Fusionen und Übernahmen Insiderhandel: Wie ETFs für illegale Deals eingesetzt werden

Quelle: Getty Images

Händler mit Kenntnissen über bevorstehende Fusionen und Übernahmen nutzen laut einer Studie neuerdings börsengehandelte Fonds, um ihre Geschäfte zu verschleiern. Auch der deutsche Markt ist gefährdet.

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Insiderhändler bedienen sich immer ausgefeilterer Methoden, um illegale Deals zu verschleiern. Dabei kommen inzwischen sogar Instrumente zum Einsatz, die als als simpel und unverfänglich gelten und bei Privatanlegerinnen und Privatanlegern sehr beliebt sind: börsengehandelte Fonds (ETFs). Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine aktuelle Studie, die sogenannte „Schatten-Trades“ mit ETFs genauer betrachtet hat.

lza Eglīte und Dans Štaermans von der Stockholm School of Economics in Riga sowie Vinay Patel und Tālis Putniņša von der University of Technology Sydney fanden bei einer Langzeitbetrachtung amerikanischer ETFs heraus: Händler, die über Insiderinformationen zu bevorstehenden Fusionen und Übernahmen verfügten, nutzten offenbar ETFs, um ein Insiderhandelsvolumen von 2,75 Milliarden US-Dollar (2,6 Milliarden Euro) zu verschleiern. 

In den fünf Tagen vor der Ankündigung einer Fusion oder Übernahme in einer Branche ließ sich beobachten, dass das Handelsvolumen bei entsprechenden Branchen-ETFs um durchschnittlich drei bis sechs Prozent anzog. Die Forscher berücksichtigten bei ihrer Untersuchung nur solche Ankündigungen, zu denen es zuvor keine Marktgerüchte gegeben hatte. So wollten sie ausschließen, dass ein verstärkter Aktienhandel aufgrund von Gerüchten die Ergebnisse beeinflusst.

Die Studie zeigt, dass die Handelsauffälligkeiten bei ETFs in den Sektoren Gesundheitswesen, Technologie und Industrie am weitesten verbreitet sind. Dort komme Insiderhandel bei zwei bis zwölf Prozent der börsengehandelten Fonds vor, schätzen die Autoren. Nach Einschätzung der Wissenschaftler könnte es bei ETFs in Zukunft sogar noch mehr Insidergeschäfte geben. Auch in Deutschland könnte Insiderhandel per Indexfonds bereits angekommen sein, wenn auch noch unentdeckt.

Wann es kriminell wird

Insiderhandel liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Mitarbeiter einer kurz vor der Insolvenz stehenden Aktiengesellschaft alle seine Aktien dieses Unternehmens abstößt, bevor die Pleite bekannt wird und die Kurse fallen. Ebenso ist es Insiderhandel, wenn ein Mitarbeiter Aktien seines Arbeitgebers kauft, nachdem dieser einen lukrativen Großauftrag an Land gezogen hat: Der Mitarbeiter weiß dann, dass der Aktienkurs höchstwahrscheinlich steigt, sobald die Nachricht öffentlich wird. Solche Geschäfte sind illegal.

Insiderhandel wird oft mit Aktien von Unternehmen betrieben, die kurz vor einer Fusion oder Übernahme stehen. Denn Kursbewegungen sind in diesen Fällen abzusehen. Auch bei einem Fall von angeblichem Insiderhandel, den die BaFin und die Staatsanwaltschaft Frankfurt im Januar dieses Jahres aufdeckten, haben sich die Beschuldigten offenbar Insiderwissen über Firmenübernahmen zunutze gemacht.

So läuft der Schattenhandel mit ETFs ab

Die Studie deutet darauf hin, dass Insiderhandel inzwischen nicht nur bei Aktien verbreitet ist. Die Forscher sehen einen aufblühenden ETF-Schattenhandel. Anders als beim klassischen Insiderhandel setzen die Akteure dabei nicht auf einzelne Aktien. Stattdessen erwerben sie ETFs, in denen das betroffene Unternehmen enthalten ist. Das hat laut den Wissenschaftlern einige Vorteile für Täter.

Erstens ist die Aktie, die Gegenstand der Information ist, im ETF-Portfolio lediglich ein Baustein von vielen. Das macht die Transaktion unauffälliger als den Kauf eines Einzelwerts. Strafverfolgungsbehörden können solche Deals denn wohl auch deutlich schlechter aufdecken. Zweitens sind ETFs teils liquider als Einzelaktien. Drittens sind Zusatzgewinne drin, wenn nicht nur der Aktienkurs des betroffenen Unternehmens steigt, sondern im Zuge der Fusionsnachricht auch die Kurse anderer Unternehmen aus derselben Branche.

Auch die niedrigeren Verschleierungskosten könnten ETFs attraktiv für illegale Insidergeschäfte machen, schätzt Marc Liebscher, Anwalt mit Schwerpunkt Bank-und Kapitalmarktrecht und Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). „Wenn jemand Insiderhandel mit einer bestimmten Aktie betreibt, müssen höhere Verschleierungskosten einkalkuliert werden, um zu vermeiden, dass die Kontrollbehörden die Straftat schnell aufdecken“, sagt er. „Das erfordert oft komplexe Strukturen, die Zwischenhändler oder sogar ganze Unternehmen einbeziehen.“ Bei ETFs hingegen seien die Verschleierungskosten geringer, da die betroffene Aktie lediglich Teil eines Pools von Unternehmen ist.

Kleinerer Gewinn, aber niedrigeres Risiko

Der Nachteil der ETF-Masche: Um einen signifikanten Gewinn aus einem Insidergeschäft mit ETFs zu erzielen, müsste ein Täter eine beträchtliche Menge an ETF-Anteilen erwerben. Denn selbst ETFs mit spitzem Fokus haben strenge Obergrenzen bei der Gewichtung einzelner Unternehmen.

Der Insiderhandel via ETF erfordert außerdem breite Kenntnisse über den Zielmarkt. Selbst das könnte in vielen Fällen nicht ausreichen, um die Kursbewegungen eines Branchen-ETF mit relativ hoher Sicherheit vorherzusagen. Denn eine Fusionsnachricht kann zwar positiv auf den gesamten Sektor wirken, muss es aber nicht.

Die drei ETFs, die laut Studie in den vergangenen Jahren am stärksten von Schattenhandel betroffen gewesen sein dürften, sind der iShares Expanded Tech-Software Sector ETF, der Vanguard Industrials ETF und der Vanguard Health Care ETF. Darin macht kein Unternehmen mehr als knapp neun Prozent des Portfolios aus.

Der Insiderhandel über ETFs sei im Vergleich zu dem mit Aktien weniger profitabel, sagt Liebscher. Doch am Ende des Tages „überlegt der Täter es sich genau, ob er lieber mit zehn Millionen aus dem Haus geht und sofort die Staatsanwaltschaft an den Hacken hat, oder ob er sich mit einer Million zufriedengibt und sicherer vor den Behörden ist“.

In Deutschland noch kein bekannter Fall

Liebscher hält es für „sehr wahrscheinlich“, dass der Insiderhandel über ETFs bereits in Deutschland angekommen ist. Die BaFin bestätigt, dass Insiderhandel über ETFs funktionieren kann. Allerdings habe man in den bereits bekannten Fällen von Insiderhandel keine Nutzung von ETFs festgestellt. Einer BaFin-Sprecherin zufolge dürfte das vor allem daran liegen, dass die erzielbaren Überrenditen beim ETF-Trick deutlich geringer ausfallen als beim Insiderhandel mit Einzelwerten. In anderen Worten: Schmu mit Indexfonds lohne sich kaum.

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Liebscher vermutet indes, dass auch wegen der vergleichsweisen laxen Kontrollen der BaFin noch kein Fall bekannt geworden ist: „Kapitalmarktinnovationen wandern binnen kurzer Zeit rund um den Globus. Ich wüsste nicht, wieso es beim Schattenhandel mit ETFs anders sein sollte.“

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