Neues Jahr, neues Glück – so musste man denken, wenn man zum Jahresende die diversen Vorhersagen für Dollar, Dax und Zinsen gelesen hatte. Nun: es kam – zumindest in der ersten Woche des neuen Jahres – anders. Kann man denn überhaupt seriöser Weise die Entwicklung an den Börsen auf einen Zeithorizont von zwölf Monaten vorhersagen, womöglich noch auf einen Stichtag genau? Aus Gründen des Marketings empfiehlt es sich wohl, besonders drastische Prognosen abzugeben. Damit findet man sich überall zitiert und der Schaden einer Fehlprognose hält sich auch in Grenzen, kann man doch getrost davon ausgehen, dass diese schon in wenigen Wochen wieder vergessen sind. Will man auf Nummer sicher gehen, ist man übertrieben optimistisch. Rein psychologisch vergeben wir doch jenen am ehesten, deren Prognosen wir am liebsten realisiert sehen würden. Demnach also mein Kursziel für den Dax: 20.000 Punkte zum Ende des Jahres 2016. Alles wird gut und die Wirtschaft brummt.
Im Ernst: Glauben Sie kein Wort! Lassen Sie uns lieber den Blick auf den Horizont 2026 richten. Denn auf lange Sicht gelten die altbekannten Grundsätze: Die Ertragskraft von Unternehmen und die Bewertung dieser Erträge an den Börsen nähern sich über die Zeit ihren langfristigen Durchschnittswerten an, die Börsianer sprechen von der "mean reversion". Dabei kann es durchaus eine Zeit dauern, bis diese Anpassung erfolgt, innerhalb von zehn Jahren ist sie allerdings ziemlich sicher.
Zum Autor
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erscheint sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
So konnte man bereits im Jahre 1997 eine erhebliche Überbewertung am US-Aktienmarkt feststellen, dennoch ging der Boom sich immer weiter beschleunigend noch bis ins Frühjahr 2000 weiter. Wer basierend auf der durchaus korrekten Analyse der Überbewertung der Aktien schon damals verkaufte, verpasste den schönsten Teil der Party und stand vor Kollegen und Freunden, die derweil reich wurden, ziemlich dumm da. Am besten fuhren natürlich jene, die im Januar 2000 verkauften, auf fallende Kurse setzten und dann 2003 wieder einstiegen, um 2007 wieder zu verkaufen und 2009 wieder zu kaufen. Klar, kann sein, dass es die gibt. Die Masse der Anleger ist schlecht im Timing der Märkte und kauft und verkauft immer zu spät. Rechnet man die Transaktionskosten hinzu, bleibt meist nur ein geringer Ertrag.
Vernünftiger ist es aus Sicht der Investoren allemal, auf die mittel- und langfristigen Erträge zu achten. Und hier ist die Aussage eindeutig: im Einkauf liegt der Gewinn. Die Wahrscheinlichkeit einen guten Ertrag zu erwirtschaften ist umso höher, je günstiger man einkauft und umgekehrt. Diese Erkenntnis ist banal und dennoch wird sie nur zu gerne verdrängt. Wer in früheren Perioden bei einem Shiller-PE von über 25 im S&P 500 investierte, erzielte in den nachfolgenden zehn Jahren im Durchschnitt eine Rendite von 3,4 Prozent.
Dass der US-Markt heute wieder – gemessen am genannten Shiller-PE – auf einem solch hohen Niveau steht und zudem 2015 nur von einer Handvoll Aktien gezogen wurde, deren Bewertung jetzt exorbitant ist, sollte zur Vorsicht mahnen. Nicht nur die Bewertung des US-Marktes ist auf einem hohen Niveau, sondern auch die Erträge der Unternehmen. Sinkt beides sind signifikant tiefere Kurse die zwangsläufige Folge.
Deutsche Aktien sind verglichen mit der Wall Street noch günstiger, wobei auch hier Vorsicht angebracht ist. Rechnet man die tief bewerteten Versorger heraus, sind auch hiesige Werte im Schnitt nicht mehr so billig wie die Durchschnittswerte suggerieren.
Zudem sind die Risiken in Europa keineswegs geringer. Eurokrise, Flüchtlingskrise und eine zunehmend dysfunktionale EU versprechen hohe Volatilität und nicht unbedingt höhere Kurse. Von exogenen Schocks wie etwa Terroranschlägen oder Konflikten zwischen Staaten gar nicht zu reden.