Zentralbanker haben es nicht leicht: Sie sollen Finanzmärkte und sonstige Wirtschaft einerseits möglichst gut auf ihre bevorstehenden Entscheidungen vorbereiten, damit Überraschungen ausbleiben. Andererseits dürfen sie sich nicht zu sehr festlegen, damit Handlungsspielraum bleibt, wenn das Umfeld sich unerwartet entwickelt.
Die US-Notenbank Fed erledigt diese Aufgabe bislang relativ gut. Sie hat den Anstieg der Inflation zwar erst spät als Gefahr ernstgenommen, dann aber in Rekordtempo ihre Geldpolitik angepasst. Im Mai hat sie ihren Leitzins zum zweiten Mal erhöht und eine rasche weitere Straffung angekündigt.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen, mit Christine Lagarde als Präsidentin, schlägt sich bislang weniger gut. Erst wurde die Inflation kleingeredet, dann zwar ernstgenommen – aber bei der Geldpolitik will die EZB trotzdem nur langsam umsteuern. „Graduell“, so heißt das in Frankfurt. Viele sehen dieses Vorgehen als Problem: Durch die zögerliche Reaktion könne die Inflation aus dem Ruder laufen. Die EZB müsse vor allem auf die hochverschuldeten südeuropäischen Länder achten und traue sich deshalb nicht, entschieden zu reagieren.
Je näher die nächste EZB-Sitzung am 9. Juni rückt, desto lauter wird der öffentliche Schlagabtausch – und desto größer die öffentliche Verwirrung. Absehbar ist, dass bei der Juni-Sitzung das Ende der EZB-Anleihekäufe beschlossen werden soll. Zudem will die EZB die Märkte wohl auf einen Zinsschritt im Juli einstimmen. So weit, so klar.
Doch alles weitere ist dann schon unklar. EZB-Präsidentin Christine Lagarde äußerte sich in einem Blogbeitrag am Montag ungewohnt deutlich: Zwei Zinserhöhungen um je einen Viertelpunkt im Juli und September wurden daraus als EZB-Plan abgeleitet. Das aber verärgerte all jene im EZB-Rat, die einen rascheren Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik wünschen. Drei Notenbanker haben sich mittlerweile öffentlich für eine Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt ausgesprochen. Also doch alles anders?
Im Kern dreht sich der Streit auch darum, ob die hohen Inflationsraten in Europa ein Ergebnis der massiv gestiegenen Energiepreise sind – oder ob doch andere Faktoren maßgeblich beitragen. Wichtig ist auch, ob die hohe Inflation bereits zu Zweitrundeneffekten führt: etwa höheren Lohnforderungen, die dann zu einer Spirale aus steigenden Preisen und Löhnen führen. Je nach Lesart kann die EZB mit Zinserhöhungen mehr oder weniger gut gegen die Inflation ankämpfen. Sprich: Wenn nur die Energiepreise der Inflationstreiber sind und Zweitrundeneffekte ausbleiben, dann bewirken Zinserhöhungen wenig. Genau das bringt Lagarde bislang dazu, dass sie „nichts überstürzen und nicht in Panik geraten“ will, wie sie beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte.
Das klingt beruhigend, ist es aber nicht. Solange die EZB keinen klaren Kurs findet, müssen Investoren einen gewissen Kontrollverlust in Frankfurt durchaus in Betracht ziehen.
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