Geldpolitik Kontrollverlust in Frankfurt

EZB-Präsidentin Christine Lagarde äußerte sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos zur weiteren Geldpolitik. Quelle: dpa

Zentralbanker haben es nicht leicht. Doch momentan bewältigt die US-Notenbank Fed ihre Aufgabe deutlich besser als die EZB mit Präsidentin Christine Lagarde. Es fehlt an Orientierung. Ein Kommentar.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Zentralbanker haben es nicht leicht: Sie sollen Finanzmärkte und sonstige Wirtschaft einerseits möglichst gut auf ihre bevorstehenden Entscheidungen vorbereiten, damit Überraschungen ausbleiben. Andererseits dürfen sie sich nicht zu sehr festlegen, damit Handlungsspielraum bleibt, wenn das Umfeld sich unerwartet entwickelt.

Die US-Notenbank Fed erledigt diese Aufgabe bislang relativ gut. Sie hat den Anstieg der Inflation zwar erst spät als Gefahr ernstgenommen, dann aber in Rekordtempo ihre Geldpolitik angepasst. Im Mai hat sie ihren Leitzins zum zweiten Mal erhöht und eine rasche weitere Straffung angekündigt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen, mit Christine Lagarde als Präsidentin, schlägt sich bislang weniger gut. Erst wurde die Inflation kleingeredet, dann zwar ernstgenommen – aber bei der Geldpolitik will die EZB trotzdem nur langsam umsteuern. „Graduell“, so heißt das in Frankfurt. Viele sehen dieses Vorgehen als Problem: Durch die zögerliche Reaktion könne die Inflation aus dem Ruder laufen. Die EZB müsse vor allem auf die hochverschuldeten südeuropäischen Länder achten und traue sich deshalb nicht, entschieden zu reagieren.

Inflation? I wo! Oder jetzt doch? Isabel Schnabels Meinungswechsel
Vorneweg: Wer ist Isabel Schnabel?Isabel Schnabel ist EZB-Direktorin und Deutschlands wichtigste Notenbankerin. Die 50 Jahre alte Frau bedient in der Euro-Bank die Hebel der Inflation – und irritierte zuletzt durch ein Hin und Her bei der Bewertung der Teuerung. Schnabel kommt aus Dortmund und sagte in einem Interview mit den Youtubern von Jung & Naiv, sie sei früher kein Kind von Traurigkeit gewesen und hätte viele Partys gefeiert – und sei auch mal übernächtigt in die Schule gegangen. Quelle: EZB
Schnabel und die Inflation: Welche Inflation?In ihrem Amt, das sie seit 2020 innehat, findet sie eher die Berichterstattung der Medien über die Arbeit der EZB unausgeruht. So schoss sie im September bei einem Unternehmergespräch gegen Journalisten, die zuvor vor der steigenden Inflation warnten. Gründe für den aktuellen Preisanstieg müssten eingeordnet werden, „weil gerade in Deutschland aktuell wieder viele Experten und Medien die Ängste der Menschen bedienen, ohne die Ursachen der Preisentwicklungen zu erklären“, sagte Schnabel. Und weiter: „Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die derzeitige Geldpolitik zu einer Inflation von dauerhaft über zwei Prozent oder gar zu einer Hyperinflation führen wird.“ Quelle: imago images
November: Ok, ein bisschen InflationZwei Monate später, Mitte November, kommt der erste Sinneswandel, wenn Schnabel einräumt, der Preisauftrieb halte wohl länger an als ursprünglich angenommen. Da empfiehlt sie, ein „ein waches Auge“ auf die Teuerung zu haben. Die werde zwar zurückgehen, aber es sei unsicher wie schnell und in welchem Umfang. Quelle: EZB
Immer noch November: Doch keine Hinweise auf InflationKeine zwei Wochen später kassiert sie die Aussage wieder. Man könne „eigentlich keine Hinweise darauf sehen, dass die Inflation außer Kontrolle gerät“. Die Teuerung, so sagte sie im ZDF, gehe 2022 wieder allmählich zurück. „Und zwar in Richtung unseres Inflationsziels von zwei Prozent.“ Quelle: imago images
Schnabel im Dezember: „Aufwärtsrisiko“Sorgen in der dunklen Jahreszeit? Wenige Wochen später, kurz vor Weihnachten, klingt Schnabel in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde weniger gelassen. Verbraucher im Euroraum müssten doch noch länger mit einer höheren Teuerungsrate leben. „Wir wissen, dass die Inflation eine gewisse Zeit lang hoch sein wird, aber auch, dass sie im Laufe des nächsten Jahres zurückgehen wird. Weniger sicher sind wir uns darüber, wie schnell und wie stark der Rückgang sein wird“. Und: „Wir sind uns der Unsicherheit unserer Inflationsprognosen durchaus bewusst. Es besteht ein Aufwärtsrisiko.“ Quelle: imago images
Januar: Kurzfristig besorgt5 Prozent Inflation in der Eurozone? Schnabel, von Journalisten der Süddeutschen Zeitung befragt, sagt nun: „Wir betrachten diese Zahlen mit einer gewissen Sorge, weil sie höher sind, als wir ursprünglich erwartet haben.“ Doch: „Auf mittlere Sicht gehen wir davon aus, dass die Inflation deutlich sinkt. Das ist der Grund, warum wir derzeit nicht die Zinsen erhöhen, wie manche fordern.“ Quelle: imago images
Februar: Nun wankt auch Schnabels Zwei-Prozent-PrognoseIm Gespräch mit der Financial Times zeigte sich Schnabel dann wieder sorgenvoller. Man müsse den Zeitpunkt des Handelns abwägen, nicht zu früh, nicht zu spät: „Mit den jüngsten Daten hat sich jedoch das Risiko, zu spät zu handeln, erhöht, und deshalb müssen wir die Inflationsaussichten sorgfältig neu bewerten“. Es sei nun unwahrscheinlicher, dass die Inflation bis Ende 2022 unter zwei Prozent fallen würde, wie die EZB es erwartet hatte. Quelle: dpa

Je näher die nächste EZB-Sitzung am 9. Juni rückt, desto lauter wird der öffentliche Schlagabtausch – und desto größer die öffentliche Verwirrung. Absehbar ist, dass bei der Juni-Sitzung das Ende der EZB-Anleihekäufe beschlossen werden soll. Zudem will die EZB die Märkte wohl auf einen Zinsschritt im Juli einstimmen. So weit, so klar.

Doch alles weitere ist dann schon unklar. EZB-Präsidentin Christine Lagarde äußerte sich in einem Blogbeitrag am Montag ungewohnt deutlich: Zwei Zinserhöhungen um je einen Viertelpunkt im Juli und September wurden daraus als EZB-Plan abgeleitet. Das aber verärgerte all jene im EZB-Rat, die einen rascheren Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik wünschen. Drei Notenbanker haben sich mittlerweile öffentlich für eine Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt ausgesprochen. Also doch alles anders?

Im Kern dreht sich der Streit auch darum, ob die hohen Inflationsraten in Europa ein Ergebnis der massiv gestiegenen Energiepreise sind – oder ob doch andere Faktoren maßgeblich beitragen. Wichtig ist auch, ob die hohe Inflation bereits zu Zweitrundeneffekten führt: etwa höheren Lohnforderungen, die dann zu einer Spirale aus steigenden Preisen und Löhnen führen. Je nach Lesart kann die EZB mit Zinserhöhungen mehr oder weniger gut gegen die Inflation ankämpfen. Sprich: Wenn nur die Energiepreise der Inflationstreiber sind und Zweitrundeneffekte ausbleiben, dann bewirken Zinserhöhungen wenig. Genau das bringt Lagarde bislang dazu, dass sie „nichts überstürzen und nicht in Panik geraten“ will, wie sie beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte.

Das klingt beruhigend, ist es aber nicht. Solange die EZB keinen klaren Kurs findet, müssen Investoren einen gewissen Kontrollverlust in Frankfurt durchaus in Betracht ziehen.

Lesen Sie auch: Die neue Ära an den Kapitalmärkten – und ihre Folgen für Anleger

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%