
Die jüngsten Vorfälle bei Volkswagen und die Schlagzeilen rund um die Fifa und das Fußballgeschäft sind nur einige Beispiele, die deutlich machen, wie wichtig das Thema Business-Ethik ist. Im Zentrum der Kritik steht die ethische Gesinnung der Führungsverantwortlichen. Wenn die Defizite und Katastrophen zu Tage treten, wird schnell auf die Mängel des Systems oder der Organisationsstruktur verwiesen. Aus meiner Sicht ist dies ein großer Irrtum. Auch die Einrichtung eines speziellen Vorstandsressorts bei VW ist die nicht die Lösung. Das Versagen liegt immer bei dem einzelnen Menschen, nicht im System. Systeme und Organisationen sind keine eigenständigen Gebilde, sondern bestehen aus Menschen. Worauf es ankommt ist: Zivilcourage.
Aufgerüttelt durch die Ereignisse dieser Tage, musste ich sofort an einen spektakulären Fall von unethischem Verhalten einerseits und Zivilcourage andererseits denken: Credit Suisse und Swissair gegen Christopher Chandiramani. Ein Fall, der zwar schon 15 Jahre zurückliegt, aber nicht in Vergessenheit geraten sollte, weil er ein Paradebeispiel und Lehrexempel ist, das den derzeit involvierten und verstrickten Managern Mut machen sollte.





Ich schätze mich glücklich, dass ich Herrn Chandiramani in Zürich im Jahre 2002 kennenlernen durfte. Er war im Juli 2000 nach fast 20-jähriger Tätigkeit als Analyst und Fondsmanager bei der Credit Suisse Gruppe entlassen worden. Grund für seine Entlassung war sein Mut, gegen den Willen seiner Vorgesetzten, eine negative Einschätzung zur Substanz und Integrität der Swissair (die damalige „SairGroup“) zu veröffentlichen. Die Bank und die Airline waren damals durch Geschäftsleitung und Verwaltungsrat miteinander verbandelt. Um den Gerüchten mancher Pressestimmen entgegen zu treten, wollten sie Herrn Chandiramani einen Maulkorb verpassen. Sie entschlossen sich, ihn vor die Tür zu setzen.
Im Frühjahr 2001 ging Christopher Chandiramani in Zürich vor Gericht. Er hat Recht behalten. Gut sechs Monate später blieben die Flugzeuge am Boden, die Swissair ging spektakulär Konkurs. Die Ikone der Schweizer Wirtschaft war Pleite. Sogar die Auffanggesellschaft, die „Swiss“ wurde zwei Jahre später an die Lufthansa billigst abgegeben. Eine Blamage für die Züricher Wirtschaftselite. Chandiramani hatte ins Schwarze getroffen. Bilanztrickserei, Finanzakrobatik und verfehlte Akquisitionen hatten schließlich ein böses Ende gefunden.





Ich habe stets den Kontakt zu diesem mutigen Mann gehalten. Herr Chandiramani berichtet mir, dass seine Gerichtsverhandlung damals in der Schweiz der größte Arbeitsgerichtsprozess mit der meisten öffentlichen Beachtung war, wie der vorsitzende Richter ihm versicherte. Es kam zu beinahe täglicher Berichterstattung. Überraschend wohlgesinnt waren die Medien, die ihm den Rücken stärkten. Vor dem Arbeitsgericht erschienen sogar Fernsehstationen und 20 bis 30 Medienschaffende, um ihn zu unterstützen.
Anders ging es dagegen innerhalb der Credit Suisse zu. Herr Chandiramani berichtete mir: „Zunächst hielt keine einzige Person von der Bank zu mir. Alle hatten Angst, erst später kontaktierten mich Einzelne. Offenbar wurden die Leute gewarnt, mit mir in Kontakt zu treten“. Keiner seiner Kollegen oder Vorgesetzten hat es gewagt, sich öffentlich für ihn und seine Sache einzusetzen. Auch in der Anwaltsszene stieß er auf Widerstand. Die erste Anwaltskanzlei legte das Mandat nieder mit der Bitte um Verständnis, aus Angst vor einem Boykott durch Großbanken. Erst ein unabhängiger Anwalt, ein Bekannter aus der Militärdienstzeit, zog den Prozess für Chandiramani durch. Mein Freund erinnert sich: „Es gab mehrere Gerichtssitzungen. Der Prozess zog sich zwei Monate hin. Die Bank blieb stur. Erst auf Druck des Gerichts gegen die Bank einigte man sich auf eine Abfindung in Höhe eines Jahresgehalts“.
Befragt, was er aus heutiger Sicht jemandem in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg geben würde, sagt Christopher Chandiramani: „Auf jeden Fall ist das ein Einschnitt ins Leben und in die Berufsentwicklung, ein persönliches Erdbeben. Besonders wenn man für „gute Arbeit“ entlassen wird“. Ohne Zweifel ein harter Weg.
Insgesamt fühlt sich Herr Chandiramani heute gestärkt. Ihm gelang es, ein neues Leben aufzubauen. Er ist heute vorwiegend in der Schweizer Politik mit seinem Finanz Know-how als Parlamentarier tätig.
Ich habe bewusst diesen Fall etwas detaillierter aufgezeigt. Es ist gut zu wissen, was auf einen zukommen kann. Denn ich weiß, auch im Volkswagen Konzern und in den Fußballverbänden sind aufrichtige und anständige Menschen tätig. Vielleicht ermutigt es den einen oder anderen über das Thema Zivilcourage nachzudenken. Es ist auf Dauer besser, morgens mit Freude in den Spiegel zu schauen. Ich weiß, es lohnt sich. Nur Mut. Mein Freund Christopher Chandiramani, heute 58 Jahre alt, Schweizer Bürger in Rapperswil, er hatte ihn.
In diesem Sinne auf in eine starke Woche,
Ihr Markus Elsässer