Intelligent investieren
Der psychologische Schwachpunkt der meisten Börsianer: die Angst vor Verlusten. Quelle: dapd

Vom richtigen Umgang mit Crash-Sorgen

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit Chefvolkswirt der Degussa

Herrscht zunehmend Unsicherheit an der Börse, bleibt eine Frage entscheidend: Kann ich den Gesamtmarkt outperformen oder nicht? Von der Antwort auf diese Frage und den damit verbundenen Handlungskonsequenzen hängt der Investment-Erfolg entscheidend ab.

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„Bald kommt der Aktienmarkt-Crash.“ Wer eine solche Überschrift veröffentlicht, kann sich großer Aufmerksamkeit sicher sein. Denn sie rührt an Urängste, an psychologische Schwachpunkte der meisten Börsianer: der Angst vor Verlusten. Derzeit fallen die Krisenprophezeiungen wieder auf fruchtbaren Grund: Der weltweite Börsenboom befindet sich bereits in seinem neunten Jahr, und an Faktoren, die sein Ende einläuten könnten, herrscht kein Mangel.

Als da wären: Die US-Zentralbank (Fed) hebt die Zinsen an und beendet die bisher kurstreibende Geldflut; die US-Administration greift zu Importzöllen, auf die andere Länder mit Vergeltung reagieren – und damit wird die internationale Arbeitsteilung, der unverzichtbare Grundpfeiler des weltweiten Wohlstandes und eine wichtige Triebfeder der Unternehmensgewinne, in Frage gestellt; und dann steigt auch noch die ohnehin bereits hohe weltweite Verschuldung immer weiter an.

Wie soll man als umsichtiger Investor mit diesen und anderen Crash-Ängsten umgehen? So mancher Investor wird vermutlich das Börsen-Fernsehen anschalten, wird Marktberichte von Banken und Brokern lesen und versuchen, sich ein fundiertes und umfassendes Bild zu machen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Wenngleich das auch auf den ersten Blick vernünftig klingt: Doch das ist es nicht, was der Investor als erstes machen sollte.

Er sollte sich vielmehr die zentrale, die elementare Frage in Erinnerung rufen, die sich jeder, der mit Sinn und Verstand investieren will, stellen und auch gut durchdacht beantworten sollte. Diese Frage lautet: Kann ich über die Jahre hinweg betrachtet besser als der Gesamtmarkt abschneiden, ja oder nein? Kann ich eine Rendite erzielen, die langfristig höher ist als die Rendite des Gesamtmarktes – kann ich das leisten, oder kann ich das nicht leisten? (Siehe hierzu die nachstehende Grafik.)

Die zentrale Frage für alle, die umsichtig investieren.

Nein, ich kann nicht
Wenn die Antwort Nein lautet, ist das keine Schande. Man steht nicht allein damit: Den meisten der Investoren gelingt es nicht, eine Rendite zu erzielen, die höher ist als die Rendite des Gesamtmarktes. Die sinnvolle Lehre daraus ist: Investiere in den Welt-Aktienmarktindex per Zertifikat oder ETF. Denn durch ein solches passives Investieren kannst Du an der weltweiten Kursentwicklung der Unternehmensanteile teilhaben, und das zu sehr geringen (Transaktions-)Kosten.
Konsequent angewandt setzt man hier auf die lange Frist, das heißt man betreibt kein „Market Timing“. Denn wer meint, er könne durch vorzeitiges Verkaufen den Kursstürzen auf dem Aktienmarkt entkommen, begeht einen Denkfehler: Wer meint, er könne durch geschicktes, zeitweises Aus- und Wiedereinsteigen besser abschneiden als der Aktienmarkt, der widerspricht seiner Grundsatzentscheidung: dass er eben nicht besser abschneiden kann als der Gesamtmarkt. Das ist ein Fehler, den man vermeiden sollte.

Ja, ich kann – und zwar mit „Market Timing“
Lautet die Antwort Ja – ich kann besser abschneiden als der Gesamtmarkt –, wie soll man dann mit dem Auf und Ab auf den Börsen umgehen? Hier gibt es zwei mögliche Ansätze. Der erste Ansatz besteht darin, dass man mit „Market Timing“ versucht, den Aktienmarkt zu übertreffen: Als „Market Timer“ bemüht man sich, aus dem Aktienmarkt kurz bevor es zu Kursrückschlägen kommt auszusteigen und nach erfolgtem Kursrutsch frühzeitig wieder einzusteigen.

Vielleicht gibt es erfolgreiche Market Timer. Aber sie sind vermutlich rar gesät. Denn es gibt keine Möglichkeit, bereits schon heute die Faktoren verlässlich zu identifizieren und systematisch vorherzusagen, die die künftigen Aktienkurse bestimmen. In der kurzen Frist bilden sich die Aktienkurse nämlich nicht selten aufgrund psychologischer Gründe wie Euphorie und Angst, Gier und Panik, nicht aber aufgrund fundamentaler Erwägungen wie Marktstellung und Eigenkapitalrendite einer Firma.

Die psychologischen Faktoren zu identifizieren und ihren Einfluss auf die künftigen Aktienkurse verlässlich vorhersagen zu wollen, ist ein – zumindest in wissenschaftlicher Hinsicht – unmögliches Unterfangen: Es gibt das Wissen nicht, das uns sagen könnte, welche Faktoren bestimmte Gemütszustände der Börsianer bewirken, und wie diese Gemütszustände die Aktienkurse beeinflussen. Das menschliche Handeln lässt sich nicht prognostizieren, wie es in der Naturwissenschaft praktiziert wird.
Wer als Market Timer erfolgreich ist, muss daher über eine „besondere Fähigkeit“ verfügen, muss das können, was normalerweise unerreichbar ist: Er muss wissen, was künftig passiert, und welche Wirkung das auf die Aktienkurse hat. Wie gesagt, ausgeschlossen ist es nicht, dass jemand das kann. Aber die „besondere Fähigkeit“ kann per definitione nicht jeder haben. Und jeder, der meint, er könne mit Markt Timing herausstechen, sollte daher gut darüber nachdenken, ob er tatsächlich zu den erfolgreichen Market Timern zählt.

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