Börsenstrategie Die Mär vom prognosefreien Investieren

Prognosen scheinen bei der Geldanlage überholt zu sein. Time statt Timing predigen Anlageberater – also: kaufen und liegenlassen. Doch das Risiko ist dabei groß. Ohne Prognosen sind Anleger aufgeschmissen.

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Anleger können an der Börse kaum erfolgreich sein, wenn sie nicht wissen, wann sich der Markt dreht und somit ein Ein- oder Ausstieg oder eine Umschichtung sinnvoll sind. Quelle: fotolia

Die Verfechter von prognosefreien Anlagestrategien sind sich einig, wie erfolgreiche Geldanlage funktioniert: Langfristig anlegen, regelmäßiges Anpassen der Depotanteile (Rebalancing), Orientierung an Risikokennzahlen wie dem Value at Risk. So einfach soll Geldanlage sein – außerdem noch sicher und effizient. Zu schön, um wahr zu sein?

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Ja, so sieht es aus. Tatsächlich können Anleger an der Börse kaum erfolgreich sein, wenn sie nicht wissen, wann sich der Markt dreht und somit ein Ein- oder Ausstieg oder eine Umschichtung sinnvoll sind. Genau dafür aber braucht es Prognosen.

Der Blick auf ein langfristiges Engagement im Dow Jones belegt das. Zwar konnten Anleger mit dem prognosefreien Investieren in den vergangenen fünfzig Jahren durchschnittlich eine solide und in Spitzenzeiten auch mal eine sehr attraktive Rendite erzielen. Ihr Vermögen war allerdings stets starken Schwankungen unterworfen und hat nur in knapp sechs Prozent des Anlagezeitraums den bereits erreichten Höchststand weiter gesteigert. In der übrigen Zeit wurden die zuvor in der Spitze erzielten Gewinne zum großen Teil wieder abgegeben.

In der Finanzkrise von 2007 bis 2009 verloren Anleger zeitweise über fünfzig Prozent ihres vorher so mühsam erwirtschafteten Gewinns vom Hoch. Das ist an der Börse genauso wie bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär“: Nur wer rechtzeitig aussteigt, kann den Gewinn mit nach Hause nehmen. Natürlich stellt auch jeder kleine Gewinn ein Plus dar, hohe Gewinnrenditen werden jedoch nur durch rechtzeitiges Verkaufen gesichert.

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Schützt Rebalancing wirklich vor Verlusten?

Mit speziellen Strategien wollen Anleger solche Verluste beim prognosefreien Investieren minimieren, vor allem mit der Mischung verschiedener Anlageklassen. Rebalancing heißt dann das Zauberwort. Dahinter verbirgt sich, dass in bestimmten Intervallen die Anteile verschiedener Anlageklassen im Depot wieder auf das Ausgangsniveau gebracht werden. So soll vermieden werden, dass gut laufende Anlageklassen zunehmend zum Klumpenrisiko im Depot werden. Durch die Verteilung des Vermögens auf verschiedene Assetklassen, die sich bei Marktveränderungen gegenläufig entwickeln, liegt das Gesamtinvestment meist in der Gewinnzone. Diese Strategie besticht durch ihre Sicherheit.

Doch inwieweit schützt Rebalancing tatsächlich vor hohen Verlusten? In der Ölkrise 1973/1974 ist ein amerikanischer Anleger, der zu je einem Viertel in Aktien, zehnjährige US-Staatsanleihen, Gold und Festgeld investiert hat, mit Bravour und einer Rendite von 14 Prozent 1973 und zehn Prozent 1974 durch die Krise gekommen – während ein Aktionär fast Haus und Hof verlor. Der erstmalig freigegebene Goldkurs explodierte und wog die Verluste der anderen Assetklassen auf.

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Auch während der ersten Golfkrise 1979/1980 rettete der überproportional gestiegene Goldpreis das Gesamtengagement. Im Krisenjahr 2008 bewährte sich Rebalancing ebenfalls: Während Aktienbesitzer von Januar bis Dezember 2008 rund 34 Prozent ihres Vermögens verloren, büßte ein US-Anleger, der konsequent auf das Rebalancing vertraute, durch die immens positive Entwicklung der Staatsanleihen infolge des Zinsrückgang lediglich etwa zwei Prozent seines Geldes ein.

Der Vorteil im Vergleich zu anderen Anlagestrategien: Rebalancing bewahrt Anleger vor uferlosen Verlusten – allerdings auch vor reizvollen Renditen. Mit dem oben genannten Rebalancing-Szenario rentierte eine Anlage von 1967 bis Anfang 2017 mit lediglich 5,8 Prozent. Ja, Sie haben richtig gelesen: lediglich. Denn ein reines Aktienengagement im Dow Jones (6,7 Prozent), eine Anlage in Gold (7,2 Prozent) und zehnjährige US-Staatsanleihen (6,5 Prozent) erzielten im Vergleichszeitraum eine deutlich höhere Rendite. Nur dreimonatige Termingelder warfen mit 4,9 Prozent einen noch geringeren Ertrag ab.

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