Im Technologiesektor wimmelt es von einst wachstumsstarken Vorreiterunternehmen, die inzwischen ein Schattendasein fristen - Nokia ist das bekannteste Beispiel. Softwareanbieter Adobe Systems will diesem Schicksal entgehen und hat deshalb sein Geschäftsmodell in den vergangenen drei Jahren auf Vordermann gebracht. Andere Softwareanbieter zauderten beim Cloud Computing, bei dem Kunden Software nicht mehr kaufen, sondern über das Internet – aus der Datenwolke heraus – mieten.
Adobe aber nahm die Herausforderung an, zog beim Verkaufsschlager Fertigsoftware einfach den Stecker und setzte damit die Kontakte zu 12,8 Millionen Kunden aufs Spiel. Beliebte Tools wie Photoshop, Illustrator und InDesign wurden neu verpackt und werden den Kunden nun im Rahmen eines Cloud-basierten monatlichen Creative-Cloud-Abos angeboten.
Mit voller Kraft in die Cloud
Der Umstieg war schmerzlich. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Software fielen aus, und die monatlichen Abo-Gebühren flossen zunächst nur tröpfchenweise. Im Vorjahr musste das Unternehmen einen Gewinneinbruch von 42 Prozent verkraften; auch für das laufende Geschäftsjahr, das Ende November schließt, wird mit einem Rückgang von 9,5 Prozent gerechnet. Aber langsam legt sich der Schmerz. Der Umsatz stabilisiert sich, und die Wall Street, die bei Mitbewerbern wie Microsoft nach wie vor große Skepsis an den Tag legt, applaudiert: Der Kurs der Adobe-Aktie hat in den vergangenen zwei Jahren 130 Prozent zugelegt. Derzeit notiert sie bei 70 Dollar. Sie könnte weitere 20 Prozent klettern, sobald Adobe seinen neuen Auftritt präsentiert hat.
Die Investorenbasis formiert sich neu. In der Vergangenheit war Adobe ein beliebtes Ziel kurzfristiger Investoren, die mit jedem neuen Software-Upgrade ein- und dann bald wieder ausstiegen. „Wir bekommen Anrufe von Anlegern, die ihre Portfolios überarbeiten und Fragen zu den Geschäftsjahren 2017 und 2018 stellen; für uns ist das sehr ermutigend, denn früher interessierten sie sich immer nur für das nächste Quartal“, sagt Mark Garrett, der Finanzchef von Adobe.
In der ersten Zeit der Umstellung befürchteten Skeptiker, Adobe würde für seine Creative Cloud nicht so leicht Kunden finden. Aber die Markteinführung übertraf die optimistischsten Erwartungen. Im letzten Quartal verbuchte Adobe 464 000 Neuabonnenten, 13 Prozent mehr, als Analysten erwartet hatten. Unternehmensprognosen zufolge wird Adobe bis Ende des Jahres 3,3 Millionen Abonnenten haben; schon 2015 soll die Zahl auf vier Millionen steigen. Die zusätzlichen Kosten, die ein Abo verursacht, sind minimal, daher gehen Abo-Einnahmen großteils direkt in den Gewinn.
Bisher konnten die Kunden den Kauf einer neuen Version der Adobe-Software immer wieder mal auslassen. Mit dem neuen Abo-Modell ist das nicht mehr möglich. Laut Adobe arbeiten rund 90 Prozent der kreativen Profis nach wie vor mit Photoshop – mit anderen Worten: Adobe hat sie am Angelhaken. „Nach der Übergangsphase ist Adobe ein Unternehmen mit hohen und stetig wachsenden, regelmäßigen Umsätzen und einer stabileren Gewinnlage, die sich nach und nach in höheren Bewertungen zeigen dürfte“, meint Paul Meeks, Portfolio-Manager beim Sextant Growth Fund, der die Aktie selbst im Portfolio hat.
Teuer nur auf den ersten Blick
Die Adobe-Aktie notiert mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 59 auf Basis des für das Geschäftsjahr 2014 erwarteten Gewinns und immer noch zum 35-Fachen des für 2015 prognostizierten Gewinns.
Klingt teuer, aber Adobe ist im Wesentlichen ein völlig neues Unternehmen, das die Wall Street erst mal richtig einordnen muss. Adobe sollte statt mit klassischen Softwareanbietern eher mit den Senkrechtstartern im Cloud-Geschäft verglichen werden. Diese, allen voran Salesforce.com, sind noch viel teurer. Salesforce hat zuletzt die Customer-Relationship-Software (Software zum Managen von Kundenbeziehungen) revolutioniert und wird derzeit auf Basis der Gewinnerwartung für 2015 mit einem KGV von 114 gehandelt.