. Die Fahnder werten die „bis dato nicht veröffentlichten Vertragsgespräche“ als geheime Insiderinformation und verfolgen Kengeter daher nun wegen seiner Aktienkäufe im Dezember. Und Dezember 2015 liegt im Kalender vor Februar 2016.
Ein Börsenkonzern, der von seiner Aufsicht in Wiesbaden die Erlaubnis bekommen hat, öffentlich-rechtliche Börsen zu betreiben, kann sich so einen Chef nicht erlauben. Zumal Kengeter Chef der fusionierten Superbörse werden soll. Möchte er mit seinem Rücktritt warten, bis feststeht, ob er angeklagt wird? Oder würde er erst gehen, wenn er verurteilt ist?
Was Kengeter nicht unterschätzen darf: Die Deutsche Börse ist kein normales Unternehmen, in dem man lange auf die Unschuldsvermutung pochen kann. Sie hat einen öffentlich-rechtlichen Kern und sie ist hochpolitisch. Und alle Beschäftigten in einem Unternehmen, das faktisch den Kapitalmarkt verkörpert, sollten dessen Regeln besonders streng auslegen – zuvorderst aber deren Chef. Der darf nicht nur nicht gegen Gesetze verstoßen, sondern sollte sich auch aus jeder rechtlichen Grauzone raushalten. Kengeter sollte den Weg daher frei machen - und sein Aufsichtsratschef Joachim Faber, der das Aktienpaket für ihn schnürte, am besten gleich mit.